Viel Handarbeit auf dem Feld © Foto: Rainer Sander
Dorfspaziergang und Dreschen wie damals
NIEDENSTEIN-ERMETHEIS. 675 Jahre sind für eine Stadt mit historischer Bedeutung kein Alter. Aber nicht jeder kleine Ort, jedes kleine Dorf wurde in Chroniken namentlich erfasst. Irgendjemand muss einen Hof gekauft oder verkauft, etwas zu Lehen genommen haben oder vielleicht hat jemand gleich eingangs verschenkt oder erworben.
Das war in früheren Jahrhunderten so und entweder haben es die Mönche aufgeschrieben oder die Steuereintreiber. In Ermetheis war es das Adelsgeschlecht der Hunde, die Ermetheis gegen eine Wüstung in der Gemarkung Obermöllrich tauschten, was 1344 urkundlich festgehalten wurde.
675 Jahre alt ist der Ort nun und er erzählt seine Geschichte am liebsten selbst. Zum Jubiläum führte Elisabeth Lindner-Wolf durch den Ort, war sie auch dafür mitverantwortlich, dass an zahlreichen Häusern jetzt einen Tafel die Geschichte des Objektes erzählt, selbst dort, wo das ursprüngliche Gebäude längst abgerissen, aber eben noch nicht aus dem Gedächtnis verschwunden ist. Der älteste Ortsplan stammt aus dem Jahr 1800, als Ackerbau, vor allem Flachsanbau und Leineweberei den Alltag im Ort bestimmten. Das Hessische Tuch wurde bis Amerika exportiert.
Die Mühle am Rhein
Die erste Erwähnung der Kirche, war 1443 zugleich die von ihrer Zerstörung, als Ritter Reinhard von Dalwig im Streit mit dem Landgrafen den Kirchenschatz raubte und sie niederbrannte. Ein Bach, der Rhein fließt durch den Ort, sowie auch Ems oder Elbe Nordhessen bewässern. Am Rhein hat eine Mühle gestanden, einen Büchsenschuss von der Ortsmitte entfernt und darüber gibt es Geschichten zu erzählen, wie auch über die Schule.
Dass es ein Burglehen gegeben haben soll, ist überliefert. Die alte Schmiede am Ortsausgang könnte dazu gehört haben. Schließlich geht es hinauf Richtung Teich, wo Feier zum Geburtstag stattfinden soll. Hier haben die Ermetheiser viele Jahre ihren Dorfladen aufrechterhalten. Sie haben hier eingekauft, statt im Supermarkt, und nicht alle Besorgungen ins Internet verlegt. Aber trotzdem hat es irgendwann nicht mehr gereicht, den Laden wirtschaftlich zu führen. Die Kirchengemeinde betreibt jetzt hier einen Second-Hand-Laden.
Fest am Teich – an der Spatzenstange
Am Teich versammelten sich die Ermetheiser am Freitagabend, um ganz offiziell ihren Geburtstag zu feiern. Die Spatzen, wie sie liebevoll genannt werden, bekamen dann auch von den anderen Stadtteilen eine „Spatzenstange“, eine Bank ohne Lehne, weil sich Spatzen nicht an anlehnen. Diese Bank aber durchaus Eindruck und steht an einem wundervollen Ort, der den Blick ins Tal freigibt.
Die Stadt Niedenstein hat Forellen gespendet und kein geringerer als Bürgermeister Frank Grunewald sorgte dafür, dass sie am Grill gut gebraten werden und servierte die Köstlichkeiten dann auch, unterstützt von der Familie. Den Ermetheisern bescheinigte er in seiner Festansprache einen eigenen Willen und eine enge Beziehung zu ihrem Dorf. Ortsvorsteher Frank Metzler blickte zurück auf eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit für die Feier.
Historische Szenen
Es ist schön, wenn man sich zum Jubiläum eines Ortes daran zu erinnern versteht, in der Vergangenheit gewesen sein könnte. Auch wenn niemand die alten Zeiten wirklich zurückhaben will, niemand möchte noch wie früher mit der Sense das Getreide mähen und mit der Hand dreschen. Soweit zurück gingen auch die Dorfbewohner nicht, aber gemeinsam mit dem Bulldog-Club Nordhessen aus Gudensberg versetzten sie sich und die zahlreichen Zuschauer zurück in die Anfänge maschineller Getreideernte.
Es war die Zeit, als die ersten Traktoren zum Schneiden aufs Feld fuhren und sofort Garben banden. Diese wurden von den Frauen dann auf einen Wagen geladen, der dem Mähwerk unmittelbar folgte. Das, was heute ein Mann allein in seinem Mähdrescher zu tun vermag, musste früher eine ganze Mannschaft auf dem Feld erledigen. Ganz sicher möchte das Rad niemand mehr 100 oder 200 Jahre zurückdrehen. Schön ist es dennoch, sich zu erinnern und vor allem, die Erinnerung lebendig zu halten. Das ist den Ermetheisern eindrucksvoll zu ihrem 675. Geburtstag gelungen. (rs)
