Schwalmstadts „alte“ Stadtverordnete tagten kurz
(Aktualisiert 12:28 Uhr) SCHWALMSTADT. Überraschte und schmunzelnde Gesichter gab es bei der CDU gleich zu Beginn der gestrigen Stadtverordnetenversammlung in Schwalmstadt. Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) brachte eine Resolution zur Solidarität mit Clemens Olbrich (CDU) ein.
Der Bürgermeister von Neukirchen/Knüll hatte Zivilcourage bewiesen und Plakate der Partei „Die Rechte“ abgehängt. Es geht nicht, dass Plakate hängen, auf denen steht, „Wir hängen nicht nur Plakate“, auch nicht das Versprechen, dass die Holocaust-Gegnerin Ursula Haverbeck aus dem Knast geholt werden soll und schon gar nicht, dass Israel unser Unglück ist. Protest in Form von verärgerten Zwischenrufen gab es dazu von der SPD (Michael Schneider), weil dass das so spät und überraschend für die Stadtverordneten kam. Es gab also keine Vorbereitungszeit. Alle anderen Parteien fühlten sich durch die allgemeine Nachrichtenlage offensichtlich gewappnet genug – auch ohne Vorbereitung – mit gefestigter Meinung zur deutschen Geschichte die Tagesordnung (letztlich einstimmig) zu ergänzen und auch einstimmig die Resolution zu verabschieden. Damit bezeugen sie „Respekt und Solidarität für entschlossenes und mutiges Handeln gegen Hetze, Rassismus und Nationalismus“. Sie weisen extrem Rechte Parolen aufs Schärfste vor der Europawahl zurück. Der Wortlaut der Resolution findet sich am Artikelende.
Die Stadtverordneten hatten – wie immer – viele Fragen an den Bürgermeister und die Verwaltung.
Alt mit 37! Mythos von Neubürgern…
Patrick Gebauer (SPD) wollte es nach der SPD-Abstimmungsniederlage zum Förderprogramm „Jung kauft Alt“ in der vergangenen Sitzung ganz genau wissen. Es würde immer wieder behauptet, die Ausgaben von 200.000 Euro erzeugten ein damit vergleichbares, erhöhtes Einkommensteueraufkommen. Die Antwort (sie lag der Presse und den Stadtverordneten zur Sitzung nicht vor) bestätige die Haltung der SPD. Das Durchschnittsalter von 37 sei nicht mehr jung und es sei ein Mythos, dass durch das Programm Neubürger kämen.
„Hätte und Würde“ – Arbeit(nehm)erpartei falsch dargestellt?
Patrick Gebauer (SPD) sah seine Partei nach einer Diskussion, ausgelöst in der letzten Stadtverordnetenversammlung über die Gehälter von Rathausmitarbeitern, im falschen Licht. Die SPD hatte gegen einen CDU-Antrag gestimmt, der den Weg freigemacht hätte, bei 11 Stellen Spielräume im Tarifrecht nach oben zu nutzen. Die Begründung sei nicht gewesen, dass man jemandem die Gehälter nicht gönne. Es sei aber nicht die Aufgabe der Politik, über die Gehälter einzelner Mitarbeiter zu entscheiden. Die SPD fühlt sich als Opfer von Polemik. Dann polemisierte er selbst: „Hätte die SPD diesen Antrag eingereicht, dann weiß ich ziemlich genau, wer uns in diesem Raum Klüngelei vorwerfen würde.“ Dann kam er zu seiner Frage: „Deshalb Herr Bürgermeister wollen wir von Ihnen wissen, ob sie einzelne Stellen höher bewerten möchten und ob sie Spielräume sehen, höher zu vergüten?“ Die Antwort wird in der nächsten Versammlung erwartet. Stadtverordnetenvorsteher Reinhard Otto bestätigte mit einer Klarstellung auch offiziell einen Zwischenruf von Thorsten Wechsel (CDU): „Der Stellenplan wird von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen!“
Würde man Würde nicht verletzen, könnten alle Würde bewahren…?
Viele weitere Fragen…
- Christian Brück (CDU) bewegt der Hessentag, der in Bad Hersfeld demnächst beginnt: „Warum ist die größte Stadt des Schwalm-Eder-Kreises, die jetzt einen Stadtmanager hat, dort nicht vertreten?“ Stefan Pinhard antwortete sofort: Seines Wissens war die Stadt auch auf vergangenen Hessentagen nicht mit einem eigenen Stand präsent. Sie ist aber durch das Rotkäppchenland durchaus vertreten. Er will für zukünftige Hessentage die Möglichkeiten gerne prüfen.
- Friedrich Sperlich (SPD) habe gerüchteweise gehört, es gäbe Neues zum Feuerwehrgerätehaus Trutzhain? Stefan Pinhard klärte auf: Die Stadt Schwalmstadt und die Gemeinde Willingshausen denken über einen möglichen gemeinsamen Feuerwehrstandort für Steina und Trutzhain nach. Die Initiative ging von den Feuerwehren aus. „Wenn der Wunsch besteht, unterstützen wir das“, sagte Pinhard. „Wir sind aber in einer Anfangsphase der Vorgespräche und der rechtlichen Bewertung.“
- Axel Wenzel (SPD), Stadtverordneter und Ortsvorsteher von Niedergrenzebach, stellte fest, dass fünf Wochen nach dem letzten Beschluss nichts in der Knüllstraße passiert sei: „Wann beginnt der Bau?“ lautete seine Frage. Stefan Pinhard kann über den Termin noch nichts sagen. Anmerkung: Für Bau ist das Land Hessen beziehungsweise Hessen-Mobil zuständig.
- Tobias Biskamp (B90/GRÜNE) reichte eine schriftliche Anfrage zur Deichsicherheit ein: Ihm sei zu Ohren gekommen, dass alle 82 Anlieger des Damms am Rückhaltebecken Post vom Regierungspräsidium bekommen haben, mit der Aufforderung, in der kommenden Fällperiode alle Bäume im Abstand von 5 bis 10 Metern zum Deich auf eigene Kosten zu entfernen. Ob das der Verwaltung bekannt sei und ob die Stadt angehört worden ist, will er in der nächsten Sitzung beantwortet wissen. Außerdem ob die Stadt selbst Anlieger ist und wenn ja, welche Kosten entstehen? Wenn die Stadt Anlieger ist, möchte er dann auch geprüft wissen, ob für die Kosten nicht der Wasserverband Schwalm zuständig ist.
Antworten ohne Fragen…
Bürgermeister Stefan Pinhard schilderte außerdem den Stand städtischer Planungen und wichtiges aus dem Rathaus.
- Der Auftrag zur Renaturierung der Gerst wurde heute mit einem Betrag von 245.000 Euro vergeben.
- Für das Gewerbegebiet an der A49 hat die Regionalversammlung dem Abweichungsantrag zugestimmt. Jetzt kann der Flächennutzungsplan geändert und damit Baurecht geschaffen werden.
- Zur Gewerbeansiedlung in der Schmelzaue (tegut, Joneleit) gab es kritische Äußerungen des Gewerbe- und Tourismusverein G.u.T. Es soll nach dem Wunsch von Bürgermeister Pinhard ein gemeinsames Gespräch stattfinden. Ein offener Dialog sollte beginnen.
- Für die Atemschutzwerkstatt der Feuerwehr liegt mittlerweile die Baugenehmigung vor.
- Das Thema Wahlwerbesatzung werde zunächst in den Ortsbeiräten diskutiert. Neue Spielregeln brauchen Bau an geeigneter Stelle. Bei Wahlen treten sehr viele Parteien an (bei der Europawahl aktuell 41), die gleiche Voraussetzungen haben müssen. „Das ist das alles nicht so einfach“, resümierte der Rathauschef.
- Im Freibad verzögert sich die Eröffnung des Baby-Planschbeckens. Die Möglichkeiten, Spielmöglichkeiten für kleine Kinder zu schaffen, werden seitens der Verwaltung geprüft.
Türen und Fenster schließen reicht?
Am längsten und intensivsten beschäftigte sich das Stadtparlament mit neuen Fenstern für die Sozialwohnungen im städtischen Gebäude Albert-Schweitzer-Straße 20 – 22 in Ziegenhain. Der Bürgermeister erläuterte: Die Stadt Schwalmstadt besitzt die Liegenschaft. Die KWS ist eine Gesellschaft der Stadt. Auch wenn die KWS keine Erfolgsgeschichte sei und es noch nicht klar ist, wie die Stadt mit ihrer Tochter umgehen will, hat sie als Eigentümerin die Verantwortung, den Wohnstandard und den Wert aufrechtzuerhalten. „Auch wenn man Sozialwohnungen verkaufen will, muss man sich ordentlich drum kümmern!“
Dirk Spengler (CDU) zeigte sich angriffslustig. Es läge eine Beschlussvorlage über 50 Fassadenteile in einem 1. Bauabschnitt über 35.000 Euro vor. „Es kommt also noch etwas“, mutmaßte er. Zur Beschwerde von Mietern wegen des Wärmeverlustes sagte er: „Türen und Fenster schließen hilft!“ Die Ausgabe sei sinnvoll, aber die blauen Häuser mit Baujahr 1994 auch die jüngsten Häuser der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Bisher, so Spengler weiter, wurde seitens des Facility-Managements kein müder Euro investiert. Im Wirtschaftsplan 2018 standen 80.000 Euro, aber der wurde erst im September nach langen Diskussionen beschlossen. Damit wäre das möglich gewesen. Vor einem langen Sommer sei keine Dringlichkeit zu erkennen. Er zweifelt außerdem die Zahlen als „nur vermutet“ an, auf dem Markt lägen die Preise höher. Der Bürgermeister müsse endlich sagen, welche Häuser er verkaufen will. Wenn die Mieter die Miete kürzen, sei das nicht tragisch, „auf 20 Euro Mietkürzung kann die Stadt auch verzichten“, konstatierte er und stellte den Antrag, den Beschluss zu verschieben, bis klar ist, was behalten und was verkauft werden soll.
Mit oder ohne Druck…?
Timo Beckmann sprach dazu für die SPD. Sie stehe hinter der KWS: „Eine Stadt wie Schwalmstadt muss billigen Wohnraum bieten! Andere Kommunen kaufen für teures Geld Wohnungen zurück.“ Die SPD möchte die Häuser behalten. Die Fenster und Türen des Blauen Hauses müssen also erneuert werden. In Mietminderungen sieht er sehr wohl ein Problem.
Dr. Constantin H. Schmitt (FDP) zeigte sich „geneigt, Druck für ein schlüssiges Konzept aufzubauen“. Er stimme Herrn Spengler zu, sieht aber auch die Notwendigkeit. Man müsse ausschreiben und dann entstehe am Ende doch Zeitdruck. Die Haltung von Herrn Beckmann war ihm zu dogmatisch: „Einkommensumverteilung muss an anderer Stelle erfolgen.“ Die FDP wolle nichts subventionieren, nur weil es jemandem schlecht geht. Der Markt habe das zu regeln.
Dr. Jochen Riege (GRÜNE) findet die Kritik berechtigt, dass es keinen Plan zur KWS gibt. Druck aufbauen helfe in diesem Hause aber nicht. „Es gibt Mieter, die betroffen sind und das geht vor.“
Thomas Kölle (FWG) mutmaßte verbotenes Wissen: „Welchen Weg wir gehen, wissen wir noch nicht! Die SPD weiß es wohl schon. Warum?“ Schön wäre es, wenn Konzeptvorlagen so schnell kämen wie diese Beschlussvorlagen.
Pinhard: 27 Verlust-Jahre und Fehler reichen
Bürgermeister Stefan Pinhard erinnerte die Stadtverordneten an die Geschichte der KWS. Sie bei 1992 per Beschluss der Stadtverordneten gegründet worden. Diese war der Auffassung, dass die angespannte Lage auf dem Wohnungsbau zu einem Vorrang des kommunalen Wohnungsbaus führe, um sozialverträgliche Mieten sicherzustellen. Die Gründung eines Eigenbetriebes erschien sinnvoll.
„Heute im 27, Jahr nach der Gründung, wissen wir, dass sie ein ununterbrochen defizitärer Betrieb war und seine Zielsetzung nicht erreicht hat.“ Der Bürgermeister resümierte 1,5 Millionen Euro Schulden in der Wohnungsbaugesellschaft. Für Versäumnisse aus 2013 bis 2017 sind in den nächsten Jahren mindestens weitere 500.000 Euro nötig. „Ich erarbeite eine Handlungsempfehlung für jedes einzelne Gebäude. Diese werde ich im Juni vorlegen! Dazu gäbe es die Möglichkeit der Rückführung in den städtischen Haushalt und die Option von Verkäufen und Teilverkäufen, kündigte Pinhard an. Im nächsten Tagesordnungspunkt brachte er auch den Haushalt der KWS ein.
Er habe keine Hoffnung, dass dann in zwei bis drei Sitzungen Einigkeit hergestellt werden kann. Bei Liegenschaften, schrieb er den Stadtverordneten ins Stammbuch, rechne man nicht in Jahreszyklen, sondern in Lebenszyklen, also von 30 Jahren. „Ein Haus verkauft sich auch nicht wie ein Stück Butter und Eigentum verpflichtet auch gegenüber den Mietern. Fehler, die 27 Jahre lang gemacht wurden, dürfen wir nicht wiederholen“, erklärte er.
Das Verschieben lehnten die Stadtverordneten mit 11:18 Stimmen ab, der Sanierungsvorlage stimmten sie – im Vorgriff auf den Wirtschaftsplan – mit 18:11 Stimmen zu.
Bauvorhaben gehen an den Start
- Mit einer Anpassung der Bauleitplanung im Bereich Bahnhofstraße/Wagnergasse im Wieragrund machten die Stadtverordneten fast einstimmig (3 Enthaltungen) den Weg für ein Wohn- und Geschäftshaus frei, nachdem der ursprüngliche Investor den Rückzug angetreten hatte. Wortmeldungen gab es keine.
- Zum Einkaufszentrum im Wieragrund erlauben die Stadtverordneten mit einem Aufstellungsbeschluss, wie Pinhard begründet hatte, einen wichtigen Standort weiterzuentwickeln. Das Einzelhandelskonzept von 2014 sieht hier einen Schwerpunkt. Die moderate Flächenerhöhung (ALDI) halte die Immobilie und den Standort attraktiv. Tobias Kreuter (SPD) freut sich über die Investition und sieht auch eine Stärkung der Schwalm-Galerie. Es solle nicht das Sortiment erweitert, sondern nur anders präsentiert werden. Das habe die SPD hinsichtlich drohender Überversorgung überzeugt. Das Abstimmungsergebnis: 25 x Ja, 1 x Nein, 3 x Enthaltung.
- Im Alten Feld wird mit dem Abschluss eines Durchführungsvertrages mit dem Hessischen Diakoniezentrum Hephata der Weg frei gemacht für ein gemeinschaftliches und generationenübergreifendes Wohnprojekt. Geregelt werden darin unter anderem die Art der Herstellung, die Bauleitung, die Schadenshaftung und die Erschließung. Dr. Jochen Riege (B90/GRÜNE) findet ein gemeinschaftliches Wohnprojekt schön, aber nicht die Weigerung Hephatas, seine eigene Nahwärme zur Verfügung zu stellen. Deshalb können die GRÜNEN dem Antrag nicht zustimmen. Die Abstimmung: 24 x Ja, 1 x Nein, 4 x Enthaltung (GRÜNE).
- Für die „Alte Molkerei“ fassten die Stadtverordneten jetzt den Offenlagebeschluss mit 28 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung.
- In Ziegenhain, so Bürgermeister Pinhard, will die WLZ als führender Maschinenbaubetrieb investieren und erweitern. Etwas besseres kann in Schwalmstadt nicht passieren. Die Stadtverordneten stimmen einstimmig darüber ab, dies mit Ankauf einer Ausgleichsfläche zu ermöglichen.
Sebastian Voigt (SPD) nutzte seine Wortmeldung dazu, zum kurzen Innehalten aufzurufen: Gerade habe man 6 Bauleitplanungen auf den Weg gebracht. Weitere Projekte, wie im China-Messegelände durch die Kreissparkasse, führten ebenfalls zu Investitionen und in der Kaserne seien bis auf vier Gebäude alle verkauft: „In Schwalmstadt bewegt sich viel!“
Nach nur 1,5 Stunden beendete Reinhard Otto den öffentlichen Teil und stellte fest: „Eine ungewöhnlich frühe Zeit!“ (rs)
Die Resolution der Stadtverordnetenversammlung im Wortlaut:
Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Schwalmstadt zeigt ihren Respekt und ihre Solidarität mit Bürgermeister Klemens Olbrich aus der benachbarten Gemeinde Neukirchen.
Herr Bürgermeister Olbrich hat durch sein entschlossenes und mutiges Handeln in vorbildhafter Weise gezeigt, dass unser aller Engagement gegen Hetze, Antisemitismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Diskrimierungen aller Art gefordert ist.
Gerade im Vorfeld der Europawahl, in der von der extremen Rechten nationalistische und ausgrenzende Parolen zum Wahlkampf gehören, ist es an uns und an allen demokratischen Parteien gelegen, dies aufs Schärfste zurückzuweisen.
1 Kommentar
Ach so, handeln wir jetzt alle wie wir lustig sind ? (Verstoß gegen Part.G.)
Kommentare wurden geschlossen.