„Ein erster Schritt für gegenseitiges Verständnis“ an der MES
ALSFELD. Merve Yildirim aus Stadtallendorf ist Muslima. Das heißt: fünf Mal am Tag beten. Auch in der Schule. Keine so leichte Aufgabe, denn dazu gehört zum Beispiel auch die Gebetswaschung – also das Waschen von Händen, Mund, Nase, Gesicht, Unterarmen, Kopf, Ohren, Nacken und der Füße.
Dass ihr jemand „scheiß Kopftuchträgerin“ nachsagt, kennt Merve. Und fürs Füße waschen auf dem Schulklo haben auch nur wenige Verständnis. Doch zum Glück hat die junge Frau ihre Freundinnen – alles Christinnen, die gerne Wache vor der Klotür halten, damit Merve ungestört den Pflichten ihres Glaubens nachkommen kann.
Merve Yildirim ist zwischen der Alltagsdiskriminierung, die sie immer mal wieder erlebt, dankbar für tolerante Menschen wie ihre Freundinnen, die in der Schule einen schützenden Kreis um sie bilden, damit sie beten kann. Auch die Angst davor, dass ihr etwas aufgrund ihres Glaubens angetan werden könne, kennt sie: „In Stadtallendorf nicht so sehr, da sind die Menschen mir vertraut, aber in Großstädten, wie zum Beispiel Frankfurt, da hab‘ ich viel Angst“, sagt die 23-Jährige. Vor allem, nachdem in Hanau gerade zehn Personen in und vor zwei Shishabars ermordet wurden und Indizien für einen rassistischen Hintergrund vorliegen. Damit die Angst weniger und die Toleranz in der Gesellschaft mehr wird, fand jetzt an der Alsfelder Max-Eyth-Schule wieder der Weltreligionentag statt – bei dem Merve Yildirim neben weiteren Religionsvertretern mit den Schülerinnen und Schülern über ihren Glauben gesprochen hat.
Was sagt meine Religion zu Homo- und Transsexualität? Welche Rituale und Bräuche gibt es in meiner Religion? Wieviel Vielfalt kann eine Gesellschaft aushalten? Welche Herausforderungen gibt es beim Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion? Was ist wichtig, damit eine Gesellschaft stabil ist und zusammenhält? Antworten auf diese und viele weitere, spannende Fragen bot der Weltreligionentag. Dieser Tag hat an der MES Alsfeld lange Tradition: Bereits zum 15. Mal hat er jetzt stattgefunden. Das Ziel: Die Begegnung von Mensch zu Mensch. „Es geht um persönliche Zugänge zum Glauben“, erklärte Kathrin Landwehr, Jugendreferentin im katholischen Dekanat Alsfeld. Zusammen mit Christine Schellhaas, Schulpfarrerin der MES, Aegidius Kluth, Religionslehrer an der MES, sowie einem Vorbereitungsteam der Fachschaften Religion, Ethik und Politik der Europaschule hat sie diesen Tag erneut organisiert. Der Weltreligionentag mit dem Titel „Toleranz und Wahrheit – Das Wesentliche zeigt sich in der Begegnung“ wird gefördert vom Bundesprogramm „Demokratie leben“.
Über 100 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 16 und 20 Jahren aus den Klassen 11 BG2, 11 BG3, 12 FOS sowie 12 FOBG tauschten sich angeregt in Gruppengesprächen aus mit verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern aus Christentum, Judentum und Islam – darunter unter anderem Merve Yildirim von der Moscheegemeinde Stadtallendorf. Gesprochen wurde über die drei Themenblöcke „Liebe, Partnerschaft und Sexualität“, „Tod und Sterben“ sowie „Zusammenleben in der Gesellschaft“.
„Realität kann sehr unterschiedlich verstanden werden, je nachdem, welche Perspektive man hat“, erklärte Thomas Möller, Stellvertretender Schulleiter der MES bei der Begrüßung in der Aula. Jeder nähme etwas anderes wahr, und dennoch entspreche es der Wahrheit. „Und so kann man es auch mit den drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam sehen.“ Denn auch im Glauben habe jeder seine subjektive Wahrheit. „Miteinander sprechen und sich gegenseitig über seine Religion, Ansichten und Werte austauschen, ist umso wichtiger in der heutigen Zeit. Vor allem nach dem Anschlag in Hanau“, mahnte auch Christine Schellhaas. Sie betonte, wie wichtig es gerade aktuell sei, dass die Menschen und die Religionen Hand in Hand gingen. „Die Schüler sollen erkennen, dass ihnen ein Mensch begegnet, egal welchen Glauben dieser hat. Wir wollen mit diesem Tag dazu beitragen, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen und Toleranz und Verständnis zu fördern.“
Gemeinsam legten Schüler, Lehrer und die Gäste eine Schweigeminute für die Opfer in Hanau ein, ehe es für die einzelnen Gruppengespräche in die Klassenräume ging. Jeweils eine Stunde konnten sie dort gemeinsam mit Vertretern der Religionen sprechen, dann zogen die Schülerinnen und Schüler weiter, um sich dem nächsten Thema zu widmen.
Als Religionsvertreter gekommen waren Thorsten Schmermund von der Jüdischen Gemeinde Marburg, Wolfgang Hengstler, von der Jüdischen Gemeinde Fulda, Käthe Wildner sowie Pfarrer Johannes Wildner von der Evangelischen Gemeinde Schlitz, Bruder Gerhard Busche vom Franziskanerkloster Fulda, Hasan Erden und Hatice Sargül von der Moscheegemeinde Alsfeld sowie Merve Yildirim und Aleyna Karahan von der Moscheegemeinde Stadtallendorf. In jedem Klassenzimmer saßen jeweils drei von ihnen als Vertreter der einzelnen Religionen und standen den Schülern Rede und Antwort. „Es war uns dabei besonders wichtig, dass es sich bei den Gesprächsrunden nicht um Vorträge handelt, sondern um einen gemeinsamen Austausch“, erklärt Christine Schellhaas.
Bereits nach den ersten Fragen der Schüler wurde deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen Religionen zu verschiedenen Themen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe oder Sex vor der Ehe stehen. Während das Christentum zum Beispiel vorehelichem Sex inzwischen recht gelassen gegenüberstehe, sei dies im Islam und im Judentum immer noch nicht gern gesehen. Ähnlich sei es mit der Scheidung. „In manchen jüdischen Familien kann das sogar zur Familienverstoßung führen“, erklärte Thorsten Schmermund von der Jüdischen Gemeinde Marburg. Doch so groß wie die Unterschiede innerhalb der Religionen teilweise auch sind, ebenso viele Gemeinsamkeiten sowie die Einigkeit in verschiedenen Ansichten gibt es – zum Beispiel der Wunsch nach einem friedlichen Miteinander innerhalb unserer Gesellschaft.
Die Schülerinnen und Schüler konnten am Weltreligionentag viele neue Erkenntnisse mitnehmen. Besonders interessiert zeigten sie sich an den Erfahrungen von Merve Yildirim und Aleyna Karahan. „Draußen kann man natürlich niemanden einfach so auf der Straße ansprechen und ihn mal eben nach seinem Glauben fragen“, sagt die 21-jährige Aleyna Karahan von der Moscheegemeinde Stadtallendorf. „Wir sind ja auch nicht viel älter als die Schüler hier. Es ist uns wichtig, hier von unserem Alltag unserer Religion zu erzählen. Verstehen und verstanden werden – das liegt uns am Herzen. Denn wir glauben doch schließlich alle an etwas.“
Das Vorbereitungsteam des diesjährigen Weltreligionentages zeigte sich mit dem Verlauf sehr zufrieden. „Auch in diesem Jahr war in den Gesprächen zu spüren, dass die jungen Menschen an Glaubens- und Lebensfragen sehr interessiert sind und ihnen eine Bedeutung zumessen, für sich persönlich oder für die Gesellschaft“, sagt Kathrin Landwehr. Es sei daher wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem sich Menschen über persönliche Religions- und Glaubensauffassungen austauschen können. „Die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch ist der erste Schritt für gegenseitiges Verständnis. Dadurch können Religionen zu einem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft beitragen und Gesellschaft mitgestalten.“ (pm)
1 Kommentar
Mit 23 Jahren geht sie noch zur Schule?
Und solange in moslemischen Ländern Christen zu leiden heben, nur weil sie Christen sind, sehe ich keinen Grund zur Toleranz bei uns. Bei uns und von uns wird immer nur gefordert!
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