Stadtverordnetenversammlung: erst Brechstange – dann Abbruch
SCHWALMSTADT. Wenn auf der Tagesordnung einer Stadtverordnetenversammlung „Verabschiedung des Haushaltes“ steht, ahnt man lebhafte und lange Diskussionen. Genau diese blieben in der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Schwalmstadt am Donnerstagabend aber aus. Dennoch ging sie erst gegen 23:00 Uhr zu Ende.
Es war eine denkwürdige Sitzung, die die Schwalmstädter Stadtverordneten so schnell nicht vergessen werden. Allen Fraktionen war anzumerken, dass sie den Haushalt durchaus kritisch betrachten und auch die Euphorie bei Bürgermeister Stefan Pinhard, welche die letzten Jahresabschluss- und Haushaltsdebatten vor dem Hintergrund – meist überraschend – positiver Zahlen stets begleitet hat, schien verflogen. „Der Haushalt ist auf Kante genäht“, so die nüchterne Aussage des Verwaltungschefs. Eigentlich müsse man den Gürtel enger schnallen.
Für Hauskauf und für Jugendarbeitskonzept
1,6 Millionen Euro Überschuss werden erwartet und selbst die sind bei einem Volumen von 50 Millionen Euro kaum mit einer Punktlandung zu schaffen. Erinnert man sich daran, wie viele Änderungswünsche und -anträge den Haushalt 2019 noch begleitet hatten, bewegten sich zumindest die formulierten Wünsche für 2020 im bescheidenen Rahmen. Für 50.000 Euro soll ein Haus gekauft und beispielsweise als Musterhaus für die Altstadtsanierung hergerichtet werden. Leidenschaftlich warb Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) für die Streichung von Ausgaben für ein Jugendarbeitskonzept, dass ein Erzieher nach dem Examen bereits schreiben könne und also die Stadt nicht das Jahresgehalt eines wissenschaftlichen Mitarbeiters bezahlen müsse (50.000 Euro) und den Verzicht auf eine Statue für 125.000 Euro. Die Stadtverordneten entschieden sich für den Hauskauf, aber auch für das Konzept in der Jugendarbeit und mahnten gleichzeitig Sparsamkeit an. Während sich die CDU enthielt, stimmte die Mehrheit der Stadtverordneten für den Haushalt 2020.
Straßen werden auch weiterhin gebaut…
Gleichzeitig stand die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge auf der Agenda und dieser Punkt beschäftigte die 31 anwesenden Stadtverordneten so lange, dass die Sitzung schließlich vorzeitig beendet wurde. In der Diskussion ging es lebhaft zu und das, obwohl doch im Haupt- und Finanzausschuss alle Fraktionen bereits gemeinsam eine abermalige Vertagung des Themas beschlossen hatten. Allein die CDU bestand nun auf Abstimmung über ihren Antrag. So war eigentlich niemand darauf vorbereitet, Stellung zu beziehen und eine Diskussion zu führen. Es gab keine vorbereiteten Redetexte und keine abschließende Haltung aller Fraktionen. Entsprechend emotionsgeladen war die Diskussion.
Die Redebeiträge wurden trotzdem immer länger und Begründungen, wie „ich habe ja zum Haushalt wenig gesagt“, dienten schließlich zur Erklärung dafür, jetzt etwas mehr zu sprechen. Dabei wurde eindrucksvoll deutlich, dass die Komplexität der Finanzierung einer Kommune und ihrer Straßen ein ehrenamtliches Gremium durchaus an den Rand seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten führen kann. Bürgermeister Stefan Pinhard erinnerte an die drei Referenten, die in Bürgerversammlungen das Thema jüngst dargestellt haben. Darunter ein ehemaliger Bürgermeister, ein ehemaliger Verwaltungsrichter und ein Vertreter der Bürgerinitiativen gegen die Straßenbeiträge.
Traum oder Albtraum
Selbst das Problem ist nicht in wenigen Minuten erklärt, das haben die Referenten der Bürgerversammlungen bewiesen. Entsprechend hoffnungslos ist der Versuch Lösungen in wenigen Worten zu beschreiben. Eine Kurzfassung mag helfen:
Eine Stadt kann – und vielleicht muss sie es sogar – zur Finanzierung ihrer Straßen die Anlieger vollständig zur Kasse bitten. Tut sie es nicht, sondern erhöht beispielsweise stattdessen die Grundsteuer, erhöht sie damit ihre allgemeinen und nicht zweckgebundenen Einnahmen und erhält im Gegenzug weniger Schlüsselzuweisungen und muss Nachteile im kommunalen Finanzausgleich hinnehmen. Wer hohe Gebühren vermeiden will, kann vorsorglich wiederkehrende Straßenausbaubeiträge einführen, nach denen die Bürger dann jedes Jahr ein bisschen Straße bezahlen oder die Möglichkeit zur Stundung und Ratenzahlung einführen. Die einfachste Alternative ist, weniger Straßen zu bauen und marode Verkehrswege in Kauf zu nehmen oder immer lauter auf Land und Bund zu schimpfen. Das baut keine Straßen auf, aber vielleicht Aggressionen ab…
Es gab in Deutschland tatsächlich Zeiten, da haben die gezahlten Steuern ausgereicht, um das Gemeinwesen (einschließlich des kommunalen Gemeinwesens) zu finanzieren. Inzwischen zahlen die Bürger – je nachdem wo sie zu Hause sind – zum Beispiel die Straßen, in denen sie wohnen, zusätzlich selbst oder eben nicht. Während Städte wie Baunatal, trotz schwieriger Haushaltssituation das Erheben von Straßenausbaubeiträge kategorisch ablehnen, werden Schutzschirm-Kommunen – zu denen Schwalmstadt nicht zählt – und solche, die ihren Haushalt nicht ausgleichen können, vom Land gezwungen, Straßenbeiträge zu erheben. Schwalmstadt tut dies. Je nach Straße und Grundstücksgröße kann so ein Bescheid schon mal die Marke von 50.000 Euro erreichen oder gar übersteigen und damit wirtschaftliche Existenzen gefährden. Das Eigenheim für Jeden, also auch für den gern zitierten „Kleinen Mann“ (oder die „Kleine Frau“) wird dann schnell vom Traum zum Albtraum.
Drei Ideen aber keine Ideal-Lösung
All das floss am Donnerstagabend in die Diskussionspunkte ein und wirklich jedem im Saal schien klar, dass es keine Lösung gibt, mit der Stadt und alle Bürger gleichermaßen zufrieden sein werden. Die Fraktion DIE LINKE hatte bereits im Jahr 2018 die vollständige Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gefordert, die CDU hatte im Dezember 2019 nachgelegt und wünscht nun eine Begrenzung des „Maximalstraßenbauvolumen“ pro Jahr auf 1 Million Euro, eine Überprüfung nach 2 Jahren und die Einführung eines Straßenkatasters sowie einer Tiefbausatzung, um besser planen und steuern zu können und unnötige Ausgaben zu vermeiden. Zwischenzeitlich hatten SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Januar 2019 einen Antrag zur Einführung wiederkehrender Beiträge eingebracht.
Inhalt der Diskussion am Donnerstagabend waren also weniger die Inhalte, sondern die Positionen zu den Inhalten. Während sich die Redner auf Seiten der SPD, wie Daniel Helwig, Patrick Gebauer und vor allem Michael Schneider mit Sorge und Unverständnis zu Wort meldeten und Bürgermeister Stefan Pinhard daran erinnerte, dass man gerade eben erst einen Haushalt verabschiedet habe, der von Einnahmen durch Straßenbeiträge ausgeht, stand Marcus Theis (CDU) auf dem Standpunkt, dass auch weitere Diskussionen keine neuen Erkenntnisse bringen würden und erinnerte daran, dass die SPD-Landtagsfraktion auf Landesebene die Abschaffung der Beiträge gefordert hat. Die SPD in Schwalmstadt erinnerte daran, dass dies nicht ohne Gegenfinanzierung möglich sei und seitens der CDU wurde dagegengehalten, dass der Begriff Gegenfinanzierung ein Relikt aus Zeiten der Kamera listig sei.
Wende dank Dirk Spengler (CDU)
Während Dr. Jochen Riege (B90/GRÜNE) zwar von Vertrauensbruch sprach, aber gleichzeitig um Konsens und Lösung bemüht war, brach Thomas Kölle (FW) sogar einen Redebeitrag in der emotionsgeladenen Diskussion ab. Die Freien Wähler sind landesweit Vorreiter für die Abschaffung von Straßenbeiträgen. Es war zu spüren, dass zwar alle das bisherige System als minimal gerecht betrachteten, aber nicht alle gleichzeitig dafür verantwortlich sein wollen, wenn die Finanzierung irgendwann nicht mehr funktioniert. Für den Durchbruch schien Dirk Spengler (CDU) zu sorgen, als er mit einer leidenschaftlichen Rede dafür warb, die Chance zu nutzen, doch noch einmal miteinander zu reden und jetzt keine Abstimmung zu erzwingen. Daraufhin wurde die Sitzung unterbrochen, die Fraktionsvorsitzenden gingen ins „Séparée“ und eine Vertagung schien greifbar.
Nach mehr als 15 Minuten Pause für die übrigen Stadtverordneten, stellte Marcus Theis nüchtern fest, es habe keine Erkenntnisse gegeben, die eine Vertagung rechtfertigen würden. Was er nicht ahnte, war das mit zwei Enthaltungen aus seiner Fraktion der Antrag scheitern sollte, obwohl die LINKE ihren Antrag zugunsten des CDU-Antrages sogar zurückzog. 15 Stimmen aus CDU, FW, FDP und LINKE reichten nicht aus.
So wurde Spenglers leidenschaftlicher Konsens-Versuch nicht zur Lösung, immerhin führte er aber dazu, dass sich die Stadtverordneten nun noch einmal mit dem Thema befassen müssen, denn zumindest in einem sind sich alle Fraktionen einig: es sollte eine andere Lösung geben, als die bisher praktizierte. Auch der Magistrat hatte sich – wenn auch spät – mit einem Vorschlag zu Wort gemeldet und die Wut stand den Magistratsmitgliedern nahezu aller Parteien regelrecht ins Gesicht geschrieben. Magistrat und Stadtverordnete sind in Schwalmstadt nicht immer einer Meinung und das sprengt durchaus Parteibindungen auf.
Am Hallenbad geht‘s weiter…
Nicht mehr beschäftigen mussten sich die Stadtverordneten nach vorzeitiger Beendigung der Sitzung mit dem Programm „100 wilde Bäche“ und Renaturierung des Ittersbachs in Allendorf, einem Nachtrag zur Verwaltungskostensatzung der Stadt Schwalmstadt, der Benennung der neuen Straße für das Neubaugebiet „Altes Feld“ im Stadtteil Treysa, einem Antrag der Fraktion Freie Wähler Schwalmstadt zum „Kostenfreien Hessenticket für alle Schülerinnen und Schüler“, einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU und SPD zur Errichtung und Ausgestaltung einer Gedenkstätte „DER KALTE KRIEG“ im ehemaligen Sondermunitionslager Rörshain, einem Antrag der Fraktion Die Linke zur Änderung der Satzung für die kommende Saison des städtischen Freibades (Eintrittsgelder).
Lediglich die Bauleitplanung für den Bebauungsplan „Unterer Sand“ im Stadtteil Treysa wurde noch abgestimmt, um die Errichtung eines Fitness- und Wellnesscenters am Hallenbad bauplanungsrechtlich abzusichern. Dabei sollen die Nutzungen Naturlehrgebiet und Hallenbad erhalten bleiben, so der einmütig verabschiedete Antrag. (rs)