Konfirmationsstadt feiert 485 Jahre Festung und Konfirmation
KONFIRMATIONSSTADT. Ungefähr ein Jahr wurde geplant, ziemlich genau drei Monate haben Mitglieder des „Verein zur Förderung der Konfirmationsstadt“ kaum anderes gemacht und drei Wochen auch an nichts anderes mehr gedacht. Gestern Abend markierten die Enthüllung der dritten Figur (Konfirmationsplastik) und die Tafeley den Auftakt zu einem bombastischen Fest.
Bereits am Donnerstag und auch den ganzen Freitag über hat sich der Festungsbereich in Ziegenhain zurückverwandelt in eine Kulisse aus dem 16. Jahrhundert. Rund um den Paradeplatz sind verschiedene Händler, Zünfte und Handwerker aus einer früheren Epoche zurückgekehrt in die Residenzstadt, Tavernen entstanden, in Heerlagern siedeln Soldaten – scheinbar kampfbereit – um die Festung zu verteidigen oder anzugreifen.
Grandioses Schauspiel und realistische Rückblick
Ab heute erwartet die Besucher ein faszinierender Blick zurück und ein grandioses Schauspiel mit authentischen Darstellungen, über 1000 Soldaten aus der Zeit der Reformation, des 30-jährigen Krieges, als in der deutschen Kleinstaaterei noch jeder gegen jeden, viele gegen die Bischöfe, mit oder gegen Könige ins Gefecht zogen, oder in Amerika gegen die Unabhängigkeit feuerten.
485 Jahre besteht die Wasserfestung und nirgends gibt es einen so gut erhaltenen Wallgraben, der so vollständig erhalten ist. 485 Jahre gibt es auf unserer Erde die Konfirmation und ganz gleich, ob sie in Philadelphia, wo die Besucherin mit der vermutlich längsten Anreise herkommt, in Rio, Sydney, Johannesburg, Moskau, Kiew oder Augsburg, wo der Religionsfriede geschlossen wurde, konfirmiert wird, geht dies auf die Regeln der Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung aus dem Jahr 1539 zurück.
Kleidung im Wandel der Jahrhunderte – Schwarzenbörner Garderobenstreich
Wie vielfältig sich die Kleidung in 485 Jahren verändert hat, war gestern Abend bei der großen Tafeley zu bewundern. Im Jahr der Festungsgründung und der ersten Konfirmation waren die Gewänder, Hosen und Hemden noch eher mittelalterlich. Im Laufe von fünf Jahrhunderten hat sie sich mehrmals gravierend verändert. Genau so und genau in dieser Vielfalt zeigten sich die Gäste. Mal herrschaftlich und mal bäuerlich, entweder schillernd oder bescheiden. Interessant, dass die schillernden Persönlichkeiten der Gegenwart auffallend oft die bescheidensten Kostüme der Vergangenheit wählten.
Der Erste Kreisbeigeordnete des Schwalm-Eder Kreises, Jürgen Kaufmann, einst Bürgermeister von Schwarzenborn, erschien in schlichtem weißen Gewand mit einem angenähten Samt-Ärmel. Eloquent erklärte er der Gesellschaft, die vor der Tafeley die dritte Figur des Denkmals an die Ursprünge der Konfirmation enthüllte, dass die Bürger von Schwarzenborn ihrem Meister einst nur einen samtenen Ärmel spendiert haben. Die Schwarzenbörner standen schon immer auf der Comedy-Seite der Historie.
Figur zu Ehren Martin Bucers, dem Brückenbauer
Dekan Christian Wachter, Vorsitzender des veranstaltenden Vereins, erinnerte daran, dass es durchaus Unterschiede gegeben hat, wer lutherisch und wer reformiert war. Die Lutheraner gingen in Holzburg zur Kirche, die Reformierten in Ziegenhain. Enthüllt wurde jetzt die Figur von Martin Bucer, dem Brückenbauer, wie Wachter betonte, zwischen den Konfliktparteien der Reformation. Er war Schüler Luthers und Lehrer Calvins.
Hessens Justizminister Christian Heinz überbrachte die Grüße von Schirmherr Ministerpräsident Boris Rhein und fungierte zugleich als Hausherr der Festung (JVA). Als katholischer Christ freute er sich, endlich zu wissen, woher der Ausspruch „aus der Taufe heben“ stammt. Er ging auf Wachters humorvolle Darstellung des alten „Slogans“ „Fest wie Ziegenhain“ ein. Fast zwei Jahrhunderte galt, dass niemand in die Festung eindringen konnte. Heute gilt, dass niemand mehr ausbrechen kann, bis auf ein Ereignis Anfang der Neunzigerjahre, an das sich niemand mehr gerne erinnert.
Kunstwerk von Lutz Lesch
Der Treysaer Bildhauer Lutz Lesch hat das Kunstwerk gestaltet, das jetzt in ganzer Pracht auf dem Paradeplatz zu bewundern ist. Jürgen Kaufmann hat in der Kirchenzuchtordnung eine Passage entdeckt, nach der auch Andersgläubige respektiert werden müssen. In der heutigen Zeit ein wichtiges Gut. Bürgermeister Tobias Kreuter bezeichnete das Jubiläumsfest als Zeitreise durch fünf Jahrhunderte. Nach Abschreiten der Garde eröffneten Salutschüsse das farbenfrohe Fest.
Die Tafeley, die heute Abend – bereits ausverkauft – wiederholt wird, war ein authentisches Fest mit festlicher Dekoration, leckeren Klößen und deftigem Gulasch gleitet von Musik der Spielleute, Gauklereien und Kunststücken war zugleich das kurzweilige Schaulaufen von Kleidung aus fünf Jahrhunderten, von mittelalterlich bis modern.
Professionelle Gruppen führen Besucher Jahrhunderte zurück
Heute lohnt ein Besuch im Festungsbereich, wenn der Landgraf die Schwälmer Bauern zum Kartoffelessen einlädt, Schwertfechter kämpfen, Soldaten durch die Stadt marschieren, Pferde gemustert werden, Handwerker ihr Können zeigen und viele andere Aktionen das Leben in der Festung aus den letzten 500 Jahren nachstellen. Dazu wurden Reenactment-Gruppen eingeladen, die sich perfekt auskennen mit der „guten alten Zeit“, wie sich hier nicht nur romantisch, sondern realistisch zeigt. Am Sonntag lockt der stehende Festzug in den Festungsbereich. Mehr Informationen gibt es HIER. (Rainer Sander)
1 Kommentar
Ich war vom 8. – 13.9. in Schwalmstadt, um meine Schwester in der Klinik zu besuchen. Zufällig wurde ich Zeuge, wie die 3. Figurengruppe unter der Aufsicht des Künstlers L.Lesch aufgerichtet wurde.
Ich vermisse in Ihrem Bericht ein Foto der vollständigen Skulpturengruppe, über die Sie ja berichten.
Freundliche Grüße von Hella Schacher
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