Livestream zum Baugebiet Gudensberg Süd
GUDENSBERG. Über die Tastatur Fragen stellen, das ist neu in Bürgerversammlungen. Die Stadt Gudensberg ist am Dienstag einen neuen und ungewöhnlichen Weg gegangen, um die Planungen für eine neues Baugebiet vorzustellen und mit ihren Bürgern zu diskutieren. Den ersten Livestream nutzten über hundert Interessierte.
Die Einwahl erfolgte unkompliziert über das Programm ZOOM. Alle Bürgerinnen und Bürger mit einem online-Zugang oder einem Telefon konnten teilnehmen. Über Zeitungen, soziale Medien (Facebook, Instagram, Twitter) und natürlich nh24 wurde der Livestream rechtzeitig angekündigt, sodass auch Bürger ohne eigenen Internetanschluss die Teilnahme innerhalb der Familie, der Nachbarschaft oder bei Freunden organisieren konnten.
Ergänzung und nicht Teil des Verfahrens
Die Veranstaltung, so Bürgermeister Frank Börner zu Beginn des Livestreams ist allerdings nur eine Ergänzung und nicht Teil des Verfahrens. Der Livestream erfüllte aber das Versprechen, dass die Gudensbergerinnen und Gudensberger mit größtmöglicher Transparenz informiert werden.
Vor der Webcam informierten Dirk Schütz (Vorsitzender des Ausschuss für Bauen, Planen und Umwelt der Stadtverordnetenversammlung Gudensberg), Frank Börner (Bürgermeister), Bernd Becker (Planungsbüro BIOline), Steffen Butterweck (Planungsbüro BIOline) und Ralf Lengemann (Fachbereichsleiter Bauen/Stadt Gudensberg).
In der übernächsten Woche sollen die Gremien der Stadt die nächsten Beschlüsse fassen. Mit dem Erster Entwurf und dem Aufstellungsbeschluss wurde am 26. November 2019 die Planung auf den Weg gebracht. Mit der sogenannten frühzeitigen Unterrichtung der Öffentlichkeit wurden auch die Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange eingeholt. Diese wurden jetzt berücksichtigt und damit soll nun bald möglich der Satzungsbeschluss herbeigeführt werden, mit dem dann Baurecht entsteht.
200 Anfragen – 100 davon aus Gudensberg
Frank Börner erklärte, es gäbe zurzeit keinerlei Bauplätze mehr in Gudensberg, weder in der Kernstadt noch in den Ortsteilen. Es gab einen Auftrag der Stadtverordnetenversammlung, weitere Baugebiete auszuweisen. Wer bereits in Gudensberg wohnt oder in der Stadt arbeitet, möchte auch in Gudensberg bauen. Der Magistrat hat daher beschlossen, für die Vergabe von Baugrundstücken Kriterien aufzustellen. Wer in Gudensberg wohnt oder arbeitet und sich in Vereinen oder sozial engagiert, hat die größten Chancen. 5 Hektar von insgesamt 16 Hektar sollen jetzt verplant werden. Im Vordergrund stehe nicht das Ziel, schnellstmöglich alles zu bebauen.
200 Bauinteressenten, die Hälfte davon aus Gudensberg, haben bereits Interesse an einem Grundstück angemeldet. 30 Bauplätze werden, wenn der Satzungsbeschluss erfolgt, freigegeben. Ausgewählt wurde für das Baugebiet Gudensberg-Süd eine Fläche zwischen Maden, Obervorschütz und Gudensberg wurde. Die Abstände zu den drei Stadtteilen werden gewahrt, erläuterten die Vertreter von Stadt und Planungsbüro. Die Eigenarten und die Identität der Dörfer bleiben somit erhalten.
Nirgends in Deutschland gibt es Recht auf „Freie Sicht“
Die in Gudensberg viel diskutierte „Freie Sicht“, die sogar von Bürgern gefordert wird, die gerade erst durch einen Neubau anderen Bürgern die „Freie Sicht“ genommen haben, ist durch ein Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom zweiten 20. August 2000 bereits höchstrichterlich für ganz Deutschland geregelt: es gibt kein verbrieftes Recht auf “Freie Sicht“ oder darauf, dass ein Nachbargrundstück aus diesem Grunde unbebaut bleiben muss.
Die zukünftig ausgewiesene Fläche ist bisher Vorranggebiet für Landwirtschaft. Die Regionalversammlung hat der Abweichung vom Regionalplan aber bereits zugestimmt. Dem Zuschnitte waren bei der ersten Antragstellung allerdings noch etwas anders, so dass ein angepasster Beschluss notwendig sein wird. Wenn die Planungen abgeschlossen sind, wird es ein Allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO sein. Die möglichen Höhen – je nach Standort – betragen zwischen 7,5 Metern, und 13 Metern. Die Grundflächenzahl variiert zwischen 0,4 und 0,9. Der Wert gibt an, wie viel Prozent eines Grundstücks bebaut werden dürfen. Möglich sein sollen Mehrfamilien- oder Einzelhäuser.
Schalltechnische Untersuchung für die Zufahrtsstraße
HessenMobil ist Straßenbaulastträger für die Zufahrtsstraße, eine schalltechnische Untersuchung schließt Belastungen – insbesondere im „Baumviertel“ – aus. Grünflächen dienen in unterschiedlicher Funktion als Wegeverbindungen, der Naherholungsqualität sowie dem Landschaftsbild, der Klimafunktion und Funktionen für den Wasserhaushalt. Auch extreme Wetterereignisse sollten nach der vorliegenden Planung mit Rückhaltebecken keine Auswirkungen haben. Es müssen noch Ausgleichsmaßnahmen, beispielsweise für die Feldlerche, geschaffen werden.
Anhand einer Präsentation (siehe Fotodokumentation) wurden alle Einzelheiten dargelegt und erläutert. Jetzt, so Frank Börner, können die Bürger noch einmal ihre berechtigten Stellungnahmen und Einwände einreichen. Sollten diese gravierend sein und eingearbeitet werden, wird es noch eine „Dritte Runde“ geben.
Fragen und Antworten – Vorteile im Livestream
Anschließend hatten die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit Fragen zu stellen und gleichzeitig mit „Daumen-Hoch“ oder „Daumen-Runter“ zu bewerten und damit die Rangfolge beziehungsweise Priorität zu verändern. Ein eindeutiger Vorteil gegenüber Bürgerversammlungen mit physischer Anwesenheit, in der gelegentlich Fragen Einzelner gegenüber an den von Mehrheiten dominieren. Auch die Anonymität hilft, eine Frage zu formulieren. Findet sie großen Widerhall, wird sie auch zuerst beantwortet.
Themen Naturschutz, Artenschutz und landwirtschaftliche Nutzfläche im Vordergrund
Grenzenlosen Flächenfraß und Missachtung von Naturschutz vermutete ein Fragesteller, der wissen wollte, „muss jede freie Fläche genutzt werden?“ Frank Börner erklärte dazu, dass Öffentliche Grünflächen mit 15 Prozent vorgesehen sind. Es soll eine Aufwertung für Natur- und Artenschutz erfolgen. Es tue immer weh, wenn Ackerland verloren geht. Es werde aber auch verdichtet gebaut, bis 13 Metern Höhe. Wie passen Naturschutz und 13 Meter Höhe zusammen? So schließt sich gleich die nächste Frage an. Herr Butterweck dazu: „Es ist keine Störwirkung zu erwarten.“ Eine sehr teure Straßenführung, mit dem 40fachen des ortsüblichen Preises, unterstellt eine weitere Frage. Ob eine Million gerechtfertigt sei? Das Planungsbüro erklärt, dass ohne Erschließung kein Baurecht möglich sei und Frank Börner versicherte, die Erschließungskosten werden zu 90 Prozent auf die neuen Grundstücke umgelegt. Das 40fache des Bodenwertes sei völlig spekulativ und nicht zutreffend. Über Grundstückspreise wird allerdings grundsätzlich in keiner Kommune öffentlich diskutiert.
Wo der naturschutzrechtliche Ausgleich stattfindet, will ein weiterer Bürger wissen, was mit FFH-Gebieten sei, ein anderer. Als Ausgleichsfläche dient eine stillgelegte Ackerfläche, FFH-Gebiete sind indes nicht betroffen, lautet die Erklärung.
Mehr Naturschutz als bisher aber weniger landwirtschaftliche Nutzfläche
Ob es ein Biotop gibt und ob „Ökologisches Bauen“ vorgeschrieben werde, lauten weitere Fragestellungen. Das Biotop ist ein Regenwasserrückhaltebecken, das jederzeit aufgebaut werden darf. Wanderwege bleiben erhalten, auch im Baumviertel. Die Vorschriften für ökologisches Bauen innerhalb der Bauleitplanung sind nur beschränkt möglich, „Steingärten“ werden allerdings verboten, Flachdächer sind zu begrünen. Das „Maximum“ ist nur über städtebauliche Verträge mit den Hauseigentümern möglich. Auf jeden Fall wird deutlich, Ackerflächen haben geringere Biotopqualität als das, was hier jetzt entwickelt werden soll. Arten werden nach dem Artenschutzgutachten nicht gefährdet. Das Regenrückhaltebecken wird aber jetzt erst bewertet. Es werden allerdings keine unlösbaren Probleme aufgeworfen, sind sich Planer und Bürgermeister sicher.
Wie soll der Verlust landwirtschaftlicher Fläche ausgeglichen werden? Butterweck: Ackerland geht tatsächlich verloren. Das wird naturschutzrechtlich aber aufgewertet. Frank Börner präzisiert noch einmal: Jetzt handelt es sich um intensiv genutztes Ackerland danach aber um Grünflächen und das sei naturschutzrechtlich eine Aufwertung. Betroffene Landwirte bekommen andere Flächen. Wie es um die Naherholungsqualität bestellt ist, möchte ein Fragesteller wissen. Sie werde verbessert durch Freizeitanlagen.
Das Wort der Bürger – „Baulust“ contra „Baufrust“?
„Warum hört niemand auf das Wort der Bürger?“ Auch so lautet eine Frage, die 100 Gudensberger Familien – mit statistisch gesehen über 200 Menschen –, die in ihrem Heimatort bauen wollen, natürlich auch stellen. Es ist immer schwierig, zu ergründen welches „DAS“ Wort „DER“ Bürger ist. Das zeigt auch die Fragestellung, warum von 200 erwünschten Bauplätzen jetzt nur 30 realisiert werden. Dazu Frank Börner: „Wir gehen abschnittsweise vor und möchten uns auf den echten Bedarf beschränken.“ Auch die Frage, ob sozialer Wohnungsbau berücksichtigt wird, macht Bedarfe deutlich. Das sieht auch der Bürgermeister so: „Der ist sogar notwendig!“ Flächen dafür sind vorgesehen.
Ob ein Bürgerbegehren jetzt noch möglich ist? Frank Börner: „Bei baurechtlichen Planungen ist das grundsätzlich nicht möglich.“ Ob jetzt mehr Flächen als in der Regionalplanung genehmigt geplant werden? Frank Börner: „Diese Aussage ist falsch! Ob durch Corona weniger Bedarf bestehe? Frank Börner dazu: Es gebe immer noch 200 Anfragen und die Nachfrage wachse sogar.
Börner: auch stabile Gebühren durch Wachstum
Den Gegnern und den Befürwortern erklärte der Bürgermeister, das Wachstum der vergangenen Jahre habe für die gute Situation in Gudensberg gesorgt. Auch zu veränderten Lasten erklärte er: „Je mehr Bürger zahlen, desto billiger werden die Umlagen und Gebühren für alle. Nur Kommunen, die schrumpfen, müssen die Gebühren überproportional erhöhen.
„Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation der Stadt nach der Pandemie dar?“ Eine Frage, die nur indirekt im Zusammenhang mit dem Baugebiet steht. Börner erkennt aber, der Fragesteller habe erkannt, dass auch Gewerbesteuern notwendig sind. Von zwei Millionen Euro Gewerbesteuer-Einnahmen werden Beträge wegfallen, die der Bund voraussichtlich übernehmen wird. Alle Baumaßnahmen werden durchgeführt, auch für den Kindergarten, selbst wenn 1,5 Millionen Euro Landesmittel zunächst nicht kommen.
Stadtverordnete tagen am 25. Juni in Sporthalle
Von den etwa 130 Teilnehmern werteten die meisten am Ende in einer Umfrage positiv über den Livestream. Die Stadtverordnetenversammlung am 25. Juni 2020 wird in der Kreissporthalle stattfinden, damit die Öffentlichkeit genug Platz findet. (Rainer Sander)