„Nationaler Widerstand“ und Widerstand gegen Rechte stoßen aufeinander
KASSEL. Wer den Text von „Schrei nach Liebe“ (Ärzte) nicht auswendig kannte, konnte nach den gestrigen Demonstrationen fehlerfrei mitsingen: „Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit“. Aber auch nach Stunden klingt es noch im Ohr: „Frei, sozial und national, hier marschiert der nationale Widerstand!“
Wir – also die Journalisten – standen gestern im Fokus der Partei „Die Rechten“. Er weine Dr. Walter Lübcke nicht nach, aber die Tat eines verwirrten Mörders werde von uns – also den Medienvertretern – instrumentalisiert für eine Hetzkampagne gegen Rechte, so sieht es Sven Skoda, Bundesvorsitzender der Partei „Die Rechte“.
Unterschiede im Bildungsniveau ausgemacht
Diese zählt laut Wikipedia 500 Mitglieder, die den Umsturz in Deutschland schaffen wollen. Ist dieser vollzogen, dann sollen die Volksgerichtshöfe in Deutschland über die etablierten Politiker und Journalisten richten. Die Politiker machen sich der Umvolkung und der Vernichtung unserer „Art“ schuldig. Die Journalisten sind so gleichgeschaltet, dass selbst Göbbels davon geträumt hätte, weiß Christian Worch, Vorstandsmitglied und Anmelder der Demonstration am gestrigen Samstag in Kassel zu berichten. Und die Medien beeinflussen die Menschen in Deutschland, die alles glauben, was im Fernsehen und den Zeitungen manipuliert wird.
Es soll tatsächlich Menschen geben, die glauben, dass Angela Merkel jeden Morgen die 36.000 festangestellten und vermutlich noch einmal so viele Freie Journalisten in Deutschland anruft und das Briefing für den Tag ausgibt. Eine schöne, fast romantische Vorstellung. Gespräche mit „Der Rechten“ und Journalisten waren indes am gestrigen Nachmittag gar nicht erwünscht. Worch erklärte seine entsprechende „Empfehlung“ an die 120 anwesenden Parteimitglieder so: Es hätten nicht alle sein Bildungsniveau und deshalb würden sie immer wieder in rhetorische Fallen der Journalisten tappen. Er wird es wissen…
120 auf der einen, 10.000 auf der anderen Seite
Und jetzt ist natürlich die Frage, ob man das alles so schreiben darf, kann oder muss? Oder ob sich Herr Worch und Herr Skoda einerseits oder Angela Merkel andererseits mehr über die Wiedergabe der so gefallenen Äußerungen ärgern. Auch wenn es weh tut, aber es könnte sein, dass die Bundeskanzlerin das gar nicht zur Kenntnis nehmen wird. Die Drohung nach Vernichtung der Existenz und der Rente für Journalisten steht indes – wenn der Umsturz friedlich und gewaltfrei vollzogen ist.
Für den gab es gestern allerdings ganz objektiv weniger Sympathisanten, als für diejenigen, die mit den Zielen und Gedanken der Rechten nichts zu tun haben wollen. Wir haben 120, Herr Skoda hat 150 Rechte gezählt. Wir haben mehr als 10.000, die Polizei ziemlich genau 10.000 Gegendemonstranten gezählt.
Zwei Welten prallen hautnah aufeinander
Am Hauptbahnhof war der Startpunkt der Aktionen gegen „Die Rechten“, am Unterneustädter Kirchplatz der Startpunkt der Aktionen gegen „Die Journalisten“. Ab 10:00 Uhr war es am Bahnhofsvorplatz bunt und laut. Um 10:15 Uhr marschierte der erste Demonstrationszug Richtung Hafenbrücke, um 11:00 Uhr der zweite zum Altmarkt. Auf den Brücken war jeweils Endstation, die Fulda also eine natürliche Trennlinie zwischen „für Rechts“ und „gegen Rechts“. Auf der anderen Seite der Unterneustadt fand eine weitere Kundgebung am Platz der Deutschen Einheit statt. Das Terrain war damit abgesteckt.
Als „Die Rechte“ mit deutlicher Verspätung – und erst als die KVG einen Sonderbus für Parteimitglieder, die vom Hauptbahnhof nicht durchgekommen waren, einsetzte – ab 13:00 Uhr die Runde um Hafenstraße, Scharnhorstsraße, Dresdner Straße und Leipziger Straße marschierte, kamen sich beide Gruppen an der Hafenbrücke und dem Platz der Deutschen Einheit ganz nah. Vor der alten Binding-Brauerei gab es in Rufweite die – den unterschiedlichen Weltbildern entsprechenden – verbalen Auseinandersetzungen. Mehr konnte angesichts massiver Polizeipräsenz und perfekt aufgebauter Absperrungen nicht passieren.
Breite, zählbare gesellschaftliche Basis
Bezeichnend war gestern die breite gesellschaftliche Aufstellung der Gegendemonstranten. Von Wandergruppen über Kirchen, Naturfreunden, Vereinen, Gewerkschaften bis nahezu allen Parteien waren sie gemeinsam in der komplett abgesperrten Innenstadt unterwegs. Und weil von Anfang an bekannt war, dass beide Demonstrationen stattfinden werden, waren die Chancen auf Sympathie und Teilnahme gerecht und gleichermaßen verteilt.
Man darf in Deutschland Rechts denken. Das verbietet niemand. Die Versammlungsfreiheit gilt für diejenigen, die diesen Staat am liebsten abschaffen – oder zumindest völlig umkrempeln würden – genauso, wie für alle anderen. Das ist in einem Rechtsstaat ein hohes Gut. Die Veranstaltungen gestern haben gezeigt, dass genau das in Nordhessen möglich ist. Aber solange diese Demokratie Bestand hat und eine Mehrheit sie behalten möchte, muss jeder, der die politische Bühne betritt, auch damit leben können, wenn seine Positionen nicht mehrheitsfähig sind. Das haben aktuell die FDP, die Linke und die Rechte mit vielen anderen gemeinsam. Wer daran etwas ändern will, wird andere überzeugen müssen und vermutlich fällt das leichter, wenn man sich selbst sympathisch und den Menschen im Land Lösungen für die Gegenwartsprobleme präsentiert… Den chronologischen Ablauf hat nh24 gestern „Live“ dokumentiert. Die folgende Fotostrecke zeigt beide Seiten und beide Gesichter. Bilder sagen bekanntlich mehr als 1000 Worte. (rs)
26 Kommentare
@Hubert
Ab wie viel Personen lohnt es sich denn ihrer Meinung nach dagegen zu demonstrieren?
Sagen sie das bei 10000 Rechten Vollidioten dann auch?
So naiv kann doch kein Deutscher mit unserer Geschichte sein oder?
Von mir aus können sie den ganzen Tag gegen irgendwas demonstrieren. Ich glaube 10000 Rechte werden sie nicht zusammen bekommen, außer sie stufen jeden, der nicht ihrer Meinung ist automatisch als rechts ein. Ich bin halt dagegen, denen so eine große Plattform zu geben, aber sie können damit umgehen wie sie möchten. Als die Nazis an die Macht kamen, ging es Deutschland nicht so gut wie jetzt. Ich denke, es wird erst interessant, wenn unsere Wirtschaft einbricht, was ja schon am brodeln ist und nicht mehr diese Gelder von den arbeitenden Bürgern zu generieren sind die ja nun mal benötigt werden um den Sozialstaat am laufen zu halten. Dann werden sie vielleicht mehrere 10000 bei Demos antreffen, aber ich hoffe, das ich das nicht mehr erleben muss. Ich hab halt ziemlich große Vorurteile gegenüber den Berufsempörten, die wird mir auch niemand nehmen können. Nennen sie es Naiv oder wie immer sie wollen, mich juckt es nicht.
Trinkt der Mensch mit den vielen Aliassen schon wieder oder immernoch? Frage für einen Freund.
Schon interessant, daß sich die Gutis mit »No Pasarán« einen Kampfbegriff der Kommunisten auf die Fahnen schreiben. Wohlgemerkt: einer Ideologie, die wesentlich mehr Todesopfer verursacht hat, als die Nazis.
@Waldenmok: Eine äußerst dumme Verklärung der Geschichte (…) Es geht darum wer´s erfunden, nicht wer »No Pasarán« missbraucht hat.
Berühmt geworden ist es durch die Kommunisten.
Warum ist es eigentlich OK, Wörter, die von den Nazis missbraucht wurden, zum Tabu zu erklären, während kommunistische Parolen gesellschaftsfähig bleiben?
Wir sollten uns hier mal auf gewisse Grundsätze einigen. Nazis sind fast keine mehr da, es sind Neonazis. „Ofen SS“ ist kein Missbrauch eines Wortes, sondern eine Verhöhnung Millionen Opfer! Und der wer sich so mit Neonazis solidarisiert wie sie, dessen Anhänger Ernst Dr. Walter Lübcke hingerichtet hat, stellt sich mit ihnen auf eine Stufe. Ihre geschichtsverklärenden und hilflosen Rechtfertigungsversuche machen Sie zudem nur lächerlich.
Sie unterstellen mir, ich solidarisierte mich mit Nazis, weil ich die Demonstration der Linken in Kassel kritisiere?
Das ist unfair.
Daß ich Nazisprüche rechtfertigte, beruht auf Ihrer Phantasie.
Es war keine Demonstration der „Linken“. Ein breites Bündnis aus Verbänden, Parteien, Firmen, Kirchen und Gewerkschaften ist am Samstag gegen „Die Rechte“ mit Worch auf die Straße gegangen. Manche mögen es als die „Mitte“ bezeichnen. Und für die „Rechte“ ist es typisch, ihre Verbrechen mit den Linken oder den Kommunisten zu rechtfertigen und zu relativieren.
(…) Danke Genossenboss mit zweimal „SS“…
Ihr Kommentar verschwindet wieder in der Tonne!
Kleines Arschloch!
War das jetzt ein Sie oder Du kleines Arschloch?
Hubert, Ihr „glauben Sie mir“ erinnert mich fatal an das Dschungelbuch und den Versuch der Schlange Kaa, Mowgli zu hypnotisieren. Ist nur so, dass das mit dem weitgehend Ignorieren schon in der Weimarer Republik schiefgelaufen ist. Aus Erfahrung sollte man klug werden. Und wenn das bei der Judikative nicht klappt, muss sich schon die demokratisch gesinnte Bevölkerung wehrhaft zeigen. Ich wüsste zu gern, wie die Rechtsextremen diesen Auftritt im Netz ausschlachten. Wenn diverse symbolträchtige Dinge während oder vor ihrem „Marsch“ eingezogen wurden, warum dann nicht auch dieses Transparent? Die Frage, was und welche Reaktionen die Initiatoren mit der Beschriftung beabsichtigt haben, kann aber doch wohl nicht dazu führen, dass sie über einen großen Zeitraum grinsend mit einem Plakat provozieren, das die Opfer des Nationalsozialismus nachträglich verhöhnt und ins Gesicht schlägt. Damit zeigen sie nicht nur keinen Respekt vor den Opfern – sie verhöhnen uns alle. Aber vermutlich werden die Anwälte der „Neuen Rechten“ auch diesen Stein des Anstoßes vor Gericht im ihrem Sinne aus dem Weg räumen.
Lieber Herr Krause.
Zugegeben, die den Rechten per Intellekt haushoch überlegenen Linken (also Menschen wie Sie) wären derartige Rechtschreibfehler auf einem Demo-Transparent natürlich nie passiert, keine Frage.
Nur, was deren einseitig unterstellte Demokratiefeindlichkeit angeht, habe ich so meinen Bedenken…
Historisch betrachtet kamen die Rechten (NSDAP) per demokratischer Wahl an die Macht. Darauf kann sich die deutsche SED meines bescheidenen Wissens nicht berufen. Auch international sieht es für Stalinisten, Maoisten, Ho Hotschimisten und PolPotisten, Fidelisten, etc., pp. diesbezüglich eher schlecht aus!
Hallo Gernot,
wer gegen RECHTS ist, ist nicht automatisch ein LINKER.
So schwarz/weis ist unsere Gesellschaft nicht. Das trifft vielleicht nur auf wenige zu, die unsere Geschichte bis heute nicht verstanden haben.
Nachfrage an die Redaktion von nh24:
Ist etwas bekannt, ob die Polizei die von MITLESERIN aufgeworfene Auffälligkeit des Plakates untersucht und/oder rechtliche Schritte eingeleitet sind/werden/wurden ?
Ich verweise auf den Satz ihres An-Führers: „Es hätten nicht alle sein Bildungsniveau und deshalb würden sie immer wieder in rhetorische Fallen der Journalisten tappen.“
Die Rechte wird sich auf fehlende Kenntnisse der Deutschen Sprache berufen.
Ich frage morgen aber gerne nach und melde mich.
Vielen Dank, Herr Wittke.
Es ist schon wichtig, dass man sich dieses Transparent als Entscheidungshilfe in Erinnerung ruft, wenn man mal wieder als Richter den RECHTEN eine Demonstration erlaubt…
Herr Krause, wenn das aktuell ihr First World Problem ist, dann gratuliere ich recht herzlich zu ihrem entspannten Leben. Ich hätte die 120 Typen einfach demonstrieren lassen und nicht einen Pressevertreter oder Zuschauer hingeschickt, glauben sie mir, das mit dem großen Publikum spornt die nur an. Und die Nummer mit dem Plakat ist doch „ofensichtlich“, wenn das einfach niemand zur Kenntnis nimmt, ist das die größte Strafe, die die bekommen können und werden.
Wie stark hätten die sich gefühlt, wenn tatsächlich die ursprüngliche Zahl von 400-500 augelaufen wären. Ohne Gegendemo wäre das ein übles Bild von Nord Hessen gewesen.
Das einzige Plakat, dass für mich alles auf den Punkt bringt war folgender Spruch
“ wer nicht denkt und wer nichts weiß, der glaubt den ganzen Nazischeiss“
Ja, aber ein Bild, was niemand gesehen hätte. Die Verbreitung in der Presse und im Internet ist das, was in der Weimarer Republik die Propaganda erledigt hat. Ich bin überzeugt, das etwas, was man nicht füttert, von ganz alleine verschwindet. Das man ein Auge in Form von Polizei drauf hat, heißt das ja nicht. Daher werde ich weiterhin nichts glauben, was ich nicht selbst live erlebt habe, sondern gepflegt ignorieren.
Ach du liebe Zeit, wissen Sie eigentlich was sie die ganze Zeit erzählen. Antworten sie besser nicht, denn sie wollen doch die Medien ausgeschaltet haben. Ihr Methode „Kopf in den Sand“ funktioniert nicht. Glauben sie wirklich, dass die Demo unbemerkt geblieben wäre? Die laufenden doch nicht mit Tarnkappen rum. Das mit dem Plakat funktioniert auch nicht nach ihrer Methode. Auf dieses offensichtliche kranke Denken dieser Gruppe muss man aufmerksam machen und genau dafür sind die Medien da.
OK. ich setz mich jetzt 10 min vors haus und schüttel empört mit dem Kopf. Und das poste ich dann bei Facebook, damit jeder weis, wie sehr ich gegen Rechte bin.Ein Pappeschild mit einem kecken Spruch muss ich natürlich auch noch malen,damit jeder sieht,was ich doch für ein crazy Weltretter bin. Dann wird alles gut.
War denn niemand in der Lage, das Transparent „Nationale Gegenofenssive“ aus dem Verkehr zu ziehen? Worch hat ja wohl mit seinem Maulkorb für den Umgang mit Pressevertretern schon gezeigt, wie hoch er den Intelligenzquotienten seiner Leute einschätzt. Nur – so dämlich kann ja wohl niemand sein, dass ihm ein so übles „Foul“ unterläuft, wenn er ein Riesentransparent beschriftet oder beschriften lässt. Für mein Empfinden wurden „Ofen“ und „SS“ bewusst eingesetzt. Benötigen unsere Staatsschützer eine Brille für diese Schriftgröße?
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