Forte Cultura: Schwalmstadt in bester Gesellschaft
SCHWALMSTADT-ZIEGENHAIN. „Herzlich willkommen in der Konfirmationsstadt Schwalmstadt und speziell in der Wasserfestung Ziegenhain“, so begrüßte Bürgermeister Stefan Pinhard eine Menge Ehrengäste aus einem besonderen, sehr außergewöhnlichen und bedeutungsschwangeren Anlass.
Wenn Staatssekretär Mark Weinmeister kommt, hat es meistens etwas mit Europa zu tun. Ist Ute Schulte von der GrimmHeimat Nordhesssen, also dem Regionalmanagement dabei, geht es um Tourismus. Sind Markus Stübing und Gerhard Reidt die Initiatoren, dann soll Schwalmstadt sicher besser vermarktet werden, ist Dekan Christian Wachter unter den Gästen, dürfte die Konfirmation eine Rolle spielen und treffen sie sich alle im Museum der Schwalm, dann wird bedeutsames aus der Stadtgeschichte der Anlass für das alles sein.
Bollwerk gegen Fremde in böser Absicht lockt Fremde in guter Absicht
Wohl wahr! Hausherr Konrad Nachtwey begrüßte die ausgesprochen heterogene Gesellschaft mit einem einzigen Satz, aber zugleich von der Geschichte bis in die Gegenwart. Dann führte der Bürgermeister die Gäste auf den Grund des Treffens: „Als Landgraf Philipp im 16. Jahrhundert die Festung Ziegenhain entwerfen und bauen ließ, war sie – in kriegerischen Zeiten – dafür gedacht, möglichst wenig Fremde in die Anlage zu lassen. Und das hat tatsächlich funktioniert! Heute finden wir es schön, wenn gerade deshalb, möglichst viele Fremde in unsere Stadt kommen. Wir schaffen sogar möglichst viele attraktive Angeboten, um Gäste zahlreich hierher zu locken!“
Das könnte jetzt sprunghaft anwachsen, denn seit heute ist Schwalmstadt Mitglied im einzigen europaweiten Netzwerk von Festungsstädten: Forte Cultura. Das verbindet die schönsten Reiseziele in Europa mit ihren historischen Festungsmonumenten. Städte wie Salzburg, Koblenz, Ulm, Berlin, Budapest, Luxembourg, Prag, Paris, Rom, Venedig, Amsterdam, Kopenhagen oder Gdansk ergänzen ihre bunten touristischen Angebote mit Erlebniswelten in faszinierenden Festungsbauten. Seit heute gehört Ziegenhain dazu.
Weinmeister: Festungen prägend für Kultur
Europastaatssekretär Mark Weinmeister, selbst leidenschaftlicher Historiker, betonte, dass Festungsstädte immer prägend für die gesamte Kultur gewesen sind. Wie Geschichtsträchtig die Region ist, habe ihm ein Besuch im Museum in Hessens US-Partnerstaat Wisconsin bestätigt, als er dort Werke aus der Willingshäuser Malerkolonie bewundern konnte.
Dirk Röder, vom europäischen Festungsnetzwerk, unterstrich die Bedeutung der Organisation, für die Schwalmstadt in diesem Jahr anteilig 225 Euro und ab 2019 ganze 600 Euro Jahres-Mitgliedsbeitrag zahlt. Die EU unterstützt mit Geld aus Brüssel, aber die Städte finanzieren ihre touristischen Aktivitäten weiterhin selbst. Das Netzwerk entwickelt und vermarktet Reiserouten nach Themen, Baustilen, Landschaften und Themen, die von vielen Menschen aus ganz Europa genutzt werden. Der aktuelle Reisekatalog umfasst 75 verschiedene Angebote in 150 Festungen.
Nur wenige aus Hessen dabei
Ein Reiseroutenthema ist übrigens „Reform und Gegenreformation“. Ein Thema, das auch die Reformationsstadt Ziegenhain und ihre Festung tangiert. Die Erfassung von Festungsanlagen aus Geschichte und Gegenwart ist ein permanenter Forschungsprozess. Von 5.000 Festungsanlagen geht man zurzeit aus. In Hessen sind nicht viele im Netzwerk vertreten, Schloss Waldeck und Büdingen zählen zu den wenigen, die jetzt von Ziegenhain bereichert werden.
Ute Schulte betonte, dass das Regionalmanagement auch ein erfolgreiches Netzwerk ist, in dem Schwalmstadt-Ziegenhain jetzt gleichberechtigt mit dem Weltkulturerbe Wilhelmshöhe und anderen Schätzen agiert. Nordhessen sei eine der wirtschaftsstärksten Regionen Europas mit nebenbei 7,5 Millionen Gästeübernachtungen pro Jahr. Es sei also gut, nicht auf die kleinen Kirchtürme, sondern auf die Leuchttürme zu schauen.
Pinhard: „Alleinstellungsmerkmale Festung und Konfirmation gemeinsam vermarkten!“
Für Schwalmstadt ergibt sich jetzt eine neue Gelegenheit, wie Pinhard betonte, seine beiden wichtigen Alleinstellungsmerkmale Festung und Konfirmation gemeinsam zu vermarkten.
Nach der Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen der Stadt Schwalmstadt und Forte Cultura konnten die Gäste mit Mark Weinmeister, der daran erinnerte, dass heute die Völker Europas in Frieden miteinander leben, 50 europablaue Luftballons in den europablauen Himmel steigen lassen.
Wo schlafen eigentlich die Gäste?
Ein nicht zu unterschätzendes Problem könnte Schwalmstadt bei der Umsetzung bekommen. In der Stadt gibt es nur ein Handvoll Hotelbetten, die einem solchen touristischen Angebot gerecht werden. Ein angemessenes Hotelprojekt für internationale Gäste hat Schwalmstadt im Stadtteil Treysa gerade versiebt.
Eine suboptimale Lösung hat Bürgermeister Pinhard in seiner Festrede schon angedeutet, als er auf die historisch bedeutsame Abwehr der Fremden mit böser Absicht, und damit die Entstehungsgründe der Festung, referierte: „Die Gäste kommen heutzutage meistens in freundlicher Absicht, um die Festung zu besichtigen. Die wenigen mit unfreundlichen Absichten, werden seit 1842 sicher im Schloss verwahrt.“ Betten gibt es also reichlich und noch dazu mitten in bester historischer Lage. Also: einfach mal auf den Putz hauen und nach ausreichend guter Führung gibt’s dann auch Freigang zum Besichtigen. Aber Thorsten Vaupel, Bürgermeisterkollege aus Frielendorf, war auch da und der hat bisher nur teilweise ausgelastete Tausend Betten in drei Hotels und dem Ferienwohnpark… (rs)
1 Kommentar
Rainer Sander hat es mit seiner punktuellen Genauigkeit und seinem auch durchklingendem Sarkasmus mal wieder auf den Punkt gebracht. Dieser Beitritt zur „Forte Cultura“ ist nämlich ein Startschuss und nicht etwa der Zieleinlauf, über den sich alle Akteure einig sein sollten, um den Tourismus in der Region zu steigern. Getränkt von Geschichte „rund um den Paradeplatz“ ist sie allemal. Ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung (neuem) Stadtmanager ist dies auch.
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