
Ronald Reng beim Fußball-Kulturpreis 2022 mit Katrin Müller-Hohenstein. ©Foto: Jutta Missbach | nh
HOMBERG (EFZE). Am Mittwoch, 2. April, liest Ronald Reng im KOCHS (Untergasse 14, in Homberg (Efze), Beginn: 19 Uhr, Eintritt frei) aus seinem Buch 1974 – eine deutsche Begegnung vor. Vorab führte die Erich Kästner-Schule mit dem Bestseller-Autor ein Interview.
Herr Reng, am 2. April besuchen Sie Homberg. Was denkt ein gebürtiger Südhesse über den Norden des Bundeslandes?
Ronald Reng: Auch wenn wir uns in Frankfurt für den Nabel des Bundeslandes hielten, mussten wir an der Grundschule alle hessischen Mittelgebirge samt ihren höchsten Erhebungen auswendig lernen: Das Knüll-Gebirge mit dem Knüll als Gipfel war damals mein Lieblingsgebirge – wegen des ulkigen Namens natürlich. Aber gesehen habe ich den Knüll bis heute noch nicht. Dank der Lesung in Homberg komme ich ihm zumindest mal nahe!
Sie lesen aus Ihrem Buch 1974 – eine deutsche Begegnung vor. Spielt bei der Lesung eine Rolle, dass Homberg weniger als eine Autostunde von der ehemaligen Grenze entfernt ist?
In dem Buch versuche ich, rund um das einzige Fußball-Länderspiel der Geschichte zwischen der Bundesrepublik und der DDR den Alltag in beiden deutschen Staaten in den 70er-Jahren nachzuzeichnen. Und ich hoffe, dass wegen der Grenznähe ein besonderes Interesse bei etlichen Homberger Bürgern an dem Thema besteht. Denn sie erlebten die deutsche Teilung in ihrem Alltag ja viel konkreter als die meisten Westdeutschen.
Im November 1989 waren Sie 19 Jahre alt. In welcher Lebensphase waren Sie damals, und wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Damals interessierte mich ehrlicherweise nicht viel anderes als ein Mädchen namens Andrea Dekarski, meine Freundesclique und mein Sport; ich machte Mittelstreckenlauf. Von daher zog der Mauerfall nur wie ein fernes Ereignis an meinem jugendlich-ignoranten Hirn vorbei. Das Buch war auf gewisse Weise auch ein Versuch, nachzuholen, was ich damals verpasst hatte: deutsch-deutsche Geschichte zu erleben – und für viele andere erlebbar zu machen.
Können Sie sich – sofern es einen gab – an Ihren ersten Besuch in der DDR erinnern?
Ich war – wie so viele Westdeutsche – nie dort. Meine Verwandten lebten allesamt in Bayern, und deshalb orientierte sich meine Frankfurter Familie eigentlich nur nach Süden: Jede Urlaubsfahrt ging nach Bayern oder eben weiter nach Italien und Frankreich. So war ich, wenn ich mich richtig erinnere, bis 19, 20 auch noch nie in Nordrhein-Westfalen. Das Leben war damals im wahrsten Sinne des Wortes deutlich begrenzter. Der nördlichste Ort war für mich jedes Jahr Bad Sooden-Allendorf: Dort gab es die einzige Leichtathletik-Halle in Hessen, und wir fuhren jeden Januar zu den Hessenmeisterschaften hin.
Wie haben Sie den Fußball in der DDR wahrgenommen?
Bis zirka 1990 gab es kaum Live-Übertragungen von Fußballspielen im Fernsehen. Und da wir in Frankfurt kein Ost-Fernsehen empfingen, sah ich nie ein Spiel von DDR-Mannschaften. Ich habe mir also als Kind und Jugendlicher die Fußballwelt hauptsächlich aufgrund von WM-Büchern und Zeitungsberichten zusammengereimt. In meiner Fantasie war der DDR-Nationaltorwart Jürgen Croy ein famoser Keeper, weil ich ihn auf einem Foto in Harry Valeriens Buch zur WM 1974 verwegen fliegen gesehen hatte.
Am Tag nach der Lesung besuchen Sie die Erich Kästner-Schule. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Schulzeit?
Tatsächlich erinnere ich mich nicht nur an unheimlich nette und lustige Mitschüler, sondern auch an tolle Lehrer wie Herrn Kraatz und Frau Donath, die mit ihrer Art, den Unterricht zu gestalten, in mir die Neugierde für die Welt und die Literatur weckten.
War der Autor Ronald Reng immer der Klassenbeste in Deutsch?
In Kommasetzung war ich top! Und ja, ich hatte schon in der Grundschule Freude am Schreiben, so wie andere am Klavier- oder Fußballspielen.
Eine fiktive Frage zum Schluss: Sie müssen einen Literaturkanon für die Schulen in Hessen erstellen. Welches Ihrer Bücher wäre enthalten und wieso?
Haben Sie Beziehungen zum Kultusministerium? Dann setzen Sie doch gerne 1974 – eine deutsche Begegnung auf die Leseliste für die Oberstufen. Ich bilde mir ein, dass man in dem Buch sehr unvoreingenommen und auf leicht zugängliche Art erfährt, wie das Leben in beiden Staaten während der deutschen Teilung tatsächlich war. Aber da ich das Buch geschrieben habe, bin ich möglicherweise nicht ganz objektiv bei der Einschätzung.
Vielen Dank, Herr Reng, für das nette Gespräch. (pm)

