NORDHESSEN. Wissen Sie doch gleich, wie der Stadtverordnetenvorsteher – oder die Vorsteherin der Gemeindevertretung – in Ihrer Kommune heißt, also sozusagen der Wolfgang Schäuble von Wolfhagen, Fritzlar beziehungsweise Schrecksbach? Vielleicht kennen Sie den Vorsitzenden des Haupt- und Finanzausschuss, das lokale Pendant zu Peter Boehringer und Bettina Stark-Watzinger?
Aber es sind diejenigen, die die Weichen für Kindergartenentgelte, Wassergebühren oder die Hundesteuer in ihrer Stadt oder Gemeinde stellen, und vielleicht wohnen sie im Nachbarhaus, fahren jeden Morgen ins VW-Werk zum Arbeiten, in die Schule zum Unterrichten oder an die Baustelle zum Asphalt machen. Die machen das nämlich alle ehrenamtlich, also ohne Knete. Nur der Aufwand wird entschädigt, damit niemand auch noch draufzahlen muss.
In der Stadtverordnetenversammlung (oder Gemeindevertretung) wird auch festgelegt, ob die Straßen auf Kosten der Stadt saniert werden oder Anlieger auch mal 20.000 Euro für ein paar Meter Asphalt zahlen müssen. Oder kennen sie den Ersten Kreisbeigeordneten? Der ist sowas wie der Olaf Scholz des Kreisausschusses. Im Kreistag werden sozusagen die Tabletts gekauft – oder eben nicht -, mit denen die Kinder Homeschooling machen. Auch ob die Kreisstraßen zum Nachbarort voller Schlaglöcher sind oder man geräuschlos darüber schweben kann, entscheiden die Kreistagsabgeordneten.
Ob Sie demnächst zum Hausarzt 30 Kilometer fahren müssen oder um die Ecke hinlaufen können, wird nicht vor Ort entschieden. Davon, wieviel Ideen und Visionen Ihre Kommunalpolitiker entwickeln können, um die Gesundheitsversorgung zu sichern, hängt allerdings schon eine Menge ab; und ob sie zum Krankenhaus oder zur Notfallversorgung im eigenen Landkreis bleiben können oder doch nach Kassel, beziehungsweise Marburg fahren müssen, ist eine Frage der Souveränität im Kreisausschuss. Der ist übrigens die Regierung im Landkreis. Es ist tatsächlich gar nicht so ganz unwichtig, „daheim“ für gute und klare Verhältnisse zu sorgen…
Die Chance in einem Kommunalwahlkampf mit Positionen zu punkten und als Kommunalpolitiker Präsenz zu zeigen, ist schon immer vergleichsweise gering gewesen. Das gilt erst recht, wenn sich, immer wieder die Gesichter von Jens Spahn und Karl Lauterbach dazwischenschieben.
Die Unbeholfenheit im Internet für sich zu werben ist spürbar und viele flüchten sich in eine Renaissance der Wahlplakate. Wenn Parteienvielfalt und finanzielle Möglichkeiten glücklich aufeinandertreffen, wird eine Stadt tatsächlich bunt und bunter. In Schwalmstadt fällt auf, dass die Anzahl der Laternen in Kreuzungsbereichen endlich ist. Regeln, wie Plakate „miteinander umzugehen haben“, gibt es nicht. Die Methode „wer zuerst kommt, strahlt zuerst“ hat sich durchgesetzt, wobei klar ist, man kann die Plakate der politischen Gegner nicht einfach wieder abhängen…
Dank der neuen Kunststoff-Hohlkammer-Plakate mit Kabelbindern – durch „Fifty Shades of Grey“ eigentlich zur Luststeigerung bekannt – lassen sich Plakate wunderbar hochschieben. Einer fängt an, der nächste möchte auch und bugsiert den oder die politischen Gegner einfach fix nach oben. Ganz schnell landet ein Plakat auf diese Weise in schwindenden Höhen und es entsteht eine bunte Plakat-Säule. Dabei stellt sich die Frage: wo schaut ein Autofahrer zuerst hin? Nach oben, wie im Supermarkt, wo die billigen Artikel deswegen im Fußbereich angesiedelt sind oder bleibt er auf Augenhöhe und erkennt gar nicht, was sich über seinem Horizont abspielt?
Apropos Horizont: viel Wahlkampf hat sich in die Parlamente verlagert, selten wurde sich in Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen so leidenschaftlich gestritten, wie in den letzten Wochen. Auch selten über dermaßen viele banale Themen, die sonst kaum Erwähnung finden. Da können Laubentsorgung oder die Öffnung eines Sportbades – wie in Baunatal – schon mal ein verbales Upgrade in die Kategorie „Nahender Weltuntergang“ erfahren. Mit örtlichen Themen gegen Begriffe wie Impfchaos, Testwirrwarr und Masken-Affäre zu bestehen ist objektiv gerade nicht einfach und erfordert entweder Fantasie oder eben Ellenbogen.
Aber weil diejenigen, die verbissen Wahlkampf führen weder positive noch negative Rückmeldungen erhalten, die gelegentlich bremsen, entsteht schnell entweder das Gefühl, sich pausenlos steigern zu müssen oder von Unschlagbarkeit! Und genauso dämlich wirkt auch manches, was in der Endphase des Kommunalwahlkampfes präsentiert wird.
Dabei sind die meisten Stimmen per Briefwahl bereits eingegangen. Rund 35 aller Wahlberechtigten haben nach unserer Blitzumfrage gewählt und angesichts 48 Prozent Wahlbeteiligung im Jahr 2016, fehlen bei konstanten Wählerverhalten nur noch 13 Prozent. Sollten Sie zu diesen 13 Prozent gehören oder zu den 52 Prozent, die bisher gar nicht wählen wollten: das Wetter ist bescheiden, Corona bremst noch immer und ganz unwichtig sind Gesundheitsversorgung, Straßen, Wasserversorgung und Müllentsorgung nun auch wieder nicht; und was wann und wo in ihrem Ort gebaut werden kann erfordert auch jede Menge Sachverstand.
Wenn Sie also am Sonntag nichts Besseres zu tun haben, bei 35 Prozent abgegebener Stimmen sollte es kaum Gedränge im örtlichen Wahllokal geben…
Ihr
Rainer Sander