Das 50. Herzberg-Festival hat begonnen
BREITENBACH AM HERZBERG. Ein paar Sachen sollte man mitbringen zum Herzberg. Viel Zeit, Geduld und positive Stimmung. Hektik ist unangebracht und ein kaputter Anlasser am Citroen 2CV (Ente) blöd.
Die Straße von Ottrau nach Breitenbach geht nicht nur bergab und bei der Anreise am Donnerstag brauchte man phasenweise mehr als eine Stunde für die letzten drei Kilometer ab der Kreuzung nach Oberaula und Alsfeld. Stop and go, weil sich 12.000 Besucher nicht mal eben schnell abfertigen lassen. Und schnell merkt man, hier gehen nicht nur die Uhren anders, hier ist alles anders.
Auf den Wiesen am Fuße der Burg ist eine vorübergehende Zelt- und Wohnwagen-Stadt entstanden. Tausende begegnen sich – weitgehend freundlich – und wer sich unter die Besucher mischt, merkt rasch, dass die Menschen anders miteinander sprechen. Die großen SUVs sucht man vergeblich, dafür umgebaute Busse, alte THW-LKWs zum Wohnen und Autos, bei denen auch die Zeit angehalten wurde. Es muss ein Vermögen oder viel Arbeit kosten, einen alten Saab 900, Renault R4 oder einen „Strich 8“ Mercedes am Leben zu erhalten. Einen alten Manta hingegen dürfte man vergeblich suchen…
Am Anfang standen die Petards
Vor 50 Jahren hat die Legende mit dem ersten Festival auf Burg Herzberg angefangen. Wenn man in Schrecksbach in den 60er Jahren groß geworden ist, hatte man außer dem Mylord (was schon viel war) und der Burg Herzberg nicht viel Aufregendes. Und irgendwann muss dann mal ein Petard zum anderen, bei Blick von Hessens höchster Hohenburg in die Wälder zwischen Vogelsberg und Knüll gesagt haben: „Hier müsste man mal ein Festival machen…!“ 1968 lud das Quartett aus Schrecksbach, damals mit den ersten Top-Hits in den Hitparaden unterwegs, die bekanntesten Deutschen Beat- und Rockbands ein. Auf dem Herzberg sind in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren Gruppen wie Can, Embryo, Amon Düül II, Guru Guru oder Tangerine Dream aufgetreten. Es war ein Jahr vor Woodstock und dem legendären „Summer of 69“.
Heute gilt das Herzberg Festival – das natürlich nicht mehr die Petards veranstalten – als größtes Hippie-Festival Europas. Weil nicht mehr hunderte sondern jedes Jahr Tausende kommen, sind die neuen Macher, alle aus Fulda, auf eine Wiese unterhalb der Burg ungezogen. Aber die Burgherren der Familie von Dörnberg spielen noch mit. Vier Tage (bis Sonntag) ist die Burg in Regenbogenfarben angestrahlt. Dass sich hier Menschen treffen, die dauerhaft oder zumindest für vier Tage anders leben wollen, als die große Masse, macht Regeln nicht überflüssig. Die Anweisungen sind auch unter Freaks und Hippies klar:
Keine harten Drogen und viel Tanzen
„Vermeidet Müll, benutzt die Tonnen und Sammelstellen! Altglas sammeln wir in getrennten Behältern! Bitte geht sparsam mit dem Wasser um! Der Wald um das Festival darf nicht betreten werden, Campen im Wald ist strikt verboten! Rauchen im Wald ist verboten! Null Toleranz gegenüber harten Drogen! Festivalverbot! Jeder Konflikt ist – wenn überhaupt – ein Konflikt der Worte. Wer Gewalt androht, fliegt raus! So steht’s geschrieben und damit ist alles klar – oder?
Love & Peace ist für die Besucher mehr denn je Thema, auch für die Top-Band am Donnerstagabend (offizielle Headliner gibt es nicht) Kettcar auf der Hauptbühne. Die Indie-Punk-Band gibt sich zeit- und gesellschaftskritisch und singt von einer anderen Welt, in der beispielsweise Flüchtlinge nicht mehr verfolgt werden. Auffallen: Hier gibt es keine „Wellenbrechner“ und kein „Stage-Diving“. Wie 1968 steht man friedlich oder tanzt eben viel…
Heute Mokoomba, morgen Selig und die Waterboys – Sonntag die Allstars
Heute spielen auf der Hauptbühne Nubiyan Twist (15:45 Uhr), Miller Anderson plays Woodstock (18:00 Uhr), Mokoomba (20:15 Uhr), Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi (22:30 Uhr) und Motorpsycho (00:45 Uhr). Am Samstag sind es: Wille and the Bandits (13:30 Uhr), Natalia Doco (15:45 Uhr), The Temperance Movement (18:00 Uhr), Selig (20:15 Uhr), The Waterboys (22:30 Uhr) und Orange + Rainer von Vielen (00:45 Uhr)
Der Sonntag ist musikalisch kein bisschen schlechter: Amsterdam Klezmer Band (12:00 Uhr), Götz Widmann (14:15 Uhr), Opal Ocean (16:30 Uhr) und Asaf Avidan (18:45 Uhr). Der Höhe- und Schlusspunkt kommt um 20:15 Uhr mit den Herzberg Blues Allstars. Dann geben sich Musiker und Sänger wie der God of Hellfire Arthur Brown, Curt Cress (Atlantis, Spliff), Chris Farlowe (Colosseum, Atomic Rooster), Maggie Bell (Stone the Crows), Stoppok, Clem Clempson, Micky Moody, Gert Lange, Mark Clarke, Adrian Askew, Michael Becker, Krissy Matthews und Hans Wallbaume die Ehre.
HR und WDR sind dabei
Pressesprecher Gunther Lorz residiert nicht etwa Backstage sondern mitten in der Freakstadt an der „Bar aller Sinne“ und freut sich, dass zwei Fernsehsender dabei sind. Neben dem Hessischen Rundfunkt dreht der WDR für den Rockpalast. (rs)