WETZLAR / MELSUNGEN. Das Hoch bei der MT Melsungen hält weiter an, die Nordhessen gewannen am Sonntag in Wetzlar mit dem Hessenderby gegen die dortige HSG ihr sechstes Pflichtspiel in Folge und stehen nun mit 13:5 Punkten auf dem vierten Tabellenplatz der LIQUI MOLY Handball-Bundesliga.
Nach einer schwachen ersten Halbzeit, die fast an den unterirdischen Auftritt vor fünf Wochen in Balingen erinnerte, zeigten die Grimm-Schützlinge in der zweiten Spielhälfte ein völlig anderes Gesicht. Mit wesentlich mehr Einsatz in der Abwehr und schnellerem Spiel nach vorne wurde der 11:17-Rückstand bis zur 45. Minute egalisiert. Danach gaben nur noch die Rotweißen den Ton auf dem Spielfeld an und nutzten eiskalt die Wetzlarer Fehler aus. So gesehen geht der 31:26-Sieg vor 4009 Zuschauern in der nicht ganz ausverkauften Rittal-Arena auch in dieser Höhe völlig in Ordnung. Beste Torschützen waren Olle Forsell Schefvert (6) und Maximilian Holst (6/6) für die Hausherren und Michael Allendorf (9/2) und Kai Häfner (7) für die Gäste. In nur vier Tagen empfängt die MT Melsungen den HC Erlangen, der am Sonntag überraschend ein Remis gegen die Rhein-Neckar Löwen holte, in der Kasseler Rothenbach-Halle (17.10., 19:00 Uhr).
Obwohl es von Melsungen nach Wetzlar nur rund 125 Kilometer sind, machte sich der MT-Tross statt am Spieltag bereits 24 Stunden zuvor auf nach Mittelhessen. Der Grund: Die bei 16-Uhr-Auswärtsspielen gewohnten Abläufe sollten auch diesmal beibehalten werden und damit eine bessere Konzentration aufs Spiel ermöglichen. Dieses Ansinnen schien zumindest in der ersten Halbzeit nicht zu fruchten, aber der Reihe nach.
Die Eröffnung des Derbys oblag der in Bestbesetzung angereisten MT, aber deren erster Angriff blieb wirkungslos. Auch deshalb, weil Wetzlars Abwehr bemüht war, vom Start weg zu zeigen, wer Herr im Hause ist. Dass sie dabei etwas zu übereifrig zu Werke ging, ahndeten die beiden Magdeburger Referees Robert Schulze und Tobias Tönnies innerhalb von nur 13 Sekunden mit zwei Gelben Karten gegen Stefan und Anton Lindskog. Kai Häfners erster Ball fand nicht sein Ziel, im Gegenzug vereitelte Nebojsa Simic den ersten Angriff der Grünweißen in Person von Filip Mirkulovski.
Erst nach 4:01 Minuten platzte der Knoten, Kai Häfner traf zum 0:1. Zwischendurch musste Stefan Salger kurz den Abwehrpart von Finn Lemke übernehmen, der wegen eines Schlages ins Gesicht den Platz räumte. Kreisläufer Anton Lindskog markierte eine Minute später den Ausgleich, den Julius Kühn mit dem 1:2 beantwortete. Danach erwischte Wetzlars Halblinker Alexander Feld Marino Maric auf dem falschen Fuß – 2:2. Soweit der für ein Derby nicht ungewöhnliche Auftakt.
Wer von den über 100 mitgereisten MT-Anhängern nun gedacht hatte, dass ihre Lieblinge nach dem Auftaktgeplänkel nun das Spiel als der vermeintliche Favorit an sich reißen würden, sah sich getäuscht. Das Gegenteil trat ein. Die HSG diktierte nämlich fortan das Geschehen. Mit drei Treffern in Folge – Maximilian Holst von der Siebenmeterlinie aus, Emil Frend Öfors über Linksaußen und Kristian Björnsen von der anderen Seite nach Fehlpass von Lasse Mikkelsen – brachten die Mittelhessen mit 5:2 nach vorne (13. Min.).
Vier Minuten später, nach dem 7:3, legte Heiko Grimm die Grüne Karte, mahnte seine Schützlinge Ruhe zu bewahren, forderte aber auch, dass sie vielmehr investieren und von hinten raus mehr Tempo machen müssten. Dazu nahm er Wechsel vor, brachte mit Dimitri Ignatwow für Tobias Reichmann und Michael Allendof für Yves Kunkel eine neue Flügelzange. Die kurze Verschnaufpause zeigte dann auch Wirkung, die Nordhessen kämpften sich heran, Finn Lemke erzielte den 8:7-Anschluss (20.). Das wiederum animierte Grimms Pendant auf Wetzlarer Seite, Kai Wandschneider, ebenfalls ein Timeout zu ziehen.
Die Tatsache, dass die Grünweißen in den verbleibenden 10 Minuten bis zum Halbzeitpfiff noch sage und schreibe neun Treffer erzielten und die MT hingegen nur deren vier, spricht Bände. Wie kam es dazu? Zum einen, weil der MT eine gewisse Pechsträhne erwischte, der HSG hingegen jetzt fast alles gelang. Beispiele gefällig? – Bitte sehr: Alexander Feld düpiert mit einem technisch genialen Wurf nicht nur seinen direkten Gegenspieler, sondern auch den MT-Keeper. Michael Allendorf bekommt ein Zuspiel erst unter Kontrolle, nachdem er mit dem Fuß hauchzart die Torauslinie berührt. Finn Lemkes Pass auf den zum Gegenstoß davon geeilten Allendorf bleibt an einem Wetzlarer hängen. Kai Häfner erzielt ein Tor, bekommt es aber wegen minimalen Kreisbetretens abgepfiffen. Felix Danners Schubser wird mit einer Zweiminutenstrafe geahndet. Marino Maric vergibt frei von der Sechsmeterlinie.
All das in seiner Gesamtheit drückte nicht nur aufs Gemüt der Melsunger, sondern beflügelte zusehends den Gegner. Der in Till Klimke nicht nur einen bärenstarken Rückhalt hatte, sondern in Maximilian Holst einen souveränen Strafwurfschützen und in Stefan Cavor einen sehr torgefährlichen Rückraumshooter. Hätten nicht zumindest Kai Häfner (2x) Marino Maric und Michel Allendorf jeweils die Nerven behalten, wäre der Halbzeitrückstand sehr wahrscheinlich noch deutlicher ausgefallen als das 17:11.
„So kann es nicht weitergehen!“, schienen sich Nordhessen in der Kabine vorgenommen zu haben. Auch wenn sie das den 4000 Zuschauer in der Rittal Arena zunächst noch nicht zeigten. Im Tor hatte Johan Sjöstrand den Platz von Nebojsa Simic eingenommen, der heute nicht an die Form der letzten Spiele anknüpfen konnte. Timm Schneider besetzte die halbblinke Abwehrposition und der schon gegen Ende des ersten Durchgangs eingewechselte Domagoj Pavlovic zog weiter im Rückraum die Fäden. Dennoch blieb Wetzlar weiter am Drücker. Olle Forsell Schefvert ließ die MT-Abwehrspieler wie Slalomstangen stehen und netzte zum 18:11 ein. Dann der beherzte Einsatz von Kai Häfner, der ohnehin schon ständig als Antreiber fungierte – Siebenmeter! Allendorf verwandelte. Der Linksaußen war dann noch mal erfolgreich und verwertete in einem endlich schnell vorgetragenen Angriff einen langen Diagonalpass von Häfner zum 18:13 (32).
In der Folge verhinderte wieder einmal Till Klimke mit wichtigen Paraden, dass die MT ins Rollen kam. Bis zur 45. Minute entspann sich ein zähflüssiges Ringen, bei dem die Rotweißen in beeindruckender Manier stetig Boden gut machten. Als schien sie der deutliche Rückstand nicht weiter zu schrecken, wurden fortan die Chancen gut genutzt. Die Abwehr zeigte ich bissiger und was an Würfen durchkam, parierte nicht selten Johan Sjöstrand. In der Offensive schlug vor allem die Stunde des Dimitri Ignatow. Der Rechtaußen verwandelte nervenstark und mit seinem dritten Treffer zum 21:21 sorgte er für den ersten Ausgleich, nachdem es in der 8. Minute mal 2:2 gestanden hatte. Zwischendurch setzten sich unter anderem Julius Kühn mehrfach durch und auch der sich situativ in den Angriff einschaltende Finn Lemke.
Diese Aufholjagd der MT schien die eben noch obenauf befindlichen Hausherren sichtlich zu beeindrucken. Obwohl sie Anton Lindskog noch mal mit 23:22 (48.) nach vorn bringen konnte. Das sollte jedoch die letzte Führung des Wandschneider-Teams in diesem Spiel bleiben. Mit einem 4:0-Lauf – Julius Kühn mit Wucht, Kai Häfner listig über den “falschen Fuß”, Finn Lemke per Sprungwurf und Michel Allendof im Gegenstoß – rissen die Nordhessen dann das Geschehen vollends an sich (23:26, 53.). Und das trotz zwischenzeitlicher Auszeit Wetzlars.
Die HSG versuchte nun abwehrtaktisch noch einmal alles, wurde sehr offensiv bis hin zu einer 3:3-Formation. Nachdem sich hüben wie drüben wieder einmal die Keeper auszeichnen konnten (Sjöstrand gegen Björnsen, Klimke gegen Mikkelsen) keimte durch Schefverts 24:26 und Lindskogs 25:27 (56.) noch einmal zarte grünweiße Hoffnung auf. Die aber wurde jeweils von der MT postwendend durch Gegentreffer erstickt. Domagoj Pavlovic und Michael Allendorf erkämpften sich, genauer gesagt nutzten Freiräume und halfen mit ihren Toren das Derby nach Hause zu schaukeln. Das 31:26-Ende nach dem klaren Halbzeitrückstand hatte sich die MT aufgrund einer tollen Moral und Nervenstärke redlich verdient.
Das nächste Spiel:
Do, 17.10.19, 19:00 Uhr, MT Melsungen – HC Erlangen, Rothenbach-Halle Kassel (pm)