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75 Jahre Europa-Union im Schwalm-Eder-Kreis gefeiert
FRIELENDORF-LENDERSCHEID. Mit einer Festveranstaltung in der Gaststätte Orth in Frielendorf-Lenderscheid hat die Europa-Union Schwalm-Eder am Samstagabend im Beisein von einigen Bürgermeistern aus dem südlichen Schwalm-Eder-Kreis ihr 75-jähriges Bestehen gefeiert. Heinrich Vesper (ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Willingshausen), der Kreisvorsitzende der Europa-Union, erinnerte an die Anfänge des Vereins, der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um Frieden und Freiheit in Europa zu sichern.
„Die Gründer waren visionär und mutig“, sagte er und verwies auf die schwierigen Bedingungen in der Nachkriegszeit, als Misstrauen und Zerstörung den Kontinent prägten. Mit der europäischen Einigung sei ein dauerhaftes Friedensprojekt entstanden, das bis heute Bestand habe. Besonders hob er den Schuman-Plan von 1950 und den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 hervor, die den Weg zu enger politischer Zusammenarbeit ebneten.

Vesper blickte zudem auf die Entwicklung im Schwalm-Eder-Kreis zurück. Nach der Gebietsreform 1974 sei die Europa-Union Schwalm-Eder 1975 als eingetragener Verein gegründet worden. Erster Vorsitzender war damals Karl Zulauf (1966 bis 1990 amtierenden Kreisvorsitzenden aus Treysa). Seitdem seien zahlreiche Städtepartnerschaften entstanden, insbesondere mit französischen Gemeinden. Diese kommunalen Freundschaften seien „entscheidend für ein gutes Miteinander in Europa“.
Neben Vertretern aus Politik, Kommunen, Wirtschaft und Kirche waren auch ehemalige Vorsitzende und Mitglieder des Kreisverbandes anwesend. Der Vorsitzende dankte dem Vorstand und dem Festausschuss für die Vorbereitung der Jubiläumsfeier und betonte die positive Mitgliederentwicklung: Aktuell zählt die Europa-Union Schwalm-Eder rund 190 Mitglieder, in den vergangenen Monaten kamen etwa 30 neue hinzu.

Ohne Anstrengung wird es nicht gehen
In seiner Rede stellte der ehemalige Bundestagsabgeordnete und heutige Personalvorstand der B. Braun AG in Melsungen, Dr. Stefan Ruppert, die Bedeutung Europas für Gegenwart und Zukunft heraus. Persönlich geprägt durch seinen Großvater, Jahrgang 1919 und Mitglied der Europa-Union, machte er deutlich, dass politische Verantwortung nicht delegiert werden könne. „Europa wird nicht von der Tribüne verteidigt“, habe sein Großvater stets betont.
Ruppert erinnerte an die Anfänge der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg und verwies darauf, dass Krisen schon immer Teil der Entwicklung gewesen seien – von gescheiterten Verfassungsentwürfen bis hin zur Staatsschuldenkrise. Gerade diese Erfahrungen sollten Mut machen, auch heutige Herausforderungen zu bewältigen.
Kritisch äußerte er sich über die schnelle EU-Erweiterung nach 1990, bei der rechtsstaatliche Standards nicht überall gleichermaßen eingehalten worden seien. Länder wie Ungarn oder Rumänien entfernten sich teils von den Grundwerten, die Europa stark gemacht hätten. Für ein erfolgreiches Europa dürfe es hier keine „faulen Kompromisse“ geben.
Aktuelle geopolitische Entwicklungen, der Krieg in der Ukraine und das wachsende Gewicht von Staaten wie China, Indien oder Brasilien stellten die EU vor neue Aufgaben. Gleichzeitig schwinde die wirtschaftliche Bedeutung Europas. Die Deindustrialisierung, besonders der Verlust von Arbeitsplätzen in der Automobil- und Chemieindustrie, sei eine Gefahr für Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Trotz dieser Probleme zeigte sich der Ruppert optimistisch. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit seien Errungenschaften, die es zu verteidigen gelte. Er warnte jedoch vor einer Haltung, in der gesellschaftliches Engagement abnehme und nur noch private Interessen im Vordergrund stünden. Ohne Einsatz und Reformbereitschaft könne Europa im globalen Wettbewerb nicht bestehen.
Zum Abschluss betonte er, dass die Europäische Union wieder ein „Wohlstandsversprechen“ geben und ihre Attraktivität als Raum der Freiheit und des Rechts unterstreichen müsse. „Ohne Anstrengung wird es nicht gehen“, zitierte er den Satz seines Großvaters.

Den Grußworten, unter anderem von Frielendorfs Bürgermeister Jens Nöll, Markus Pollock, Maximilian Kohler, Anna-Maria Bischof und Thomas Mann (ehemaliger Europaabgeordneter der CDU), folgten zahlreiche Gespräche und ein Buffet. (wal)























