90.000 Euro mit Verspätung für die Schwalmstädter Wirtschaft
SCHWALMSTADT. Humor haben die Schwalmstädter Stadtverordneten, auch wenn ihnen das selbst nicht immer bewusst ist. Auch Ehrgeiz, Leidenschaft und Fantasie sind erkennbar. Eine Unterstützung der örtlichen Wirtschaft mit insgesamt 90.000 durch die Stadt Schwalmstadt wurde bereits in der Sitzung am 2. Juli 2020 beschlossen. Jetzt kommt sie, aber anders…
In kontroverser Diskussion hatten die Schwalmstädter am 2. Juli 2020 für ein Gewinnspiel gestimmt. Dabei sollte ein Segen von 90.000 Euro im Zufallsprinzip erst in die Taschen der Kunden und dann die Kassen der Geschäftsleute gespült werden. Das Verfahren war nicht ganz unkompliziert angelegt. Angenommen wurde vor fast drei Monaten ein SPD-Antrag, nach dem in vier Verlosungen insgesamt 380 Gewinne zwischen 25,00 und 250,00 Euro, gebündelt in Gutscheinpakete von bis zu 20 Gutscheinen, gestaffelt zwischen 5,00 und 20,00 Euro an diejenigen verlost werden sollten, die in einem Schwalmstädter Geschäft eingekauft haben und bereit sind, einen Los-Antrag auszufüllen…
Wirtschaftsförderung oder Familienförderung?
Nach drei Monaten „Sendepause“ ist nun aufgefallen, dass die Affinität zu Gewinnspielen stark abgenommen hat. Vielleicht war es auch schwer vermittelbar oder gar rechtlich fragwürdig, dass eine Kommune Gewinnspiele veranstaltet? Einzelne Gewerbetreibende hatten das System ebenfalls kritisiert. Es findet bei einem solchen Verfahren natürlich keine Vervielfachung der eingesetzten Beträge statt, Mitnahmeeffekte stehen möglicherweise im Vordergrund, viele Gutscheine könnten gar nicht eingelöst werden und das Ganze ist am Ende nur ein Geschenk an Verbraucher und Familien.
Jetzt sollte ein Gutscheinbonussystem wie in Marburg retten, allerdings nur dann, wenn der Personalaufwand vertretbar ist. Eigens herzustellende Gutscheine kaufen und 20 Prozent Nachlass in Anspruch nehmen, so das zwischenzeitlich favorisierte Prinzip, das auch nicht so richtig glücklich macht.
CDU als FREIE WÄHLER-Fan? Alter Vorschlag wieder da…
Marcus Theis (CDU) kritisierte nicht nur, dass viele Gutscheine nicht angenommen werden: „Wir wollten Wirtschaftsförderung. Jetzt liegt wieder ein Vorschlag auf dem Tisch, in dem es vordergründig um Familienförderung geht. 24 Gewerbetreibende hätten sich gemeinsam geäußert. Der Vorschlag, den die Freien Wähler bereits vor drei Monaten eingebracht haben (und der damals zugunsten des SPD-Vorschlages abgelehnt wurde) würde favorisiert. Dieser folgte dem Prinzip: „Umsatz durch Aufschlag“. Damit könne der Umsatz deutlich angekurbelt werden. Über die neue Website der Stadt wäre das möglich.
SPD verliert Spaß an Politik
Daniel Helwig (SPD) erwiderte etwas genervt, der Vorschlag sei doch schon mal abgelehnt worden. Es gäbe keine aktuelle Vorlage, über die man entscheiden könne. Man wolle sich nicht gegen die Wirtschaft stellen, aber bei diesem Durcheinander könne seine Partei keine Fraktionsmeinung herstellen. In der SPD würde daher jeder nach seiner Meinung abstimmen. „Das nimmt den Spaß an der Politik“, so Helwig.
Spaß und Humor hatten andere. Engin Eroglu (FW) will wissen, ob das jetzt 180.000 Euro werden, weil ja schon ein Beschluss gefasst wurde. Er findet es schön, wenn die SPD den Fraktionszwang aufhebt und jetzt das Geld möglichst schnell in die Wirtschaft fließen kann.
Alles auf Anfang! Echten Mehrwert generieren!
Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto stellte fest, dass weder ein Antrag vorläge, den alten Beschluss zurückzuziehen, noch ein ausformulierter neuer Antrag. Engin Eroglu verteilte noch einmal den alten Antrag der Freien Wähler. Danach könnte wie folgt verfahren werden:
Über das von der Schwalm-Touristik während des Lockdowns initiierte Gutschein-Portal können Kunden Gutscheine erwerben. Auf den Zahlbetrag werden 20 Prozent durch die Fördersumme der Stadt Schwalmstadt zugerechnet. So würden beispielsweise aus 100 Euro 120 Euro. Auf diese Weise wird der Zuschussbetrag verfünffacht und Mitnahmeeffekte bleiben aus. Es fließt echter Mehrwert in die Kassen der gebeutelten Schwalmstädter Gewerbetreibenden. Ein sehr unkompliziertes und leicht zu verstehen des Procedere, das bei der Stadt kaum Arbeitskraft binden würde.
Gewerbetreibende würden noch was drauflegen?
Die Stadtverordneten fassten den Beschluss, den alten Beschluss aufzuheben, aber den Betrag von 90.000 Euro bestehen zu lassen. Eine endgültige Entscheidung wird an den an den Haupt- und Finanzausschuss delegiert, der in der kommenden Woche tagt. Dieser soll sich nach einhelliger Meinung an der Version aus dem alten FW-Antrag orientieren. Warum eigentlich nicht gleich so?
Gerhard Reidt von der Schwalm-Touristik hat auf Anfrage bestätigt, dass das Portal jederzeit wieder aktiviert werden und auch auf den Betrag von 90.000 Euro (den Zuschussbetrag der Stadt) limitiert werden kann. Heute, so Reidt, haben sich bereits fast alle Fraktionen, nur die Stadt noch nicht bei ihm gemeldet. Er selbst habe auch schon mit einigen Geschäftsleuten gesprochen, die bereit wären, diesen Betrag von sich aus noch einmal zu erhöhen. Vielleicht werden aus 100 Euro dann in vielen Geschäften sogar 125, 130 oder gar 140 Euro.
Läuft…
Auch die Abrechnung wird der Stadt keine Kosten verursachen. Gerhard Reidt betonte, dass dieses System natürlich mit Betriebskosten für das Portal und Personalkosten verbunden ist. Diese werden aber den Geschäften berechnet und bewegen sich in Höhe solcher Kosten, die die Beteiligten Unternehmen üblicherweise auch bei Bezahlungen mit Kredit- oder Kontokarten berechnet würden, also um einen im bargeldlosen Zahlungsverkehr üblichen Betrag. Gerhard Reidt betonte, dass auch ein Weiterbetrieb des Systems über den Betrag hinaus möglich sei. (rs)