WABERN / HOMBERG/EFZE. Der Waberner Autor Thomas Schattner hat in den vergangenen Wochen und Monaten drei langjährige Buchprojekte vollenden und abschließen können. In Zeiten von COVID-19 und der damit verbundenen mitunter deutlich längeren Verweildauer in den eigenen vier Wänden kann vielleicht auch der Griff zu einem historischen Buch für etwas Abwechslung sorgen.
Der erste Band beschäftigt sich mit Homberg im Zweiten Weltkrieg. In seinem Vorwort schrieb der Historiker M.A. Ingo Sielaff über das reich bebilderte Werk: „Der Autor zeichnet eindringlich nach, wie tief der Nationalsozialismus, der Rassenwahn, der Antisemitismus und der Zweite Weltkrieg den Alltag und das Leben der Menschen auch in Homberg prägten.
Dargestellt wird, wie ein Lebens- und Arbeitsbereich nach dem anderen in Mitleidenschaft gezogen wird. Wie Eintopfsonntage zum Alltag wurden, ausländische Zwangsarbeiter allerorten schufteten und Rationierungen die Essensportionen auf ein Minimum schrumpfen ließen. Der antisemitische Film „Jud Süß“ lief eben auch im Homberger Kino. Die Vereidigung des Volkssturms fand eben auch in der Reformationsstadt statt – ebenso wie die Verpflichtung der Hitlerjugend, die noch in den Jahren 1944 und 1945 an die Fronten geschickt wurde. Besonders eindrücklich sind die Schilderungen der Deportationen und der Ermordungen in den Konzentrations- und Todeslagern. Der Holocaust fand auch in Homberg statt
Genau daran muss heute wieder erinnert werden. Thomas Schattner zeigt auf, wie nationales und rassistisches Denken aus kleinsten Anfängen heraus den Weg zu Krieg, Not, Elend, Völkermord und Tod ebnet. Viele Homberger Bürger werden es 1945 bitter bereut haben, den Parolen und den Versprechungen der Nationalsozialisten gefolgt zu sein. Vielleicht erklärt sich auch aus dieser Scham und Mutlosigkeit die Tatsache, nicht über die NS-Jahre sprechen zu wollen und stattdessen lieber zu schweigen.
Das Verschweigen ist aus Sicht der Nachwelt jedoch grundlegend falsch. Denn Schweigen und Unkenntnis verhindern das Lernen aus Geschichte. Gerade heute, wo rechtsradikale Parolen wieder Gehör finden, wo Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung diffamiert werden, wo Hass und Hetze toleriert werden und Juden wieder beschimpft und tätlich angegriffen werden, sollten wir die Mechanismen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen können, die einen Wiederaufstieg rechtsradikaler, populistischer Strömungen begünstigen und ermöglichen. Die vorliegende Publikation erfüllt diese Aufgabe, indem sie in allgemeinverständlicher, prägnanter Form die Auswirkungen der NS-Politik in der Vergangenheit beschreibt. So entsteht eine Blaupause, die erkennen lässt, was in Zukunft passieren könnte, wenn Arroganz, Rassismus, Antisemitismus, Terror und Gewalt erneut in Deutschland politische Macht erringen“.
Homberg/Efze im Zweiten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung der Werbe- und Propagandaanzeigen im Kreisblatt: Grundlegende sozialgeschichtliche Betrachtungen im Kreis Fritzlar-Homberg 1939 bis 1945, 430 Seiten, erschienen bei Amazon, 10,70 €
Der zweite neue Band ist dem überzeugten Kommunisten Walter Stahnke (1909 bis 1993) aus Borken gewidmet, der sich aufgrund seiner Ablehnung des Nationalsozialismus in der NS-Zeit mehrheitlich in den Haftstätten des NS-Regimes und im Strafbataillon 999 befand.
„Sein Lebenslauf liest sich wie der eines Schwerverbrechers“, so der Borkener Historiker Ingo Sielaff. Und weiter: „Walter Stahnke kam in den 1930er Jahren in Schutzhaft, saß mehrere Jahre im Zuchthaus ab, diente im Zweiten Weltkrieg als Soldat im berüchtigten Strafbataillon 999. Trotz seines vermeintlichen Strafregisters gilt es, genauer hinzusehen. Die Rechtsgrundlage zur Begründung für seine Inhaftierung war die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933. Diese Verordnung ermöglichte dem nationalsozialistischen Regime, politische Gegner willkürlich zu verhaften, zu kriminalisieren und zu drangsalieren.
Der Land- und Bergarbeiter Walter Stahnke verstieß bewusst gegen das NS-Unrechtssystem. Er arbeitete im Hintergrund am Aufbau einer regionalen, als illegal gebrandmarkten Zelle der Kommunistischen Partei; er verteilte Flugblätter und trat für seine Überzeugung ein. Dies wurde ihm im Jahr 1936 vor Gericht als „Hochverrat“ ausgelegt. Nicht nur, dass Walter Stahnke eine Zuchthausstrafe verbüßen musste. Im Zweiten Weltkrieg diente er als Pionier im Strafbataillon 999, einem Himmelfahrtskommando. Stahnke überlebte und geriet in Afrika in Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg kehrte Walter Stahnke nach Borken zurück, erhielt eine Entschädigung für das erlittene Unrecht, doch es scheint so, dass auch lange nach dem Ende der NS-Diktatur immer noch viele Menschen in ihm einen Kriminellen sahen.
Stahnkes Schicksal wirft die Frage auf, ob nicht auch die Handlanger der Diktatur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft hätten gezogen werden müssen. Zwar wurden einige SA- und SS-Leute, die Stahnke und andere NS-Gegner körperlich misshandelt hatten, vor Gericht gestellt, doch sie erhielten – wenn überhaupt – nur geringe Strafen. Die Richter, die Stahnke verurteilten, der Beamte, der den Schutzhaftbefehl unterzeichnete und der Denunziant, der den Flugblattverteiler verriet, wurden juristisch jedoch nicht belangt.
Immerhin: Deutsche Gerichte, die, wie vor kurzem geschehen, den Buchhalter von Auschwitz schuldig sprechen, machen Hoffnung, dass auch solche Menschen Verantwortung tragen, die nur ein kleines Rädchen im Unrechtssystem sind“.
Walter Stahnke, ein überzeugter Kommunist und Gegner des Nationalsozialismus aus Borken, 164 Seiten, erschienen bei Amazon, 10,70 €
Das dritte neue Werk Schattners erweitert den Blick auf die jüdische Geschichte Waberns. Im Jahr 2001 konnte der Autor sein erstes Buch zur jüdischen Geschichte Waberns veröffentlichen („Wabern ist frei von Juden“, Namen und Schicksale der jüdischen Bürger Waberns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Hrsg.: Gemeinde Wabern). 19 Jahre später zeugt nun diese kleine Broschüre davon, dass die jüdische Geschichte Waberns viel älter ist und zumindest zurück bis ins später 18. Jahrhundert nachweisbar ist. Die Familie Löwenstein aus der Bahnhofstraße (Nummer 31) verbindet die beiden Publikationen inhaltlich. Die jüdische Tradition Waberns endet erst im Oktober 1938 als die letzte am Ort verbliebene jüdische Familie (Frenkel) unter dem nationalsozialistischen antisemitischen Terror den Ort verließ.
Das verwendete Quellenmaterial ist sehr skizzenhaft. Oft können nur die Namen der jüdischen Bürger veröffentlicht werden, da hauptsächlich Urkunden und Grabsteine die einzigen Nachweise jüdischen Lebens im 18. und 19. Jahrhundert am Ort sind. Dennoch hat sich der Autor dazu entschlossen, das Material zu veröffentlichen, weil es einerseits einen wichtigen und vertiefenden bzw. ergänzenden Beitrag zur Ortsgeschichte leisten kann, andererseits zumindest ansatzweise eine Forschungslücke geschlossen werden kann.
In Zeiten des aktuellen und wiedererstarkten Antisemitismus – statistisch wurden vor Beginn der Corona-Krise fünf antisemitische Anschläge pro Tag in der Bundesrepublik begangen – tut jeder Ort und jede Stadt gut daran, sich seiner individuellen jüdischen Vergangenheit bewusst zu sein bzw. zu werden. Aufgrund dieser kleinen Studie beginnt diese in Wabern spätestens nachweislich im Jahr 1796. Erst 142 Jähre später endete Waberns jüdische Geschichte gewaltsam.
Waberns ältere jüdische Geschichte: Namen und Schicksale der jüdischen Bürger Waberns im 18. und 19. Jahrhundert, 52 Seiten, erschienen bei Amazon, 5,35 €
1 Kommentar
Ich finde es sehr,sehr gut wie die Geschichte der Vergangenheit aufgearbeitet wird.Nun sollte auch die Bücher über die örtlichen Buchläden vertrieben werden und nicht über Amazone die in der jetzigen Kriese bald die Buchlieferung einstellen und nur mit Sachen zur Zeit die für Corona sind riesigen Profit machen. Das der Herr Schattner dies unterstützt finde ich einfach unmöglich,noch dazu das der Riese fast keine Steuern zahlt aber alle wollen Bildung und auf sicheren Straßen fahren oder???
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