
Nico Lange © Foto: Elena Haudel | nh
Sicherheitsexperte für strategisches Umdenken in Deutschland
KASSEL. Im vollbesetzten Bürgersaal des Kasseler Rathauses sorgte Nico Lange, Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz, bei einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft am 7. Mai für einen eindringlichen sicherheitspolitischen Weckruf. Mit dem Titel „Putin hat uns längst den Krieg erklärt“ stellte Lange klar: Deutschland müsse endlich aufwachen …
… Und zwar sowohl politisch, gesellschaftlich, wie militärisch. Zu Beginn seines Vortrags zeichnete Lange ein schonungsloses Bild der aktuellen Weltlage. Die Vorstellung vom „Ende der Geschichte“, wie sie nach dem Kalten Krieg populär wurde, sei eine Illusion gewesen. „Wir haben zu lange geschlafen“, so Lange. Während andere Mächte wie China und Russland ihre geopolitische Macht ausbauten, habe Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt.
Krieg in der Ukraine ist kein isolierter Konflikt
Im Zentrum seiner Analyse stand der Krieg in der Ukraine, den Lange nicht als isolierten Konflikt, sondern als Teil eines umfassenden hybriden Krieges Russlands gegen Europa beschrieb – ein Krieg, der bereits 2014 begonnen habe. „Putin greift nicht nur die Ukraine an, sondern unsere Werte und unsere Freiheit“, warnte der Experte. Russische Propaganda finde längst auch in Deutschland Eingang in den öffentlichen Diskurs.
Lange forderte ein fundamentales Umdenken in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es gehe nicht um mehr Geld, sondern um mehr Mut, Entschlusskraft und klare Führung. Deutschland dürfe sich nicht länger auf den Schutz durch die USA verlassen, sondern müsse europäische Verantwortung übernehmen – mit glaubwürdiger Abschreckung, militärischer Einsatzfähigkeit und strukturellen Reformen wie einer nationalen Rüstungsagentur.
Bürokratische Überplanung innerhalb der Bundeswehr
Er kritisierte die bürokratische Überplanung innerhalb der Bundeswehr und sprach sich für eine effizientere Beschaffungsstruktur aus. Auch personell müsse Deutschland umdenken: „Wir brauchen die richtigen Leute in Führungspositionen – nicht 100 Generäle, sondern 100 fähige Entscheider.“

Ein zentrales Anliegen war Lange der mentale Wandel: Die Vorstellung, Russland sei militärisch unbesiegbar, sei ein „mentales Gefängnis“. Die Ukraine beweise, dass technologischer Vorsprung, Entschlossenheit und Widerstandswille entscheidend seien. „Abschreckung braucht Mut – und Führung“, so seine klare Botschaft.
Sicherheitspolitik kein Debattierclub sondern Handlungsfeld
Zum Abschluss appellierte Lange, Sicherheitspolitik nicht als Debattierclub, sondern als Handlungsfeld zu begreifen: „Wir brauchen keine 100 Papiere mehr, sondern Ergebnisse.“ Seine Empfehlung an die Bundesregierung lautete daher: „Nicht weiter diskutieren – handeln.“
Die eindrucksvolle Veranstaltung wurde von Jürgen Fischer moderiert. Die zahlreichen Besucher zeigten sich bewegt und nachdenklich – und verließen den Saal mit dem Gefühl, dass Deutschland sich sicherheitspolitisch grundlegend neu positionieren muss, um den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen zu sein. (rs)

