SCHWALMSTADT-TREYSA. Das Ständchen im Reisebus, die Feier beim Konzert der „Fäaschtbänkler“ auf den Hephata-Festtagen: Für Tanja Hable aus Naumburg konnte der 50. Geburtstag nicht besser laufen. Gemeinsam mit 1.800 Menschen feierte sie am Samstagabend beim Festival für Vielfalt und Teilhabe in Schwalmstadt-Treysa bis in die Nacht hinein.
„Mich haben meine Familie und Freunde schon um Weihnachten herumgefragt, was ich denn so an meinem Geburtstag plane. Wir sind alle Fans, die wollten alle zum Konzert. Dann habe ich gedacht: Okay, warum nicht?“, sagt Tanja Hable lachend. Mit 88 Gleichgesinnten aus ihrer Region, darunter auch viele Musiker der Stadtkapelle Naumburg, ging es am Samstagabend nach Treysa. Dabei war es für Tanja Hable auch noch ein Heimspiel: 1999 hatte sie im Geschäftsbereich Wirtschaft und Versorgung angefangen, bei Hephata zu arbeiten, später war sie als Abteilungsleiterin im Dienstleistungsbereich der Werkstätten (WfbM) der Sozialen Teilhabe aktiv.
Mit ihr unterwegs war eine weitere Hephata-Bekannte: Uta Eckhardt (30) aus Bebra-Solz, die mit Partner Heiko Schäfer (36) und Freundin Isabell Schäfer (34) als Mitglieder der Kirmesgruppe Solz angereist war. Vor 13 Jahren hatte sie die Erzieher-Ausbildung an der Hephata-Akademie für soziale Berufe absolviert, ihre Freundin Isabell die Krankenpflegehilfe-Ausbildung. „Ich war schon ein paar Mal nach der Ausbildung wieder auf den Festtagen, habe Bekannte getroffen. Das Ambiente ist einfach toll“, so Uta Eckhardt. Die 33-Jährige und ihr Freund standen schon kurz nach dem Einlass um 18 Uhr in der ersten Reihe und räumten diese auch bis zur letzten Musiknote gegen 23:30 Uhr nicht: „Ich mag das Lied ,Ein Leben lang‘ am meisten.“
Besucherrekord am Samstagabend
Enttäuscht wurde sie von der Playlist der Schweizer Band Fäaschtbänkler nicht. Für die nötige Feier-Grundstimmung sorgte zuvor aber bereits die Frankenberger Band „Irrsinnig Groß – die kleine Blasmusik“, die mit Blasinstrumenten und Schlagzeug Hits wie „Böhmischer Traum“, „Ohne Liebe geht’s nicht“ und „The Story“ zum Besten gab. Der Festplatz an der Hephata-Gärtnerei, der in diesem Jahr mit 1.800 Besuchern einen Rekord am Samstagabend erlebte, kam so schon ins Klatschen und Hüpfen, bevor der Hauptakt des Abends überhaupt die Bühne betrat und ein Feuerwerk der Blas-Stimmungsmusik zündete – im wahrsten Sinne des Wortes: Konfettikanonen und Pyro-Fontänen, Hits wie „Partyplanet“, „Eskalation“, „Can you english please“ und „Ehrenwort“, der Wechsel zwischen Haupt- und Zuschauerbühne – die „Fäaschtbänkler“ heizten den Besuchern ein. Und Uta Eckhardt glühten am Ende des Abends vom Fingerpfeifen und Klatschen die Hände.
Auftaktveranstaltung mit 120 Gästen
Gleiches galt auch am Morgen für die 120 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Organisationen und Vereinen, die zur Auftaktveranstaltung der Hephata-Festtage in die Hephata-Kirche gekommen waren. Dort drehte sich alles um Teilhabe. Auch musikalisch: Der inklusive Chor „Vielklang“ unter Leitung von Hephata-Mitarbeiterin Livia Mühling sorgte für das Rahmenprogramm. Als auch inhaltlich: Universal Design, das Dienstleistungen und Dinge so gestaltet, dass sie von möglichst vielen Menschen nutzbar sind, war Thema. Die Hephata Diakonie ist Partner des „Instituts für Universal Design“, das seit 15 Jahren einen Award ausschreibt, zu dem bislang mehr als 1.000 Einreichungen aus mehr als 20 Ländern eingegangen sind. Die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) der Hephata Diakonie haben bereits mehrere Awards gewonnen.
„Das Thema Design scheint ja auf den ersten Blick nicht viel mit Hephata und unserem Auftrag zu tun zu haben. Aber das täuscht“, sagte Hephata-Vorstand Pfarrer Maik Dietrich-Gibhardt in seiner Begrüßung. „Beim Universellen Design geht es darum, Produkte oder Dienstleistungen, Räume oder Gebäude zu entwickeln, die möglichst viele Menschen problemlos nutzen können, und zwar ohne weitere Anpassung oder Spezialisierung. Das ist vom Gedanken her ganz nahe an unserem Teilhabe-Thema.“
Prof. em. Wolfgang Sattler, Bauhaus-Universität Weimar
Auf diesen Aspekt ging auch Prof. em. Wolfgang Sattler, Bauhaus-Universität Weimar, in seinem Redebeitrag „Universal Design und seine Rolle in einer vielfältigen Gesellschaft“ ein. Sattler führte die Charta der Menschenrechte, die UN-Behindertenkonvention und das Deutsche Grundgesetz als Grundlagen des Universal Designs an. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wie kam die Würde damals an den Anfang des Grundgesetzes? Das klingt wie ein Protestruf gegen die Tyrannei des Nationalsozialismus. Das ist heute wieder aktueller denn je“, so Sattler.
Denn: „Die Vielfalt der Menschen steht für die Stärke der Gesellschaft. Das Universal Design will für alle nutzbar sein und niemanden ausschließen. Das ist nicht nur ein Designthema, sondern es geht auch um soziale Nachhaltigkeit.“ Sattler stellte in Folge die Prinzipien des Universal Designs, wie eine breite Nutzbarkeit, eine flexible, einfache und intuitive Benutzung sowie einen dafür notwendigen niedrigen körperlichen Aufwand dar. Das Universal Design rücke den Menschen ins Zentrum, sei Haltung und Verantwortung und schaffe soziale Inklusion. Als gelungene Beispiele stellte Sattler einen Stift vor, der sowohl mit dem Mund, den Fingern und Zehen auf verschiedene Arten zum Schreiben benutzt werden kann. Oder verschiedene Küchengeräte, die durch ihre Gestaltung auch für Menschen mit motorischen Schwierigkeiten nutzbar sind – ohne, dass sie dafür ein auffälliges Design benötigen.
Beispiele aus den Hephata-Werkstätten
Im Anschluss präsentierten Mitarbeiter und Klienten der Hephata Diakonie Produkte, die in den Hephata-Werkstätten entwickelt wurden und Awards des Universal Designs gewonnen haben:
- Der Profi-Straßenbesen der WfbM am Lindenplatz, der von zwei Seiten benutzt werden kann und von dem alleine 800 bis 1.000 Stück pro Jahr an die Kasseler Stadtreinigung gehen.
- Das Holzbank-Projekt mit der Stiftung Kreissparkasse Schwalm-Eder, für das die Für Uns-Manufaktur Fritzlar Eichen-Holzbänke entworfen und gebaut hat.
- Die Marken-Entwicklung für ein Label und eine Verpackung der WfbM am Lindenplatz für Mitarbeiter-Kleidung.
- Die barrierefreie Laden-Einrichtung für den Verkaufsladen der Hephata-Gärtnerei, die Mitarbeiter und Klienten der Schreinerei am Herzberg sowie Tischler-Auszubildende und Mitarbeiter der Berufshilfe entworfen und gebaut haben.
Ausstellung Universal Design
Einige der Beispiele waren auch in der Ausstellung des Universal Designs während der Festtage in der Hephata-Kirche zu sehen. Denn Hephata war bereits am Freitag vor den Festtagen Gastgeber des Universal-Design-Awards. Dabei hatte eine Experten-Jury 40 eingereichte Produkte und Dienstleistungen angesehen, um den diesjährigen Award zu vergeben. Zusätzlich hatten die Besucher der Festtage die Möglichkeit, Teil der Publikums-Jury zu werden und beim Besuch der Ausstellung Bewertungen für den Consumer-Award zu vergeben.
Auszeichnung für die Hephata-Förderschule
Eine Überraschung wartete am Ende der Auftaktveranstaltung: Carolin Pauly, Geschäftsführerin des Instituts für Universal Design, überreichte dem Team der Friedrich-Trost-Schule (FTS), Berufsschule der Hephata-Förderschule, den diesjährigen Gold-Award der Expertenjury. Den Preis gab es für den „Lernacker“. Dabei handelt es sich um eine eigens programmierte App, die die Nutzung des Computerspiels „Landwirtschaftssimulator“ erleichtert. Den „Landwirtschaftssimulator“ nutzen die Lehrkräfte der FTS neben dem regulären Schulunterricht und der praktischen Ausbildung auf dem Hephata-Bio-Hofgut Richerode als virtuelles Lehrmittel für ihre Schüler. Das Projekt kam auch bei dem PC-Spielehersteller „Giants Gaming“ und dem Gaming-PC-Hersteller „Caseking“ so gut an, dass sie mit „M4cm4nus“ einen der bekanntesten Gaming-Influencer Deutschlands ins Boot holten. In der App „Lernacker“ analysieren die Schüler virtuell beispielsweise den pH-Wert von Böden, um entsprechend den Dünger-Bedarf zu berechnen, oder ernten Getreide.
„Die Experten-Jury hat sich gestern spontan entschlossen, den Gold-Award für dieses Projekt zu verleihen. Deswegen haben wir jetzt leider keine Urkunde parat“, so Carolin Pauly. Der Freude des FTS-Teams um Standortleiter Sascha Gömpel tat dies keinen Abbruch. (wal)
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