Wohngemeinschaft hat Quarantäne überstanden
SCHWALMSTADT. „Wir haben immer gehofft, dass es nicht passieren würde, und dann war es auf einmal so weit“, sagt Bettina Röder-Niemand. Sie ist Teamleiterin von drei Wohngemeinschaften für Kinder und Jugendliche der Hephata-Behindertenhilfe in Schwalmstadt-Treysa.
Eine Mitarbeiterin aus ihrem Team wurde positiv auf Covid-19 getestet, die betreffende Wohngemeinschaft musste in Quarantäne, bis vergangenen Dienstag. Seitdem dürfen sich Röder-Niemand, die neun Mitarbeiter und sieben Kinder wieder frei bewegen.
„Die Kollegin sagte am Freitag vor zweieinhalb Wochen, sie fühle sich komisch. Ein Bekannter von ihr war positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Wir haben sie gleich aus dem Dienst genommen, am Montag ist sie zur Corona-Teststelle gefahren“, erinnert sich Bettina Röder-Niemand. Dienstagvormittag bekamen sie und die Kollegen dann Anrufe vom Gesundheitsamt. „Wir hatten am Donnerstag zuvor noch eine große Teamsitzung. Die Dame vom Gesundheitsamt hat am Telefon gefragt: War der Tisch, an dem sie saßen, breiter als 1,50 Meter? Haben Sie länger als 15 Minuten zusammengesessen? Danach stand fest: Wir müssen unseren Arbeitsplatz verlassen und in häusliche Quarantäne.“
Bis auf Bettina Röder-Niemand und Heilerziehungspflegerin Annika Horn verließen alle Mitarbeitenden die Wohngemeinschaft sofort. Die beiden Frauen organisierten zunächst die weitere Betreuung der Kinder. „Das Team war fix und fertig, dass es von den Kindern weg musste. Ich habe den Kindern gesagt, dass wir jetzt alle wegen des Virus nach Hause müssen. Louisa hat geweint und hatte Angst, dass wir nicht wiederkommen. Das war schwer“, sagt Annika Horn. Fünf Kinder konnten zu ihren Familien nach Hause fahren und dort die Quarantäne verbringen. Die zwei Kinder, die in der Wohngemeinschaft blieben, wurden von zwei Kollegen aus dem Kinder- und Jugendbereich und einer Schulassistentin betreut, die sofort einsprangen. Sie durften nur noch mit Mundschutz, Handschuhen und spezieller Quarantäne-Kleidung in die Wohngemeinschaft kommen.
Bettina Röder-Niemand sagt: „Viele Kollegen haben Verantwortung übernommen und Hilfe angeboten. Ich hatte mich vorher immer gefragt, wie das im Ernstfall gehen sollte. Es war für mich ein Glücksgefühl, dass es dann doch so gut gegangen ist.“ Auch im Hinblick darauf, dass weder bei den Kindern noch Mitarbeitern weitere Infektion auftraten und mittlerweile die eine betroffene Kollegin wieder genesen ist.
Doch die Tage bis dahin zogen sich in die Länge. Sowohl für die Mitarbeitenden als auch die Kinder. Louisa (14) war eines der beiden Kinder, das in der Wohngemeinschaft blieb. Sie erinnert sich: „Bei Quarantäne muss jeder zu Hause bleiben. Ich wohne hier gerne, aber das war komisch. Ich war traurig, weil meine Betreuer weg waren.“ Wie alle Schulkinder, musste auch sie jeden Tag Schulaufgaben erledigen, lenkte sich mit Spielen und Fernsehen ab. Ähnlich erging es den Mitarbeitern zu Hause.
„Wir sind untereinander mit WhatsApp in Verbindung geblieben und haben wenigstens einmal am Tag eine Stunde zusammen telefoniert. Wir haben uns gegenseitig in Krisenmomenten aufgebaut, uns sogar Blumensträuße zugeschickt“ so Annika Horn. Sie selbst lenkte sich mit Puzzeln ab. „Ich habe eins mit 1.000 Teilen bestellt und war schon nach zwei Tagen fertig.“ Annika Horn ist auch ehrenamtlich im DRK und Katastrophenschutz tätig. Sie nutzte die Quarantänezeit, um gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen und dem Kreisverband des DRK das Nähen von Mundschutz anzukurbeln. Der Kinder- und Jugendbereich der Hephata-Behindertenhilfe bekam im Anschluss 32 Mundschutz für Kinder und 50 für Mitarbeiter geschenkt.
Bettina Röder-Niemand machte in der Quarantäne Homeoffice und erlebte eine Welle der Hilfsbereitschaft von Nachbarn und Kollegen: „In der ganzen Angst, dass die Kinder oder wir uns selbst angesteckt haben könnten, gab es dieses liebevolle Miteinander. Das war toll und wirkt bis heute.“
Heute, das ist der Weg zurück in die Normalität, mit angezogener Handbremse. Aufgrund des Besuchsverbotes in Hessen bleiben die fünf Kinder bis Ostern bei ihren Familien. Die beiden anderen dürfen zwar wieder aus der Wohngemeinschaft rausgehen, aber nicht ihre Familien sehen. „Wir begrüßen uns mit Ellenbogen oder den Füßen, liebevoll aber vorsichtig“, sagt Annika Horn. Bettina Röder-Niemand ergänzt: „Hoffentlich war das die letzte Quarantäne. Es kann jeden Tag wieder so sein. Nicht nur bei uns, sondern bei allen Menschen. Corona wird uns nicht fertig machen, aber es wird uns was zeigen über Verantwortung und Zusammenhalt.“ (pm)