bdks Jahresforum: Impulse für die Wirtschaft
BAUNATAL. Die Baunataler Diakonie macht ernst. Keine halben Sachen. Zum Jahresforum haben Joachim Bertelmann (Vorsitzender) und Michael Conzelmann – neben den üblichen Gästen aus Lokalpolitik, Kirche und Diakonie – vor allem Vertreter der nordhessischen Wirtschaft in die neue Kantine auf dem Gelände der ersten Behindertenwerkstatt und der Hauptverwaltung eingeladen.
Von der ersten Form der Behindertenwerkstatt (WfB) bis zur ISO 9001-zertifierten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) als Partner industrieller und handwerklicher Fertigungsbetriebe, war nicht nur ein weiter Weg mit sprachlicher Veränderung. Zwischen der klassischen Werkstatt mit eher beschäftigungstherapeutischem Hintergrund und der Eingliederung in hochproduktive Fertigungsketten sowie Dienstleistungen, liegen einige Etappen Wertewandel und Paradigmenwechsel. Der größtmögliche steht gerade bevor.
Recht auf Arbeit gilt für alle Menschen
Joachim Bertelmann brachte es auf den Punkt: Die Monitoringstelle der UN hat ein Auge auf die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention und den Gedanken der Inklusion: Das Recht auf Arbeit gilt für Menschen mit jedweder Art von Behinderung genauso, wie für alle anderen Menschen. Das Ziel ist immer die Integration in den ersten Arbeitsmarkt, so der Chef eines diakonischen Unternehmens mit Wirtschaftskontakten auf Augenhöhe.
Am ersten Arbeitsmarkt scheitern aber nicht nur körperlich, geistig oder seelisch gehandicapte Menschen und es ist noch ein großes Stück Weg zu gehen, bis ein Leben ohne Werkstätten überhaupt vorstellbar wird und Einrichtungen für behinderte Menschen eines Tages zu reinen Servicebetrieben werden könnte, die bei der Inklusion auch dann noch eine gewichtige Rolle spielen. Vom Billiglohnbetriebs-Image mit LWV- und Ausgleichsabgaben-Finanzierung entfernen sie sich schon jetzt immer weiter und werden Teil eines integrierten Arbeitsmarktes, der seinerseits viel weitere Wege gehen muss, als diese spezialisierten Fachbetriebe für Menschen mit Behinderungen. Die sind ja schon da, wo die gewerbliche Wirtschaft aus eigenem Antrieb nie hinwollte.
Unternehmen: Lebensraum statt Arbeitsraum?
Das sich etwas bewegt – und aus ganz anderen Motivationslagen heraus, machte ein Mann aus der Wirtschaft deutlich. Die bdks hatte mit Carsten Rahier von der Immenhäuser Firma Sera einen risikobereiten und weitblickenden Unternehmer als Hauptreferenten eingeladen, der sowieso gerade neue Wege in der Unternehmenskultur beschreitet:
Wertewandel, Energiewende, verfügbare Ressourcen und neu definierte Werte, verändern auch die Arbeitswelt. Niemand will sich mehr binden, man ist gern temporäres Mitglied irgendwo, heute hat niemand zu irgendeinem Zeitpunkt ausgelernt und während sich Menschen früher sich erst mal entwickeln wollten, fragen sie heute zuerst nach Life-Balance. „Change“, der Begriff schwebte über dem gesamten Vortrag.
Seha, Weltmarktführer in der Dosiertechnik, sorgt unter anderem für sauberes Wasser, dafür dass Bier nach Bier schmeckt, ist in 80 Ländern aktiv und versteht das Unternehmen nicht mehr als Arbeitsraum, sondern als Lebensraum.
Menschen mit Verantwortung nutzen nicht aus!
Die Menschen sollen sich entwickeln, Corporate Lead wird genauso praktiziert wie totale Transparenz durch monatliche Veröffentlichung von Ergebnissen. Er gibt einen Room of Inspiration mit beschreibbarer Wand für das alltägliche korporative und individuelle Brainstorming, einen Body & Soul Raum für Yoga, Massage und anderes, was gesund hält und Kreativität fördert. Es finden After Work Partys statt und Betriebsfahrten.
Menschen, die Verantwortung übernehmen dürfen, nutzen das Unternehmen nicht aus und gelegentlich dürfen sie sich – ganz im Sinne des Unternehmens – für völlig andere Dinge interessieren und engagieren. Es gibt einen jährlichen Umwelttag, an dem alle im Betrieb ganz praktische Sachen machen, wie Rahier erklärt und am 8 September 2018 zum ersten Mal den Sera Social-Day. Da entwickeln alle miteinander ein soziales Projekt.
Inklusion in neuer Produktionshalle
Nach dem sauberen Wasser in Afrika und der Integration von vier Flüchtlingen (zwei lernen Produktionstechniker, zwei Mechatroniker, folgt jetzt die Inklusion. Gemeinsam mit der bdks sei das Unternehmen auf einem neuen Weg zum inklusiven Arbeiten.
Im Sommer wird eine Produktionshalle bezogen, in der Mitarbeitende der „baunataler inklusionsbetriebe“ gemeinsam, mit Mitarbeitern von sera Seite an Seite arbeiten. „Die Menschen sollen bei uns inkludiert werden, eine Zellorganisation entsteht“, erklärte Carsten Rahier. Strukturen beeinflussen die Menschen und die Prozesse. Wer verändern will, muss selbst damit anfangen, so seine persönliche Botschaft zu einem der großen Themen unserer Zukunft.
Zitate von Manfred Schaub
„Unsere Arbeit kann nur erfolgreich sein, wenn wir uns miteinander vernetzen“, betonte Bertelmann und zitierte den gerade verstorbenen Bürgermeister Manfred Schaub: „Die Baunataler Werkstätten gehören zu Baunatal“, hat er immer wieder erklärt. Behinderung darf nicht zu Ausgrenzung führen und zur Frage, ob Werkstätten nicht Ausgrenzung per se als Sonderwelt betreiben, konnte Schaub auch beantworten: „Was spricht eigentlich gegen Sonderwelten, jede Firma ist eine Sonderwelt!“
Eine Sonderwelt, die als Spezialunternehmen Partner sucht und erreichen möchte, dass Betriebe mehr voneinander wissen, ist die bdks. Welche Chancen sich ergeben für Unternehmen, wenn sie Menschen mit Handicap einstellen und wie die Zusammenarbeit gelingen kann, diskutierten abschließend auf dem Podium Denise Nitsche, Markus Vollmer, Sabine Jahner und Carsten Rahier. Ein Ergebnis: für alle Beschäftigten, ob mit oder ohne Handicap ist es wichtig, ein gutes Arbeitsumfeld zu schaffen und den Mitarbeitern Wertschätzung entgegen zu bringen.
Freundlicher Rahmen
Leckereien aus der bdks-Küche sorgten für Gaumenfreuden und die Urban Streetworkers für Ohrenschmaus. (rs)