FRIELENDORF. Normalerweise rast in Katastrophenfilmen ein Asteroid auf die Erde zu, den Bruce Willis dann mit einem Bohrloch und einer Atombombe zerstört oder ein Virus macht sich selbständig, für das Steven Seagal – aus einer alten indianischen Pflanze – binnen Tagen ein Gegenmittel zaubert, welches die Menschheit rettet. Erstaunlicher Weise ist die Gegenwart gerade ganz anders.
Die richtig gute Nachricht ist: Der Asteroid bleibt uns noch mindestens bis 2036 erspart, ziemlich sicher sogar noch viel länger. Die vermutlich weniger gute ist: Corona könnte solange treu an unserer Seite bleiben. Was uns so schrecklich trifft, als wäre ein Asteroid mitten in unser Leben gekracht, ist die Tatsache, dass es nicht wirklich eine Lösung gibt. Im Grunde wissen wir nicht, ob es überhaupt jemals einen Impfstoff oder ein Medikament geben wird und schon gar nicht, wann das sein könnte. Selbst der Blick nach Nordkorea, zum „am sichersten eingesperrten Volk der Welt“, verrät über verschiedene Quellen: auch dort treten in großem Maße Symptome auf, die sehr nach Corona aussehen. Obwohl man dort darüber genauso ungern spricht, wie über Freiheit, belegt es: dieser Erreger lässt sich weder einsperren noch aussperren und je länger wir dies versuchen, desto länger werden wir auch etwas von ihm haben; je weniger wir es tun, desto schlimmer könnte es kommen. Die einen würden das Virus gerne kontrollieren, die anderen am liebsten ignorieren.
Beides wird nicht funktionieren. Wie so oft, dürfte die Wahrheit zwischen Kontrolle und Ignoranz und in der Fähigkeit liegen, unangenehme Wirklichkeiten zu ertragen. Das fiese an der Situation ist, dass wir sie mit den uns bekannten Mitteln nicht beherrschen können. Darum ist sie so unerträglich und macht viele von uns inzwischen richtig wütend.
Viele, die gerne betonen, man müsse die Welt, und alles, was auf ihr passiert, ganzheitlich betrachten, fixieren sich plötzlich ausschließlich auf ein Virus und das, was es anrichtet. Dass es sein Unwesen treibt, könnte tatsächlich die Folge einer fehlenden ganzheitlichen Betrachtung unseres Planeten, unserer Umwelt und unserer Lebensbedingungen sein. Aber mit dem Hinweis, jedes Leben müsse gerettet werden, alles das, was unser Leben ausmacht, einzustellen, ist vermutlich auch wieder nur das Betrachten eines Ausschnitts und ganz sicher nicht ganzheitlich.
Am Ende ist alles immer nur eine Zählweise. Die Mathematiker haben gerade das Wort und entwickeln Szenarien darüber, wie die Krise verlaufen könnte. Dabei ist nicht einmal die Datengrundlage klar, niemand kennt den wirklichen Verbreitungsgrad, niemand die erreichte Immunität und niemand weiß, wie viele wirklich am Virus und nicht nur mit dem Virus sterben. Und niemand weiß, wie viele Menschen sich jetzt nicht das Leben genommen hätten, wäre alles normal geblieben, oder wie viele Menschen jetzt tatsächlich früher sterben werden, weil medizinische oder pflegerische Leistungen zurzeit nicht erbracht werden können. Die eine Zahl ermitteln wir mit einer deutlichen Unschärfe, die andere gar nicht, weil wir sie kaum erfassen können. Wollen wir auch gar nicht, denn dann müssten wir am Ende genau das tun, was wir um jeden Preis vermeiden wollen: Abwägen…
Ab morgen wird es lockerer. Das geht den einen zu weit, den anderen nicht weit genug, den einen zu schnell, den anderen zu langsam. Auch hier gilt: wir wissen nicht, was wirklich richtig ist. In gefühlt 500 oder mehr Gesprächen über Corona habe ich 1.000 Meinungen über das Virus und die richtige Verfahrensweise gehört, weil jeder seine eigene Sichtweise entwickelt und sich die meisten Menschen sogar eine Alternativmeinung „leisten“, wenn sie zugeben, dass schließlich auch alles anders sein könnte. Spätestens dann, wenn ich frage, ob sie die gleiche Meinung vertreten würden, wenn sie jetzt in der Regierung säßen und entscheiden müssten. So haben wir in Deutschland 82 Millionen oder vielleicht sogar 164 Millionen Meinungen und selbst die Virologen und Mathematiker verkünden stets voller Freude, dass sie Gott sei Dank nichts entscheiden müssen.
Ganzheitlich betrachtet könnte das Ergebnis immer ähnlich sein, ganz gleich, wie wir uns entscheiden. Ganzheitlich betrachtet wird es immer gut sein, die Verfügbarkeit von Ressourcen im Auge zu behalten. Allerdings dann auch die Verfügbarkeit aller Ressourcen.
Mein Dank gilt all denen, die sich über Lösungen Gedanken machen, anstatt nur Ängste zu äußern und all denjenigen, die sich in dieser Zeit trauen Entscheidungen zu treffen. Denn es bleibt allemal besser eine möglicherweise falsche Entscheidung zu treffen, als gar nichts zu entscheiden…
Ihr
Rainer Sander