Das Weihnachtsbaum-COVID19-Dilemma
FRIELENDORF. Für viele hat das Jahr schon deshalb beschissen begonnen, weil sie gestern oder heute ihren Weihnachtsbaum nicht loswerden konnten. Man kann alles verstehen: Weder Trockenschnitt noch Dauerwelle beim Friseur? Für zwei Monate Ok! Kein Kaffee im Café? Ok! Keine Pizza in der „Pizza“? Auch ok! Kein Vergissmeinnicht im Gartencenter? Noch ok, mit den Frühlingsblumen wird’s erst doof…
… Keine Kontakte auf der Straße? Geschenkt! HomeOffice, HomeSchooling? Ja, aber…! Kindergarten-Notgruppe nicht für unser Kind? Na gut! Kein Besuch zu Hause? Merkt doch gar keiner… Aber den Weihnachtsbaum nicht loswerden? Boah Ey!
Wenn der Staat (gar nicht) gefragt ist…
Immer in Momenten, in denen der Staat gefragt und scheinbar zuständig ist, um Probleme zu lösen, liegen die Nerven blank, wenn das nicht funktioniert. Dabei hat der Staat das – wie so vieles – nie gemacht, sondern in diesem Fall die Freiwilligen Feuerwehren, um die Kassen für die Jugendarbeit aufzubessern. Wenn jetzt die eine oder andere Feuerwehr mit Blick auf die Einsatzbereitschaft bei Brand- oder Unfall, Kontakte vermeiden will, klingt das erst einmal nicht unvernünftig. Wenn unser Haus abgebrannt ist, würden wir vielleicht fragen, ob mehr Feuerwehrleute zum Löschen gekommen wären, wenn sie die Weihnachtsbäume nicht abgeholt hätten…
„Aber das hat doch immer funktioniert“, ist so etwas wie Gewohnheitsrecht und kommt auch nur einmal im Jahr. Stimmt! Aber auch meine Ostereier im Magnolienstrauch vor der Tür hängen seit 4 Jahren durchgehend Sommer wie Winter und sind ausgeblichen, was nur im Winter auffällt, weil man sie im Sommer längst nicht mehr sehen kann…
Nicht Äpfel mit Birnen oder Weihnachtsbäume mit Rodelschlitten vergleichen…
Zurück zum Weihnachtsbaum. Ich habe in der Familie recherchiert. Meine Eltern haben den Weihnachtsbaum vor 60 Jahren klein geschnitten und Ast für Ast in der Mülltonne entsorgt. Bei mir stehen die 4 Weihnachtsbaumstämme der letzten 4 Jahre neben den Ostereiern (im Magnolienstrauch) und warten darauf irgendwann zersägt zu werden. Die Äste der 2020er Nordmanntanne liegen, wie bei meinen Eltern vor 60 Jahren, neben dem Kaminofen, den ich noch 4 Jahre betreiben darf. Es ist einfach romantisch, das Prasseln zu hören, wenn ein gelegentlich ins Feuer geworfener Ast – wie Zunder – verbrennt…
Aber wie denn nun? Keine Gartenschere in der Mietwohnung zur Hand? Auch keinen Fuchsschwanz oder eine Stichsäge? Baum also bis Ostern stehen lassen und Eier dranhängen? Zur Grünschnittsammelstelle kutschieren ist schon deshalb doof, weil das längst dramatisch nadelnde Ding jetzt ins heilige Auto muss. Extra für den Weihnachtsbaum einen Dachträger kaufen? Nee! Und wie nachhaltig ist das, wenn alle Nordhessen jetzt einzeln mit dem Verbrenner zu ihrer Grünsammelstelle fahren? Das machen wir nur zum Knüllköpfchen, Hoherodskopf, Ritzhagen, Dörnberg, Hessenschanze, Schloss Wilhelmshöhe oder Essigberg mit dem Rodelschlitten. Der darf sogar mit Schneeresten in den Kofferraum.
Kreativität zwischen Lametta und Curry-Soße
Jetzt ist echt Kreativität gefordert. Und vermutlich ist das Problem dort, wo die Feuerwehr sich nicht doch noch erweichen ließ – kontaktlos mit Spendenbriefchen und Lautsprecherdurchsagen – zu entsorgen, nicht wirklich „sauber“ zu lösen. Das ist aber wie mit dem Haareschneiden, dass irgendwie überall funktioniert und Pizza oder Hamburger im Auto. Die Coffee-to-go-Becher werden erst im Juli verboten. Dann hört der Spaß wirklich auf! Die Frage ist also, schaffen wir das mit dem Corona-Virus bis 3. Juli, wenn wir mit eigenem Besteck und Teller zum Fastfood-Imbiss/Restaurant müssen oder die Curry-Soße unterwegs nicht durch die Pappschale weichen soll?
Mein Gefühl sagt mir, dass das nichts wird mit dem Ende von Corona. Das Virus scheint pfiffig genug zu sein, irgendwann auch durch die Impfmaschen zu schlüpfen, die unsere Pharmakologen sicher immer wieder – mit Zeitverzögerung schließen werden. Aber so ganz weg? Und nicht wie die Grippe jedes Jahr ein bisschen anders wieder? Das mit dem „Wegimpfen“ hat bisher nur mit den Pocken funktioniert, sonst mit keinem anderen Virus. Das stimmt schon deshalb nicht so wirklich optimistisch, weil die Jahrtausende alten Pockenviren sich eher „lahmarschig“ verhalten im Vergleich zum flinken und jungen COVID19 und deshalb den Kampf gegen den Impfstoff nach (trotzdem erst) über 10 Jahren „aufgegeben haben“. Ich höre immer noch verdächtig oft die Parolen vom „Besiegen des Virus“. Aha…!
Ziemlich beste Freunde…
Schaut man sich an, wo das Virus am liebsten intensiv zuschlägt, stellt man fest, dass es sich tierisch über ein schwaches Immunsystem freut. Unsere Zivilisationskrankheiten – also das, was wir tatsächlich mittelfristig in den Griff bekommen könnten, sind ziemlich beste Freunde von Covid.
Wenn Fast Food mampfende, Bier, Wein- und Schnaps trinkende oder Cola schlürfende Menschen, mit oder ohne Zigarette in der Hand, vor dem Fernseher sitzen, dabei Chips und Schokokekse naschen, über das Programm schimpfen, mit dem Smartphone auf Facebook ihre Wut über die böse oder dumme Politik, die schlimmen Konzerne und die ganze Welt rausschreiben, sich jedes Jahr von Neuem mehr Bewegung und mehr Schlaf vornehmen (und jedes Jahr wie jetzt schon in der ersten Woche damit scheitern), dabei gleichzeitig von der Rettung abendländischer Kultur sprechen und synchron dazu vor einem Virus davonlaufen, das am einfachsten dann aufzuhalten wäre, wenn wir alle schlicht und ergreifend gesünder leben und unser Immunsystem damit stärken würden, dann denke ich immer, wir haben etwas sehr Grundlegendes nicht verstanden oder wollen es gar nicht wissen.
Wer hat eigentlich alles im Griff?
Stattdessen schimpfen wir gerade über Impfchaos, als hätte irgendjemand Ahnung davon, was es heißt deutschlandweit 80 Millionen Menschen binnen kürzester Zeit mit einem Stoff zu impfen, der nicht wärmer als Minus 70 Grad werden darf. Am lautesten schimpfen wohl diejenigen, die es nicht einmal schaffen mit der Rosenschere den Weihnachtsbaum mülltonnenfertig zu schneiden. Bei Lichte betrachtet ist es vermutlich egal, wann wie viel Impfstoffe, wo zur Verfügung stehen. 25 % wollen sich sowieso nicht impfen lassen und weitere 25 % werden ganz sicher immer wieder einen Grund finden, warum man das auch später noch machen kann…
Es liegt auch ein bisschen an uns selbst, wie viel uns der Schutz wert ist. Es werden nicht die Politik und die Medizin allein sein, die unser Leben retten. Deutlich mehr als 10.000 Menschen verunglücken übrigens jährlich tödlich im Haushalt. Da, wo wir uns jetzt viel mehr aufhalten und viel mehr selbst reparieren oder kochen müssen. Das lässt wirklich nichts Gutes ahnen…
Wir können uns mit Fertiggerichten und Leiternabstinenz schützen oder mit Klettertraining und Kochschule… Auf jeden Fall mit Achtsamkeit und gutem Gerät. Mit dem Immunsystem ist das ganz ähnlich. Klappt mit Training, Abstinenz und gutem Material fast perfekt. Man muss nicht alles essen und trinken und darf sich bewegen. Ganz sicher!
Mit Teilkasko vor den Magnolienstrauch
Andererseits kann man die Wirtschaft nicht mit einer Art Teilkasko immer wieder bei Lockdowns alimentieren und ganze Branchen trotzdem schmerzfrei über die Klinge springen lassen, während sich öffentlicher Dienst, Politik und Lufthansa jedes Mal die Vollkasko gönnen.
Aber wenn es ganz blöd kommt, wächst mein Magnolienstrauch munter weiter und hat ab diesem Jahr deshalb inzwischen – neben den Plastik-Ostereiern – auch Platz für die gläsernen Christbaumkugeln. Die Nummer mit dem Kaminofen halte ich auch noch bis 2024 durch. Dann muss er weg, kommt neu oder wir haben uns endlich daran gewöhnt, dass Corona – und vermutlich dann längst neue, bisher unbekannte Viren – zu unserem Alltag gehören, wie die Malaria oder das Gelbfieber in Afrika und lernen damit zu leben…
Ihr
Rainer Sander