FRIELENDORF. Wir haben 2020. Schon angekommen im neuen Jahrzehnt, den „Goldenen 20ern“ der 2000er Jahre? Begonnen hat es natürlich nicht golden, sondern „schwarz auf weiß“. Wir bekommen jetzt alle einen Bon in die Hand gedrückt, egal, was wir kaufen. Toll!
Kaum zu glauben, dass so kleine und unbedeutende Papierschnipsel, die es im Supermarkt und im Restaurant gefühlt schon immer gegeben hat, die wichtigen Themen der Weltgeschichte verdrängen können! Der Bon am Kiosk für den 10-Cent-Pausen-Lutscher, in der Bäckerei für jedes einzelne Brötchen, beim Friseur für den Trockenschnitt, im Kirmeszelt für jeden Schoppen, im Gartencenter für die Petersiliensamen, beim Fußballspiel für die Bockwurst und bei Konzerten für die Laugenbrezel und das schnelle Bier in der 15 minütigen Pause verdrängen Migration und Gewalt von Links oder Rechts auf die Plätze…
Nun ist im Grunde ausdiskutiert, dass die Millionen oder Milliarden an Thermo-Bons, die jetzt zusätzlich produziert werden, nicht besonders umweltfreundlich sind. Zum einen wegen der Chemie im Papier, zum anderen wegen der Flut von Papier, die über uns und die Müllverbrennungsanlagen hereinbricht… Mich bewegt etwas ganz anderes:
Wir stehen an der Schwelle zur Digitalisierung. Wir erleben, dass Computer, Roboter und technische Innovationen dafür sorgen, dass medizinische Versorgung und sogar Pflege leichter werden, dass Autos selbst fahren, dass Gesundheitsdaten auswertbar werden, dass sogar komplizierte Auskunftssysteme automatisiert werden, komplexe Arbeitsabläufe computergesteuert ablaufen, Verbrauchsdaten übertragbar werden und bekommen eine Ahnung davon, was zukünftig digital noch alles möglich sein wird. Selbst das Finanzamt erkennt digitalisierte Belege inzwischen an. Die müssen gar nicht mehr auf Papier vorhanden sein. Machen Sie doch mal den Test und bringen sie ihre gesammelten Bons dorthin… 🙂
Das alles wird unser Leben revolutionieren und es verlangt gleichzeitig nach Menschen, die diese Entwicklung souverän steuern und darauf achten, dass wir dabei vor Schaden bewahrt werden. Also auch Politiker, die den Überblick bewahren und etwas von der neuen Materie verstehen. Aber genau in diesen Trend hinein, entscheiden Minister und Angeordnete, die versprochen haben, dass sie uns mit Sachverstand in und durch die Digitalisierung führen, gegebenenfalls mit Gesetzen dafür sorgen, dass wir in der Digitalen Welt keine Nachteile erleiden und die Automatisierung zu unserem Nutzen erfolgt, dass überwiegend nutzlose Bons auf Papier (!) produziert werden. Hersteller von Thermo-Druckern, die das Ende ihrer Produkte schon vor Augen hatten, reiben sich diese immer noch.
Der Anfang ist nicht nur mächtig danebengegangen: wer solche Entscheidungen trifft und gesetzlich regelt, dass Papier gedruckt wird, dass das Finanzamt gar nicht haben will, kann gar nicht begriffen haben, was Digitalisierung bedeutet. Und das macht mir Angst! Dazu passt die Antwort, die ich in einem nordhessischen Rathaus jüngst auf die Frage erhalten habe, „ob ich Rechnungen auch per E-Mail schicken darf?“ Klar, geht! Die werden dann in dem auftraggebenden Fachbereich ausgedruckt, auf sachliche und rechnerische Korrektheit geprüft, per Hauspost in der Buchhaltung getragen und dort – das Rathaus ist schließlich digitalisiert – wieder eingescannt…
Das geschieht an den Schaltstellen, in denen wir diesen souveränen und vorausschauenden Umgang mit der Digitalisierung erwartet und vermutet haben. Pustekuchen! Und die Bons gibt es nur, damit wir Kunden in den „Prüfungsprozess“ eingespannt werden. Mit etwas digitalem Verständnis wäre eine Regelung möglich gewesen, die nicht alle bestraft, auch die ehrlichen, sondern Manipulationen digital ausschließt. Das Restrisiko des dreisten Betruges bleibt in jeder Variante bestehen.
Wer in Wahlkämpfe geht mit Slogans wie „Wir haben verstanden!“ und verspricht, mehr Sorgen der Bürger zu erspüren, verspielt mit solchen Entscheidungen nicht nur weiteren Kredit, sondern beweist, dass er von Zukunft entweder nicht viel verstanden hat oder bereit ist, wider besseres Wissen etwas zu entscheiden. Schade eigentlich…
Ihr
Rainer Sander
4 Kommentare
Schön zu lesen!
Ich korrigiere: Das muß natürlich heißen….das Jahrzehnt ab 2011…..
Wieso höre ich immer daß wir in einem neuen Jahrzehnt sind? Das erste Jahrzehnt nach 2001 endet erst am 31.12.2020.Danach beginnt das nächste Jahrzehnt. Unabhängig davon ist die neue “Bon-Wirtschaft“ einer von vielen Schwarzenbörner Streichen die die wenigsten verstehen.
Der Kioskverkäufer oder der mobile Eisverkäufer werden das am Wenigsten verstehen……
Willkommen auf der Goldwaage! Mal sehen, ob wir beide darauf Platz finden 🙂 Wenn ich von 20er Jahren spreche, so gehört das Jahr 20 zu den 20ern und nicht zu den 10ern… Rein rechnerisch stimmt’s allerdings: erst am Ende des 20. Jahres endet das 2. Jahrzehnt. Andererseits beginnen jedes Jahr auch 10 neue Jahre oder 100 oder 1000…
Kommentare wurden geschlossen.