
AKTUALISIERT: Unverständnis und Ärger über Parkgebühren
BORKEN (HESSEN). Wenn Kommunen „Parkraum bewirtschaften“, klingt das so freundlich, als würde ein Bauer seine Felder bewirtschaften oder ein Gutsherr seinen Waldbesitz. Dabei geht es nicht um Parkanlagen, sondern sie erheben mit dem Begriff bloß Parkgebühren. Die Stadt Borken tut das nicht in der Innenstadt, sondern an ihren Seen, wo die Besucherströme größer sind.
Die Regel in Singlis ist: Die erste Stunde kostet 1,00 Euro, jede weitere Stunde 50 Cent. 4 Stunden Parken gibt’s also für 2,50 Euro und wer 4 Stunden und 1 Minute lang sein Auto abstellt, zahlt bereits den Tagespreis von 10,00 Euro und das 24 Stunden am Tag. Das sind 300 % mehr. Dafür, möchte man meinen, bekommt man richtig viel geboten! An der Stockelache sind die Preise bis zur 4. Stunde identisch, danach liegt der Aufschlag bei 128 %, nämlich bei 6,00 Euro. Wer mit App bezahlt, bekommt noch 50 Cent Bearbeitungsgebühr berechnet, die wir in der Satzung nicht finden.
Preis gegen Leistung oder doch ein bisschen Edeltourismus?
Tatsächlich wird an der Stockelache für weit weniger Geld weit mehr geboten. Dort gibt es eine gut bewirtschaftete (!) Gastronomie, einen hervorragenden Badestrand, Beachvolleyball, Spielplatz und andere Attraktionen wie eine große Rutsche ins Wasser. Der Singliser See bietet einen (kleinen) Leuchtturm, ein Marineschiff zum Anschauen und dient den Wind-Surfern als beliebtestes Revier der Region. Sonst herrscht blanke Idylle. Ordnungsamtsleiter Stephan Wachsmuth erklärt, dass an der Stockelache aber auch zusätzlich Eintritt erhoben wird. Und er betont, dass die erste Viertelstunde aus Kulanz nicht berechnet wird. Das sei auch der aktuellen Rechtsprechung geschuldet.

Es ist nur ein paar Jahre her, da haben Privatinvestoren und die Stadt Borken – beim Uniper-Verkauf – den Singliser See vor dem wirtschaftlichen Ausverkauf und einer privaten Bewirtschaftung gerettet. Er sollte kein Starnberger See in Nordhessen werden. Apropos Starnberger See: Dort liegen die Parkgebühren durchgängig niedriger als in Singlis. Zum Beispiel in Ambach am See: Während der Saison (April – Oktober) kosten bis zu 2 Stunden 2,00 Euro, bis zu 6 Stunden 6,00 Euro und das Tagesticket (ab 6 Stunden) dann 8,00 €.
1.000 Euro im Jahr für das Surf-Hobby?
Es ist auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar, warum der Tagesaufschlag am Singliser See ohne erkennbaren Mehrwert dreimal so hoch ist wie an der Stockelache. Auf den zweiten auch nicht. Sehr verwundert reagieren beispielsweise die Surfer, aber auch Lieferanten über die Preispolitik der Stadt Borken an ihrem See. Wer anliefert, kommt kaum mit 15 Minuten hin. Mit Abladen, Lieferschein unterschreiben und ein paar freundlichen Worten jedenfalls nicht und schon gar nicht, wenn eine Schlange am Kassenautomaten steht. Einige Surfer versuchen jetzt das Board abzuladen, in Singlis oder woanders zu parken und mit Fahrrad zurückzufahren. Selbst das Abladen ist eine sportliche Herausforderung in der Kurzparkzeit und in Singlis gibt es nur noch Halteverbot und Anwohnerparkplätze.
Gerd Ochsenhofer aus Frielendorf, wo die Borkener am Silbersee immer noch kostenfrei parken können, sagt: „Wir sind im Schnitt 4 bis 6 Stunden am See und einige verbringen dort 100 Tage im Jahr. Das ergibt 1.000 Euro Parkgebühren.“ Das fiese ist, wer erst gegen 18 Uhr nach Feierabend kommt und erst nach einer Bratwurst mit Bier gegen 22:00 Uhr das Gelände verlässt, hat überhaupt keine Chance, den fälligen Tagespreis auszunutzen. Vereinsförderung stellt man sich anders vor.
Sehr „offenes System“ mit „Schönheitsfehlern“?
Das System scheint auch nicht ausgereift. Die Dokumentation ist lausig, sagen Besucher des Bistros am See, mit denen wir gesprochen haben. Man erkennt gar nicht auf den ersten Blick, welche Regeln gelten. „Wenn sich Fahrzeuge in der Einfahrt begegnen“, sagt ein Lieferant, „und die Kamera das Kennzeichen bei Ausfahrt deshalb nicht korrekt erfasst, wird es richtig teuer.“ Dann nämlich ermittelt der Dienstleister fürs Kassieren den Halter und schreibt 45 Euro Vertragsstrafe plus „Ermittlungshonorar“ zusätzlich auf die Rechnung, berichten Betroffene. Peter D. schreibt uns dazu: „Auch nachweislich falsch verarbeitete Parkdauer-Aufforderungen werden zugegeben, können jedoch nicht erstattet werden, weil die Buchhaltung sonst überlastet wäre. Dazu“, so Peter D, „gibt es sogar Schriftverkehr mit Avantpark.“
Peter D. schreibt uns in einer E-Mail noch mehr: „Man kann anonym beliebig Kennzeichen abfragen und erhält Informationen darüber, wann ein Fahrzeug in den letzten 48 Stunden geparkt wurde.“ Auf diese Weise erfährt man, ob ein bestimmtes Kennzeichen gerade vor Ort ist.“
Fantasie ist gefragt?
„Schließlich“, sagt Peter D., „kann händisch eine vergangene Parkdauer angelegt werden. Was bedeutet, dass Datenspuren für ein Kennzeichen erzeugt werden können, welches nicht vor Ort war. Wofür auch immer solche Dinge genutzt oder missbraucht werden könnten.“ Ob der Partner wirklich noch arbeitet oder sich am See vergnügt, lässt sich jetzt ohne Hinfahren ermitteln? Wir haben spaßeshalber mal ein echtes Kennzeichen eingegeben, das nicht parkt. Uns wurde ein anwesendes Fahrzeug mit ähnlicher Nummer vorgeschlagen. Hätten wir – um den Halter zu ärgern – die geringe Parkgebühr bezahlt und die Parkzeit damit beendet, hätte der Halter sein Auto vermutlich nicht mehr gefunden, aber bei der Kameraerfassung dann eine Strafgebühr bekommen? Wir wollten es nicht drauf ankommen lassen und haben stattdessen ein Fantasieauto eine Minute geparkt. Die App akzeptiert das. Die Minute sollte ja nichts kosten. Tatsächlich möchte die App 1,50 Euro abbuchen.
Geld auch fürs Nichtparken?
Man erkennt beim Einfahren auch nicht, ob überhaupt noch Parkplätze frei sind. Und wenn die Suche zu lange dauert und eine Schlange an der Kasse aufhält, kostet sogar „Nichtparken“ plötzlich Geld. Auch die Schwalm-Eder-Getränke GmbH ist nicht gerade amüsiert über die neue Regelung. Neue Fahrer hätten jetzt mehrmals nicht „ausgecheckt“. Dass sie als Gewerbesteuerzahlende Lieferanten ihre Arbeitszeit in der Warteschlange an der Kasse verbringen müssen, verursacht zusätzlich Lohnkosten. Das Hinterlegen von Kennzeichen sollte möglich werden, sagt Juliane Korell.
Die Surfer würden sich über verschiedene Alternativen freuen. Wir haben auch mit Mitgliedern der Marinekameradschaft gesprochen, die nichts anderes sagen, aber man wartet ab und ist in Gesprächen mit der Stadt. Ein Tagespreis wie an der Stockelache wäre ok oder wenigstens eine 6-Stunden-Stufe zusätzlich“, sagt Gerd Ochsenhofer. Auch einen eigenen Parkplatzbereich würde der Verein sicher pachten.
Es gibt noch weitere Kritik, die uns genannt wird: Man bekommt kein Rückgeld, weil das gar nicht vorgesehen ist bei „Barzahlung“, Belege für Firmenwagen kommen nicht und die Bestätigung wird nur so kurz eingeblendet, dass man sie nicht mal mit dem Handy abfotografieren kann. Wir haben festgestellt, dass online eine Zahlungsfrist von bis zu 24 Stunden gewährt wird, wenn man seine Kreditkarte nicht gerade in der Hand hält. Das blöde ist, wenn man die Online-Bezahlseite verlässt, sind die Daten weg. Dann kann man nur auf die Strafgebühr warten?
Was der Bürgermeister dazu sagt
Natürlich haben wir auch Bürgermeister Marcèl Pritsch zur Kritik an der Preisgestaltung und den praktischen Abläufen am Singliser See befragt. „Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Borken (H) haben für den Erwerb und den jetzigen Stand der Infrastruktur eine siebenstellige Summe investiert. Mit der jetzigen Preisgestaltung haben die Nutzerinnen und Nutzer des Naherholungsgebietes Singliser See die Möglichkeit, dies dem Steuerzahler zurückzuerstatten und den laufenden Betrieb zu finanzieren.“ Dies geschehe vor dem Hintergrund, dass am Singliser See kein Eintritt erhoben, aber erheblicher Aufwand betrieben werde.
Gegen die Wünsche der Vereine argumentiert er damit, dass Vereine die Vereinsgelände kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen. Keiner der ansässigen Vereine zahle Pacht. Alle profitieren von der gut gepflegten Gesamtanlage. Wir haben herausgehört, dass die Surfer lieber Pacht als Parkgebühren zahlen würden. Aber jedes Jahr, so Marcèl Pritsch, werde am Ende geschaut, „was wir für die nächste Saison verändern.“ Das mit den Lieferanten werde sich einspielen. Das sei sicher organisatorisch zu lösen. Bei Veranstaltungen sollte das an einem Euro Parkgebühr für die Anlieferung von Speisen und Getränken nicht scheitern.
Was nichts kostet, ist nichts wert?
Die Projektsteuerungsgruppe „Entwicklung Borkener Seenland“ war sich einig, Werte umzusetzen. „Wer aus teilweise mehr als 50 Kilometer Entfernung mit seinem PKW zu uns fährt, um die schöne Gegend zu genießen, den sollten die Parkgebühren nicht davon abhalten, uns als willkommene Gäste zu besuchen“, findet der Bürgermeister: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“
Über den Wert entscheiden – wie bei allem im Leben – Angebot und Nachfrage. Borken hat seine Geschichte mit hohen Gebühren. Immerhin ist die FWG von Marcèl Pritsch aus der einst größten hessischen Bürgerinitiative (Interessengemeinschaft Klärwerk) mit hervorgegangen, die sich gegen überhöhte kommunale Gebühren und Beiträge gewehrt hatte. Eine Bürgerinitiative ist nicht in Sicht. Die Beschädigungsversuche an den Kassenautomaten sind unübersehbar. Immerhin: in der aktuellen Jubiläumswoche werden für ein Fest am See keine Parkgebühren erhoben. Es geht also, wenn die Stadt Veranstalter ist … (rs)

2 Kommentare
Datenschutz wo bist du ?
Was wohl passiert wenn es zu einer Fahrzeugpanne kommt ?
Muss dann der Abschleppdienst auch Gebühren bezahlen ?
Das ist einfach nur Unfähigkeit im Sinne der Bürger zu handeln.
Gibt es eine Kosten / Nutzen Rechnung seitens der Stadt ?
Das ist unverschämt – Wucher!
Soziales Borken – ade!