Neues Sitzungs-Format in der Pandemie – Streit um Corona-Praxis
BAUNATAL. Im Normalbetrieb fasst die Baunataler Stadthalle – voll bestuhlt – 800 Menschen. Ohne Stühle sogar weit mehr. Gestern Abend war sie mit 42 Stadtverordneten, Magistrat, Presse, Ausländer- und Behindertenbeirat sowie Protokollführer, also gut 60 „Besuchern“ voll besetzt, wie das Foto zeigt.
Die Aufnahme entstand unmittelbar vor Beginn der Parlamentssitzung. Zum ersten Mal tagte die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Baunatal so, dass alle einen eigenen Tisch hatten und sogar alle über ein eigenes Mikrofon verfügen konnten. Die Veranstaltungstechnik des Konferenzzentrums Stadthalle Baunatal macht dies möglich, wie Stadtverodnetenvorsteher Henry Richter erläuterte. Für ihn und das Parlament war es eine historische Sitzung, für die Gremienarbeit und die die Demokratie ein wichtiges Signal.
Fragen, Nachwahl des 1. Stellvertretenden Vorstehers, Bestätigung des Ortrichters und Grundstückskuriosum
Wie immer begann die Sitzung mit der Fragestunde. Fragen kamen von den Fraktionen BÜNDNIS90/GRÜNE und SPD (je zwei) zu Ergebnissen aus der Bürgerbeteiligung bezüglich zusätzlicher Abfalleimer sowie Hundekotbeutel-Spender, zur Anzahl der Flächen, die als Streuobstwiesen ausgewiesen sind und welche Paten sie pflegen und schließlich zum Lärmschutz auf der A49. Die Beschränkung auf Tempo 100 war für die angrenzenden Stadtteile eine Erleichterung. Das, so die SPD, mache nur Sinn, wenn regelmäßig kontrolliert wird. Die Ergebnisse der jüngsten Tempomessungen durch das Regierungspräsidium werden abgefragt.
Reiner Heine (SPD), zuletzt Fraktionsvorsitzender seiner Partei, wurde mit Dreiviertelmehrheit zum 1. Stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher gewählt, nachdem Anette Milas (SPD) das Amt zur Verfügung gestellt hatte. Diesmal war es ein langwieriges Zeremoniell, weil die schriftliche Abstimmung unter Wahrung der Corona-Schutzvorschriften entsprechend umständlich ist. Anschließend wurde dem Amtsgericht Kassel Wilfried Albrecht erneut als Schöffe für das Ortsgericht vorgeschlagen. Als solcher fungiert er bereits seit 2015.
Ein seltener Beschluss stand in der Folge an. Die Firma Gallinat Verwaltungs-GmbH aus Edermünde hat das Grundstück „Grifter Straße 4″ in Hertingshausen erworben, um dorthin den Betrieb von Kuno’s Mobile Freizeit zu verlagern. Da sich das Grundstück im Verbandsgebiet des Zweckverbands kommunale Gemeinschaftsarbeit Baunatal/Edermünde befindet und von Edermünde erschlossen wird, entfällt der Anschlusszwang an die Baunataler Wasserver- und entsorgung.
Phantom- oder echte Schmerzen nach Auflösung des Eigenbetriebs Stadtwerke?
Die Stadtverordnetenversammlung hatte vor genau einem Jahr, am 27. Mai 2019, den Beschluss gefasst, die Stadtwerke Baunatal zum 1. Januar 2021 zu reorganisieren und dann die Aufgaben im Regiebetrieb der Stadt Baunatal fortzuführen. Eine Aufhebungssatzung regelt nach Verabschiedung eines gemeinsamen Antrages aller Fraktionen, dass viele der bisherigen Aufgaben der überflüssig gewordenen Betriebskommission, ein Ausschuss Digitalisierung, Energie und Infrastruktur übernehmen.
Sebastian Stüssel (CDU) bedauert den Reorganisierungsbeschluss immer noch und sieht in dem gemeinsamen Antrag den kleinsten gemeinsamen Nenner. Seine Fraktion wird sich damit auch in Zukunft kaum anfreunden können. Christian Strube (SPD) sieht Einsparpotential von 390 Tausend Euro, wovon bereits 200 Tausend Euro realisiert worden seien. Dr. Rainer Oswald (FDP) sieht die Entscheidung ebenfalls kritisch, die Freien Demokraten stimmen aber zu. Edmund Borschel (B90/GRÜNE) erhofft sich zukünftig mehr Zugehen der SPD auf die anderen Fraktionen und kündigt geteiltes Abstimmverhalten seiner Fraktion an.
Zwei Bebauungspläne in der Diskussion
Die Volkswagen AG dokumentiert seit 1996 die Lärmsituation zwischen dem Betrieb am Standort Baunatal und der angrenzenden Wohnbebauung. Im Rahmen der Fortschreibung des sogenannten Schallplans wurde seitens des Regierungspräsidiums Kassel die Verschiebung von maßgeblichen lmmissionsorten in Richtung Westen vereinbart. Dieser iterative Prozess zur Ermittlung der Schallsituation führt zu einer Modifizierung bei der Berücksichtigung von lmmissionen für die Wohnbebauung im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Daher wird jetzt ein Änderungsverfahren zum Bebauungsplan durchgeführt.
Lothar Rost (b90/GRÜNE) hatte im Vorfeld die Emissionen erfragt und unter anderem etwas über die Verteilung von Messpunkten wissen wollen. Sebastian Stüssel sieht ebenfalls Probleme bei den Emissionen, die CDU stimmt aber zu. Silke Engler erläutert, dass es nur um den Aufstellungsbeschluss und noch nicht um den Entwurfsbeschluss geht. Im Verfahren zur Aufstellung der Satzung werden selbstverständlich die Immissionspunkte und auch Werte abgefragt.
Durch eine Änderung des Bebauungsplans „In der Huhnsecke“ im Stadtteil Großenritte soll der Standort als „Eingeschränktes Gewerbegebiet“ (GEe) die Schaffung von Arbeitsplätzen stärken. Es ist aufgrund der Lage in der Nähe eines Wohngebietes und eines Mischgebietes mit kurzen Wegen zwischen Wohn- und Arbeitsplatz hierfür geeignet, befanden die Stadtverordneten aller Fraktionen. Zudem bietet sich die Ausweisung eines GEe als westliche Erweiterung für das östlich der Elgershäuser Straße gelegene Gewerbegebiet an der Stettiner Straße an. Es sollen jedoch nur gewerbliche Nutzungen zulässig sein, die das Wohnen nicht wesentlich stören.
8 Glasfaserausbau in Baunatal
Die Stadtverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 06.05.2019 beschlossen, mit der Deutschen Glasfaser Wholesale GmbH einen Kooperationsvertrag zum Glasfaserausbau in Baunatal abzuschließen. Mittlerweile haben für die seinerzeit festgelegten Ausbaugebiete die Ausbauplanungen begonnen. Die Deutsche Glasfaser schlägt nunmehr vor, auch für ein weiteres Gebiet „Baunatal West“ eine etwa acht Wochen andauernde Nachfragebündelung vorzunehmen. Aufgrund der positiven Erfahrungen in Baunatal werden realistische Chancen gesehen, die Gebäude in diesem Gebiet an das Glasfasernetz anzuschließen. Voraussetzung ist, dass in diesem Gebiet auch eine Anschlussquote von 40 % erreicht wird. Der zwischen der Stadt Baunatal und der Deutschen Glasfaser Wholesale GmbH bestehende Kooperationsvertrag soll entsprechend werden.
Beschlüsse des Haupt- und Finanzausschuss zu Abfallgebühren bestätigt und Corona Abstrich-Zentrum zurückgezogen
Der Haupt- und Finanzausschuss hatte in einer besonderen Sitzung bereits den Beschluss zur Änderung der Abfall- und Gebührensatzung der Stadt Baunatal gefasst und die Stadtverordneten bestätigten diesen Beschluss.
Der Antrag von BÜNDNIS90/GRÜNE zur Einrichtung eines „Corona-Abstrichzentrums scheiterte nicht nur im Haupt- und Finanzausschuss, sondern stieß auch in der Stadtverordnetenversammlung auf Kritik. Inzwischen gibt es eine Schwerpunktpraxis in Baunatal, was Edmund Borschel zu der Mutmaßung hinriss, Bürgermeisterin Silke Engler habe diese Information bewusst unterschlagen, um mehr Schärfe in die Diskussion zu bringen. Dr. Rainer Oswald wiederholte seine Position, dass die Stadtverordnetenversammlung nichts beschließen müsse, wofür die Kassenärztliche Vereinigung zuständig sei. Von einer Schwerpunktpraxis wussten aber weder Stadtverwaltung noch die Bürgermeisterin bis heute etwas. Sebastian Stüssel (CDU) bat die GRÜNEN den Antrag zurückzuziehen. Edmund Borschel dankte der Bürgermeisterin für die Darstellung, kritisierte dann stattdessen die intransparente Verfahrensweise Dritter und zog den Antrag zurück.
Studienstandort soll erhalten bleiben
Als Novum wurde ein Tagesordnungspunkt aus dem nichtöffentlichen Teil der Sitzung in den öffentlichen Teil verlegt. Zumindest, was die Regelungsinhalte betraf, Zahlen wurden aber vertraulich und also nichtöffentlich behandelt. Hintergrund: In Hertingshausen ist das Anwendungszentrums (AWZ) Metallformgebung in Baunatal in Schwierigkeiten geraten, die zuletzt vor allem durch die Corona-Pandemie verursacht wurden. Betroffen ist dort auch ein universitärer Forschungsbereich der Universität Kassel. Es ging um Aufhebung und Neuabschluss eines Erbbaurechtsvertrages.
Edmund Borschel (B90/GRÜNE) findet positiv: Es sei ein Universitätsstandort und 20 Arbeitsplätze wurden hier geschaffen, von denen nicht nur VW, sondern auch andere Automobilunternehmen profitieren. Sebastian Stüssel (CDU) erläutert, dass es um einen Trägerwechsel geht, nicht um einen Besitzerwechsel. Es ginge um ein deutliches Signal. Man stehe nicht nur in der Krise zu dem Programm, sondern hatte sich bereits vorher für eine Unterstützung stark gemacht. Mittel zur Betriebssicherheit standen bereits im letzten Haushalt. Zu einem geringen Preis ließen sich hier Anreize auch für weitere Betriebsansiedlungen und damit Wirtschaftsförderung realisieren. Im schlimmsten Fall wäre eine Abwanderung nach Kassel zu befürchten. Dr. Rainer Oswald (FDP) hat seine Meinung geändert und liegt jetzt auf Linie der Grünen. 50.000 Beschäftigte würden insgesamt von dieser anwendungsorientierten Forschung profitieren. Indirekt würde sich das Engagement rentieren. Christian Strube (SPD) schloss sich den anderen Fraktionen an und erinnerte daran, dass man seit über 10 Jahren bereits Metakus unterstütze.
Mitteilung zum Schluss
Katharina Martinovic verkündet ihre letzte Stadtverordnetenversammlung aus familiären Gründen. (rs)