
Klaus Stern im Gespräch mit Zuschauern © Foto: Rainer Sander
Klaus Sterns Film über geheimnisvollsten Software-Konzern
BAUNATAL. Die Geschichte ist nichts für Menschen mit Verfolgungs- oder Verschwörungsängsten. Eigentlich zeigt sie, dass es nichts mehr gibt, was unmöglich ist. Die Story von zwei, drei, vier Typen, die keine Schere im Kopf haben, an nichts glauben, vor nichts Angst haben, nichts unmöglich finden und scheinbar keine Werte kennen. Die aber auch nie aus dem Rahmen fallen …
Kennen Sie „Palantír“? Nein? Palantíri vielleicht? Ich weiß, jetzt schwindet schon die Lust, die Geschichte zu lesen oder gar anzuschauen. Palantir ist eine Softwarefirma. Auch die – jede Wette – kennen Sie nicht!? Also: Palantíri sind magische, kugelförmige Kristall-Sehsteine in Tolkiens Welt des „Herr der Ringe“. Die haben Sie schon gesehen. Ihren Benutzer sehen und kommunizieren über große Distanzen. Das Auge von Sauron, das alles sieht, haben wir in unseren Gehirnen gespeichert …
Dokumentarfilmer Stern zeigt Film im Cineplex Baunatal
Apropos speichern: Der US-Amerikaner Alex Karp und der gebürtige Deutsche Peter Thiel, der einst mit Elon Musk zusammen PayPal „erfunden“ hat, haben eine Software entwickelt, die Daten analysieren und strukturieren kann. Zunächst für Unternehmen, die keine Ahnung und Übersicht über ihre Daten haben, erzählt der Film „Watching You“ des gebürtigen Schwalmstädters und Grimme Preisträgers Klaus Stern. Dann schließlich für die Polizei, wie auch in Hessen oder Nordrhein-Westfalen. Der Macher selbst, lebend in Kassel, geboren im kleinen Schwälmer Dorf Wiera, hat selbst am Donnerstag sein aktuelles Werk im Cineplex Baunatal einem interessierten Publikum gezeigt.
Geschaffen von den Elben, genutzt von den Menschen in Gondor, konnten die Palantíri den Willen stärkere Persönlichkeiten beeinflussen, Sauron täuschte mit dem Palantír von Minas Morgul Saruman, während ein anderer Aragorn zum Weg auf den Thron verhalf. Längst spielt die Palantir-Software „Gotham“ eine wichtige Rolle bei NSA und CIA und soll ermöglicht haben, RAF-Terrorosten und später Bin Laden aufzuspüren.
9/11 war der Türöffner zum Anvisieren und töten …
Karp und Thiel sprechen nicht über Erfolge und Misserfolge, sagen sie, wenn sie darauf angesprochen werden. Aber 9/11 war der Türöffner für ein paar Verrückte, die sonst nie eine Chance gehabt hätten, lautet eine Aussage in Sterns Film, der 2024 die Münchner Dokumentations-Filmtage eröffnen durfte. Karp spricht perfekt deutsch und hat am Deutschen Sigmund-Freud-Institut über die Aggression der Menschen dissertiert. Seine Doktormutter und Habermas-Schülerin Carola Brede erzählt über den Studenten und Institutsmitarbeiter Karp. Dieser war früh im Aufsichtsrat von Axel Springer und BASF.
Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, erkannte in der Software Sucht-Potenzial. Keine zweite hat weltweit so viele Daten gesammelt und inzwischen mit den Sozialen Netzwerken abgeglichen. Der Vorsprung ist enorm, der Einfluss gigantisch. Die Firma ist seriös, aber die Software eine rechtsstaatliche Herausforderung. Man kann mit ihr Ziel anvisieren und töten.
Zwischen Genie und Wahnsinn, Ohnmacht und Allmacht
Unvorsichtige Verwendung der Palantíri konnte bei Tolkien leicht zu Wahnsinn oder Verzweiflung führen. Im Film wird deutlich, mit welch großem Sendungsbewusstsein die Tech-Bosse insgesamt auf den Rest der Welt schauen und ihre eigene Unfehlbarkeit betrachten. Im Gespräch mit den Besuchern erzählt Stern auch über die Nähe von Palantir zur Trump-Administration und vor allem zu JD. Vance, dem Vize, der ohne Thiel nicht wäre, was er heute ist. Man mag schon ahnen: Trump ist ein Senior und kein Politiker, sondern Builder. Der wird gebraucht, den Boden zu breiten. Von der Weltherrschaft dürften andere träumen. Wer steuert wen? Filmemacher Stern sagt: „Ich entschlüssele das nicht, ich zeige es in meinem Film.“ Das Bundesverfassungsgericht, so der Dokumentarfilmer, hat auch nicht entschlüsselt, als es über den Einsatz der Software in der Rasterfahndung entscheiden musste.

Ohne dass es ausgesprochen wird, fängt man an zu verstehen, warum der frühere Geschäftspartner von Thiel, Elon Musk, so viele Satelliten ins All schießt und Trump unterstützt. Ohne Thiel und Musk hätte die Ukraine nicht so lange den russischen Angriffen widerstehen können. Da steht das Ziel im Raum, die Welt in Ordnung zu bringen. Aber streng genommen ist das System wiederum nichts für Menschen, die glauben, jemand könne die Welt beherrschen. Alles geschieht im Sinne des Guten – aber nichts ist ohne sein Gegenteil wahr …
20 Jahre ohne Gewinne – 250 Milliarden Börsenwert
Palantir, die größte kommerzielle Überwachungsfirma der Welt, hat 20 Jahre lang keine Gewinne gemacht, ist aber überall begehrt. Der Börsenwert liegt bei über 250 Milliarden Dollar. Karp wirkt eher links, Thiel ist libertär und eher rechts. Ein Zitat dazu: „Hätten alle Anschläge stattgefunden, die wir verhindert haben, gäbe es keine Linken mehr …“ Das perfekte Gegensatz-Paar. Keine Geschäfte mit Russland oder China, heißt es bisher.
Nomen est omen
In jedem Anfang ist das Ende begründet. Tatsächlich haben Palantiri in der Geschichte Tolkiens versagt, weil der Blick in einen Zauberkristall, um die Zukunft vorherzusehen, deshalb zu Fehlern führt, weil die Kraft verloren geht, auf die Vorsehung zu vertrauen. Das Leben passiert, während wir anderes planen (sagt Lennon). Im Herrn der Ringe schwand die Kraft, als ein Palantir in die Hände der Gegner geriet. Der Film endet in seiner Geschichte, bevor Trump Putin die Ukraine schenkt und der erste Palantir die Seite wechselt. Den Schluss der Geschichte bekommen wir erst noch erzählt … Noch ist auch nicht klar, wer Sauron ist und wer Gandalf. Aber es die Zeit für genau diesen Film … (Rainer Sander)
