Vorsprechen in der Verwaltung wird noch immer erwartet
NORDHESSEN. Deutschland liegt in der Digitalisierung weit hinten. Wie kann das sein? Digitale Rathäuser sollen das Leben einfacher, nachhaltiger, ressourcenschonender und die Verwaltung effizienter machen. Wie geht es Ihnen denn so mit ihrem digitalen Rathaus? Wir haben uns in Nordhessen umgesehen, wer den gesetzlichen Anspruch der Bürger ernst nimmt.
Dabei haben wir festgestellt, dass die Städte und Gemeinden in Nordhessen eine unterschiedliche Sprache sprechen, wenn es um Themen wie „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ und „digitaler Bürgerservice“ geht.
Der meiste Service kommt von Bund und Land
Schaut man in das Verwaltungsportal des Landes Hessen, erblickt man dort die Online-Dienste aller Kreise und Kommunen. Für die „nh24-Heimatstadt“ Schwalmstadt sind dort sensationelle 906 Online-Dienste ausgewiesen. Da ist die Digitalisierung des Rathauses mächtig vorangeschritten? Je, nee! Nicht wirklich! 568 Online-Dienste werden vom Bund und 261 vom Land Hessen bereitgestellt und immerhin noch 10 vom Regierungspräsidenten. Das ist in allen nordhessischen Landkreisen gleich. Das sind zusammen schon 839.
Die großen Unterschiede beginnen in den Landkreisen selbst. Da liegt in Nordhessen der Schwalm-Eder-Kreis mit 65 Online-Diensten in Führung. In Südhessen liefert nur der Landkreis Main-Taunus mehr. Und zwar fast doppelt so viele (122). Alle anderen Kreise und Kreisfreien Städte bieten weniger digitalen Service. Kassel hat bei den kreisfreien Städten mit 89 Services die Nase klar vorn vor Frankfurt mit 80. Unter den kreisangehörigen Städten hat Bad Hersfeld mit der Zahl 55 den Riecher am besten im Wind.
Schwalm-Eder bei den Kreisen in Führung – Schwalmstadt ganz hinten
Die übrigen nordhessischen Kreise haben sich mit unterschiedlichem Erfolg digitalisiert: Landkreis Kassel (50), Waldeck-Frankenberg (49), Hersfeld-Rotenburg (48). Schlusslicht ist der Werra-Meißner-Kreis (6). Wer glaubt, dass dort, wo digital geforscht und gelehrt wird, der Bildungsbetrieb auf die Verwaltung „abfärbt“, irrt sich: In Marburg-Biedenkopf gibt es müde 10 Online-Dienste und in der selbst erklärten Wissenschaftsstadt Darmstadt sind es 37, nicht einmal halb so viele wie in der documenta-Stadt Kassel.
Kehren wir zurück nach Schwalmstadt. Es sind von 906 digitalen Diensten spärliche 2 „Selbstgestrickte Online-Dienste“ aus der Schwalm-Metropole. Genauso viel, wie in Guxhagen und Frielendorf. Gar keine haben die meisten: Niedenstein, Edermünde, Wabern, Felsberg, Körle, Melsungen, Malsfeld, Morschen, Bad Zwesten, Jesberg, Gilserberg und Ottrau (0). Fritzlar, Willingshausen und Schrecksbach haben wenigstens 1 Online-Dienst parat.
Homberg und Baunatal bei den Kommunen in Führung
Jeweils deutlich digitalisierter präsentieren sich Borken (9), Gudensberg (14), Spangenberg (16), Schwarzenborn (19), Knüllwald (21), Neukirchen (25) und Neuental (27). Souveräner Spitzenreiter bei der Digitalisierung ist die Kreisstadt Homberg (35).
Im Norden sieht es ähnlich aus. Baunatal führt die Liste im Landkreis Kassel mit 32 Online-Diensten an. Akkurat sind verschiedene Anträge und Anzeigen aufgelistet, die online eingereicht oder abgerufen werden können. Dann geht es steil bergab: Lohfelden (29), Kaufungen (23), Niestetal (18), Schauenburg (15), Vellmar (13), Fuldatal (11), Espenau (7), Bad Emstal und Söhrewald (3), Immenhausen (2), Naumburg, Wolfhagen, Habichtswald, Zierenberg, Breuna, Calden, Liebenau, Grebenstein, Hofgeismar, Trendelburg, Bad Karlshafen, Wahlsburg, Oberweser, Reinhardshagen, Ahnatal, Nieste, Helsa und Fuldabrück (0).
In Homberg kann man online sogar ins Fundbüro gehen oder Anträge zur Gebühr für das Niederschlagswasser stellen. In Schwalmstadt reicht es nur zum Antrag auf Förderung einer Zisterne und zum Abmelden eines Hundes. Allerdings ist mit digital an dieser Stelle gemeint, dass man das Ausfüllformular als PDF herunterladen, mit dem Kuli ausfüllen, wieder einscannen und zurückschicken kann. Genauso läuft es mit dem Antrag auf einen Fischereischein …
Kein Geschenk des Himmels – aber viel Geld von oben
So eine Digitale Stadt fällt übrigens nicht vom Himmel. In Baunatal hat man sich sehr um Fördermittel bemüht. Seit längerem schon werden Wasseruhren beispielsweise per Funk abgelesen. Dort klingelt kein Wassermann mehr. In Baunatal und Homberg werden Papierkörbe zukünftig selbst melden, wenn sie geleert werden wollen.
Es hängt immer von der Innovationsbereitschaft im Rathaus ab. Homberg/Efze, Frielendorf, Schwarzenborn und Knüllwald bekommen 1,7 Millionen aus dem Landesprogramm „Starke Heimat Hessen“, um ihre Rathäuser digital fit für die Zukunft zu gestalten. In Schwalmstadt hat es nicht einmal zu einem einzigen Antrag gereicht, weil wohl niemand wusste, was man alles hätte digitalisieren können. Aber ohne Moos nix los.
Mangelnde digitale Vorstellungskraft
Als sich die Fraktion der CDU jüngst getraut hat – wie in der Kreisstadt und dem Marktflecken Frielendorf vorgesehen – einen Dokumentausgabe-Automaten im Stadtparlament zu beantragen, hat sich die Mehrheit der Stadtverordneten gar nicht vorstellen können, was damit wohl gemeint sein könnte … So ist das, wenn Chefs im Parlament sitzen, denen eine Sekretärin E-Mails ausgedruckt auf den Schreibtisch legt oder Beamte und Angestellte, die in ihren eigenen Verwaltungen noch Materialanforderungsscheine ausfüllen.
Das schlagende Gegenargument war, die Öffnungszeiten im Rathaus auszuweiten. Also mehr Manpower und Verwaltungsmitarbeiter im Einsatz statt Automatisierung und Digitalisierung. Ok, von einem Schwälmer Bürger kann man schließlich erwarten, dass er artig und gekämmt zu den Geschäftszeiten im Rathaus vorspricht und um seine Dokumente bittet … (rs)
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1 Kommentar
Lieber Rainer,
So sehr ich deine humoristischen Beiträge mag, hier möchte ich doch mal in kleinen Teilen korrigieren. Bei der letzten Stavo ging es nicht direkt um Digitalisierung, sondern um eine möglich Dokumentenbox. Um diese Dokumentenbox sinnvoll bestücken zu können, bedarf es erst mal der notwendigen Digitalisierung.
Um da voran zu kommen hat die Stadtverordnetenversammlung vor 2 Jahren auf Antrag der Freien Wähler die Verwaltung einstimmig beauftragt, sich bei DEM Förderprogramm zu bewerben, aus dem jetzt in Frielendorf, Homberg, etc. investiert wird. Aber wie so oft heißt es:
keine Ideen?
keine Bewerbung?
keine Förderung!
Die in der Sitzung geforderte Erreichbarkeit des Bürgerbüros bezog sich meiner Meinung nach auf die telefonische Erreichbarkeit WÄHREND der Öffnungszeiten!
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