Ein extra Bier zum Dorfjubiläum
LOHFELDEN. Wenn das Gebläse aus Wellerode aufspielt, sich auffallend viele Menschen um einen Bier-Pilz scharen, dann muss es um etwas Besonderes gehen, in Vollmarshausen. In der Tat! Zum 999. Geburtstag und mindestens bis zum 1000. Geburtstag gibt es in Lohfelden ein eigenes Dorfbier: das Baddschen Gold.
Aber der Reihe nach: Es begann vor 999 Jahren. Da schenkte Heinrich II, gerade zwei Jahre im Amt, dem Kloster Kaufungen – zur Freude seiner Ehefrau Kunigunde – das Dorf Vollmarshausen. Damals tat man das so und verschenkte ganze Dörfer und Grafschaften oder verkaufte sie in der Not für gutes Geld. Die entsprechende Urkunde hat der Kaiser im Jahre 1019 unterschrieben.
Vom Kaiser zum Kaiser
Am Abend des 5. Mai 2018 stand wieder ein Kaiser in Vollmarshausen auf der Bühne und schenkte (aus): Der Bernd Kaiser, hauptberuflich und ehrenamtlich Sprachrohr für das Dorf, den Festausschuss, die Vereine im Dorf, auf vielen Veranstaltungen, bei Heimspielen der MT Melsungen, des Deutschen Handballbundes und und und…
Das Dorf, so Bernd Kaiser in seiner historischen Einordnung, muss es natürlich schon vorher gegeben haben. Sonst hätte man es schließlich nicht hergeben können. Vorgeschichtliche Funde lassen auf durchgehende Besiedlung sogar seit der Bronzezeit schließen. Damals spielten Urkunden allerdings keine Rolle. Zum letzten Mal „verschenkt“ wurde das Dorf 1970 im Zuge der Hessischen Gebietsreform, als Vollmarshausen und Lohfelden zur Großgemeinde Lohfelden verschmolzen. Seitdem überraschen die Vollmarshäuser immer wieder mit ihrer funktionierenden Dorfgemeinschaft und dem ausgeprägten Selbstbewusstsein als Vollmarshäuser. Einerseits bekennende Lohfeldener, andererseits auch immer Vollmarshäuser.
Vom Pilgerpfad auf das Baddschengold
Als Udo Ewald vor zwei Jahren auf Pilgertour war und Bekanntschaft mit einem speziellen Bier für Pilger machte, machte es gleichzeitig „Klick“. Auch wenn das Baddschen Gold nicht von Mönchen gebraut wird, sondern in Frank Bettenhäusers Hütt-Brauerei und niemand lange Pilgern muss, um sich den Schoppen zu verdienen: ein bisschen mit Buße und Pilgern hat das Gebräu dann irgendwie doch zu tun. Diese Wahrheit ist im Namen versteckt:
Die Vollmarshäuser werden im Volksmund die Baddschen genannt. Baddschen sind – für nicht Nordhessen – Pantoffeln. Auch damit gehen sie selbstbewusst um, zeugt die Namensgebung doch von einem praktischen Umgang mit Realitäten. Der überlieferten Schilderung nach, so Bernd Kaiser, gingen die männlichen Vollmarshäuser, um zuhause bei der Rückkehr keinen Krach zu machen, bereits in ihren Baddschen in die die Kneipe. Dass die Frauen sie bei später Heimkehr – mit deren Baddschen in der Hand – hinter der Haustür wartend empfingen, ist der privatere Teil der Namens-Geschichte…
Paritätische Geschmacksbestimmung
Das Bier symbolisiert quasi den Grund für den nächtlichen Ausgang und der Name das gesamte „Drumherum“. Auch gestern Abend waren viele Baddschen in Baddschen gekommen. Zum Biertrinken. Und sie warteten artig eine Stunde bei Wasser, Limonade und Würstchen, bis endlich der erste Tropfen des süffigen und milden Bieres, das auch den Frauen schmecken soll, floss. Der „Geschmackskreis“ zur Bestimmung von Malz und Hopfen-Anteil war übrigens paritätisch besetzt, von jungen Damen bis reifen Herren.
Mit Unterstützung von Gastwirt „Dirk“ floss das gute Bier dann auch reichlich und paritätisch, bis in die Nacht, bei Live-Musik mit 300 Wasser und DJ Patrick. Einige Hundert waren zur Bier-Premiere an die Jukeboxx, das ehemalige Gasthaus zum Grünen Baum, gekommen.
Natürlich hat nicht der Kaiser das erste Fass angestochen, sondern Bürgermeister Uwe Jäger. Und das gleich mit ersten Schlag. Souverän und trocken. Besser geht nicht! Mit dabei Bierbotschafter Walter Gilfert von der Hütt, der die besten Grüße des leider verhinderten Frank Bettenhäuser und natürlich das Fass überbrachte.
96er Träger – die XXL Baddschen-Gold-Kiste
In Vollmarshausen neigt man nicht zu falscher Bescheidenheit. Schon gar nicht, wenn es um das eigene Dorf-Bier geht. Wenn andere den 6er Träger an der Tanke kaufen, dann kommen die Baddschen „cool“ mit ihrem 96er Träger. Der wurde von Irmgard Pruin – mit Baddschen an den Füßen gekleidet – und Bernd Kaiser feierlich im Rahmen des Festaktes enthüllt. Er wiegt mit Holz und Glas, bei rund 35 Litern Inhalt, summa summarum einen Zentner und lässt sich auf keinen Fall geräuschlos nach Hause tragen. Auch nicht in Baddschen. Der Satz, „Schatz hol mir mal die Baddschen“, bekommt – nach Bernd Kaiser – damit eine ganz neue Bedeutung.
Zur besseren historischen Einordnung, prangt das Siegel von Heinrich II aus der 999jährigen Urkunde auf der Kiste. Bis zum 1000. Geburtstag im kommenden Jahr, hat die Hütt-Brauerei Nachschub garantiert. Das Bier wir aber auch zum 1111. Geburtstag und zu allen anderen Dorfgeburtstagen passen. Und weil bei über 3.500 Einwohnern, jeden Tag etwa 10 Geburtstag feiern, gibt es eigentlich keinen sachlichen Grund, die Produktion jemals wieder einzustellen. (rs)