Die Geschichte der sechsjährigen, tapferen Helena Simon
ALSFELD. Eigentlich sind es zwei Geschichten, die es zu erzählen gibt: Die der kleinen Helena und die von Michael Weissmann – er ist Taxifahrer und das kleine Mädchen ist eine tapfere Krebspatientin, die von Weissmann und zwei weiteren Kolleginnen wochenlang täglich nach Gießen in die Kinderklinik gefahren wurde.
Für Helena und ihre Eltern war das eine ganz herausfordernde Zeit, für den erfahrenen Fahrer ist es sein Job, denn Taxi zu fahren bedeutet nicht nur Menschen von A nach B zu bringen, sondern auch Empathie, Fürsorge und Sozialkompetenz zu zeigen, wenn man Kranke auf dem Weg ihrer Genesung unterstützt – und wenn es „nur“ durch Fahrdienste ist.
Helena lacht, als sie stürmisch die Wohnungstür aufmacht. Dann sieht sie das Mitbringsel von ihrem liebgewonnenen Chauffeur – ein riesiger Teddybär und ihre Augen leuchten. Von den schweren Zeiten, die das sechsjährige Mädchen hinter sich hat, lässt sich auf dem ersten Blick nur noch wenig erahnen. Vielleicht sind es die Haare, die noch etwas angegriffen wirken, trotz des schönen Haarreifs, den das Kindergartenkind heute zur Feier des Tages trägt.
Ja, Feier des Tages: Wiedersehensfreude der Familie Simon mit zwei von drei Fahrern des Alsfelder Taxiunternehmens Schmidt. Gemeinsam haben sie monatelang gegen Helenas Erkrankung gekämpft, jeder hat seinen Teil dazu beigetragen, den er beitragen konnte. „Wir können ja nicht viel machen, außer die Patienten zu ihren Behandlungen zu fahren“, gibt der Taxifahrer zu. „Aber wenn man sich jeden Tag sieht, dann freundet man sich an, hört zu, versucht Trost zu spenden, zu unterstützen, zu motivieren und einfach da zu sein, wenn man gebraucht wird.“
Dies haben Sabrina und Timo Simon so erfahren. „Wir waren durch Helenas Erkrankung schon isoliert, hatten wenig Sozialkontakte nach außen – durch die vielen Krankenhausaufenthalte, Behandlungstermine, um unsere Tochter vor Infektionen zu schützen oder auch weil uns einfach vor lauter Sorgen nicht danach war, blieben wir unter uns.“ Da waren die Gespräche während der Krankenfahrt zu den Behandlungen – „Chemo to go“ wie sie die 32-jährige Mutter scherzhaft nennt, Galgenhumor muss sein – oftmals die einzigen mit Außenstehenden.
Aber zurück zum Anfang: Helena war drei Jahre alt und gerade in den Kindergarten gekommen, als sie immer blasser und schlapper wurde. Die Knochen taten ihr weh, sie hatte Erkältungssymptome mit Ohrenschmerzen. Da es von alleine nicht besser wurde, ging ihre Mutter mit ihr zum Arzt – gerade noch rechtzeitig. Der Kinderarzt hat Blut abgenommen und rief am Abend noch an, weil es ungeahnter Weise tatsächlich um Leben oder Tod ging: Helenas HB-Wert lag nur noch bei 2,5, sie brauchte dringend Bluttransfusionen. „Sie wäre in der Nacht gestorben, hätte der Kinderarzt nicht so schnell gehandelt und uns nach Marburg auf die Intensivstation der Kinderklinik geschickt.“
Nach der Notfallversorgung folgten etliche Untersuchungen bis die Diagnose feststand: Leukämie. Eine furchtbare Nachricht für Eltern. Helena hatte Glück im Unglück, „man sagte uns gleich, dass es eine gut heilbare Form der Leukämie sei“, erinnert sich die Mutter. Dennoch war es eine schwere Zeit, die auf Helena und ihre Eltern zukam. Eine Kortisontherapie und die ersten Chemogaben folgten, nach 30 Tagen sollten keine Reste mehr im Blutbild zu finden sein. Leider war das doch so.
„Helena ist dann in die Hochrisikogruppe gerutscht, was bedeutet hat, dass sie eine wesentlich längere Therapie benötigte, als zunächst angenommen“, erzählt der Vater, sichtlich noch betroffen bei der Erinnerung an die Zeit. Verschiedene Chemotherapiegaben folgten, mal ambulant, mal stationär – insgesamt eineinhalb Jahre Intensivtherapie und ein halbes Jahr eine Erhaltungstherapie in Tablettenform, die Zuhause funktionierte.
Wenn man Helena fragt, wie es ihr jetzt geht, sprudelt es aus ihr heraus: „Mir geht’s jetzt total gut und ich geh auch wieder in den Kindergarten!“ Seit gut einem Jahr ist sie therapiefrei. Ihre Eltern beschreiben sie als quirlig und lebensfroh, aber auch als sehr feinfühlig. „Sie spürt, wenn es einem nicht gut geht und versucht dann Trost zu spenden“, lächelt die Mutter, während sie ihre Tochter beim Spielen mit dem neuen Teddybären beobachtet.
„In der Zeit der Therapie war es aber schon manchmal sehr anstrengend, Helena war manchmal ein kleines Monster und hat zwei Tage nur geschrien – dann, wenn die Chemotherapie zu viele Nebenwirkungen hatte“, erinnert sich Timo Simon. „Glücklicherweise stellen sie bei Kindern die Therapie sofort um, wenn sie merken, dass sie schlecht vertragen wird.“
Von all dem haben Michael Weissmann und seine Kolleginnen Alexandra Wolf und Brigitte Hübner vieles mitbekommen. Die drei Mitarbeiter des Alsfelder Taxi-Unternehmens Schmidt haben Helena mit ihrer Mutter während der ambulanten Therapiephase täglich nach Gießen in die Kinderklinik gefahren, dort gewartet, bis die Chemotherapie durchgelaufen ist und die junge Patientin wieder heil nach Hause gebracht.
„Durch die Krankheit sind unsere Fahrgäste meist offener, man vertraut sich vieles an und es entstehen Freundschaften“, erzählt Michael Weissmann. So sei es auch bei der Familie Simon gewesen. Daher ist er auch glücklich, dass Helena alles so gut überstanden hat und er sie zu Hause mal besuchen kann.
„Es ist schwierig für uns, wenn wir täglich Patienten zu ihren Behandlungen in die verschiedenen Kliniken fahren und wissen, sie haben eigentlich keine Chance“, gibt Michael Weissmann zu. Und seine Kollegin Alexandra Wolf ergänzt: „Man unterhält sich auf den Fahrten über alles Mögliche und erfährt viel übereinander… und dann kommt ein Patient nach der Behandlung nicht mehr aus der Klinik, während du im Auto sitzt und auf ihn wartest… oder du denkst die Therapie war doch erfolgreich und liest nach ein paar Wochen oder Monaten in der Zeitung, dass sie doch gestorben sind. Das geht mir nahe!“ Und leider käme das jeden Monat vor, manchmal sogar mehrfach.
Alexandra Wolf versucht, so was nicht so nah an sich heranzulassen. Gerade als Mutter fällt es ihr besonders schwer, wenn Kinder davon betroffen sind. „Man muss sich ein Stück weit schützen, um den Familien durch die Fahrtdienste auch helfen zu können und auch positiv zu bleiben“, gibt sie an.
Familien wie die Alsfelder Familie Simon oder aber auch Alleinstehende – egal welchen Alters – sind froh, dass es solche Fahrangebote wie die des Taxiunternehmens der Vockenröder Familie Schmidt gibt. Sabrina Simon: „Wenn man völlig auf sich alleine gestellt ist und niemanden hat, mit dem man – gerade direkt nach einem Erlebnis in der Klinik – sprechen kann, ist es kaum zu meistern. Glücklicherweise war das bei uns nicht so.“ (kiri)