VW in Baunatal neu und gut aufgestellt
BAUNATAL. Kein Industrieunternehmen wird in der nordhessischen Region so intensiv beobachtet wie Volkswagen. Klar, es werden in Nordhessen auch Heizungen gebaut und Medizintechnik hergestellt, aber nirgends werden 17.000 Menschen beschäftigt und niemand sorgt für ein ähnlich relevantes Steuervolumen, von der Mehrwertsteuer, über die Einkommensteuer bis zur Gewerbesteuer.
Wenn VW in Baunatal ein Jahr Revue passieren lässt und mit Prognosen auf das nächste Jahr schaut oder gleich in Fünfjahresschritten denkt, so ist das mehr als eine Nachricht. Danach richten sich Kommunen im Landkreis aus, überlegen Zulieferer, ob sie investieren und denken Kunden darüber nach, welches das nächste Auto sein könnte und wann sie es kaufen. Nicht zuletzt sind die Beschäftigten des Werkes daran interessiert, wie es weitergeht in der Volkswagen-Familie. Wenn VW seine Pläne offenbart, dann geschieht dies also nicht ohne öffentliches Interesse.
Souverän und wirksam auf Krise reagiert
Schon die Sitzordnung beim Pressegespräch macht deutlich, dass 2020 kein normales Jahr gewesen sein kann. Immerhin, so verkündet Betriebsleiter Olaf Korzinovski, bewegen sich die Umsätze wieder auf dem 2019er Niveau und das mit Überschuss-Tendenz. So sollte es auch 2021 weitergehen, zumindest dann, wenn nicht noch einmal Schlimmeres auf das Land zukommt, wie Anfang 2020, als – coronabedingt – die Zahlen deutlich nachgegeben hatten. Zweieinhalb Wochen war das Werk komplett ohne Produktion, und zum Lockdown gesellte sich auch Sorge, im Werk müsse sich vieles ändern. Als eine der ersten überhaupt fuhren die Komponentenproduzenten im Werk Kassel die Fertigung wieder an und gehörten damit auch zu den ersten, die ein tragfähiges Hygienekonzept entwickelt hatten. Das hat nicht nur funktioniert, sondern wurde folgerichtig auch vielfach kopiert. Eine Blaupause für den Konzern und mit Sicherheit auch Vorlage für den einen oder anderen Betrieb außerhalb von Volkswagen.
Vor allem im E-Mobilität- und Hybridbereich entwickelt sich die wirtschaftliche Tendenz besonders positiv, aber auch die Dauerbrenner brennen noch immer, die Getriebe und Motoren laufen eingeschränkt. Der Umstellungsprozess zur Elektromobilität ist nach wie vor im Vollzug und auf die Frage, ob im Werk jemand davor Angst habe, begegnet Betriebsratsvorsitzender Carsten Bätzold dem Fragesteller mit energischem Kopfschütteln. Die Dinge sind geregelt, der demografische Wandel unterstützt den automobilen Wandel, Altersteilzeit wird helfen und aktuell wurde die Anzahl der Zeitarbeiter sogar wieder auf 600 hochgefahren. Sorge sieht anders aus.
Größte Veränderung in der Automobilgeschichte
Der Wandel, so Korzinovski, sei die größte Veränderung in der Automobilgeschichte überhaupt. Als im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts die Asiaten kamen, gab es nur Wettbewerb, jetzt steht ein Paradigmenwechsel an. Der dürfte für diejenigen am unangenehmsten werden, die dem Wandel unvorbereitet begegnen. Das darf für Volkswagen in Baunatal getrost ausgeschlossen werden. Hier hat längst die Digitalisierung wichtige Kommunikationsbereiche übernommen und sie ist die große Schwester der Elektromobilität.
Betriebsversammlungen finden bereits digital statt. Online-Konferenzen mit bis zu 250 Teilnehmern sind keine Seltenheit. Im internen Volkswagen-Netz gibt es Videos, die über alles Neue und Wichtige informieren. Das klingt nach erfreulichen Entwicklungen und Chancen. Das wird auch bestätigt. Corona hat vieles beschleunigt manchen internen Wandel erst salonfähig gemacht. Personalleiter Dr. Stefan Kreher spricht von einem Kulturwandel. Gemeint ist die interne Kultur der Kommunikation und deutlich auch der Qualifizierung, die eine immer größere Rolle spielt. Die Zeit für Veränderungen wird ohnehin stets kürzer, die Intervalle werden dichter. Im Werk findet eine offene Kommunikation statt, durch digitale Prozesse kommen nicht nur Menschen schneller zusammen, sondern auch Ergebnisse beschleunigt zustande. In vielen Bereichen sind Volkswagen und seine Mitarbeiter mutiger geworden.
Die Arbeitswelt verändert sich – wenn auch nicht überall
Bätzold spricht auch das Thema von neuen Vereinbarungen und Regelungen an, es erwachsen Ansprüche, ständige Erreichbarkeit ist gelegentlich ein Problem und Homeoffice funktioniert nicht als Heimarbeit. Eine Maschine kann man schließlich nicht mit nach Hause nehmen. Einerseits – darin ist sich die Runde einig – schafft Corona Distanz und gleichzeitig wächst alles zusammen. Entweder aus Solidarität, aus Notwendigkeit oder der Vorteile wegen. Immerhin werden aktuell auch 1,3 Milliarden Euro im Konzern investiert.
Man merkt in einem „dramatischen Umbruch“ auch schneller, was man weglassen kann und ganz sicher möchte VW seine Versprechen halten. Ohne Corona, wären ganz sicher wieder digitale Produktions- und Kommunikations-Prozesse noch Veränderungen in diesem Maße akzeptiert. Volkswagen geht selbstbewusst ins neue Jahr. (Rainer Sander)