Herzberg Festival klingt aus mit Pink Floyd Sound
BURG HERZBERG. Was ist der Herzberg? Mythos? Retro-Event für oder aus dem Underground-Altersheim? Party im Regen für Gedanken an Gestern und Erinnerungen ohne Morgen? Wer Woodstock oder die Jahre danach überlebt und den Rest der Zeit bis heute in Trance verbracht hat, dürfte Pflegegrad 3 bis 5 erreicht haben. Rien ne va Plus?
Nichts geht mehr? Das Ding mit Woodstock ist und bleibt eine Legende. Es war eine geile Geschäftsidee, leider völlig aus dem Ruder und total anders gelaufen als geplant. Der Herzberg nicht. Das erste Festival auf der Burg fand 1968 statt, ein Jahr vor Woodstock. Weil’s Schwälmer aus Schrecksbach waren, die das initiierten und vor der Gebietsreform der Ziegenhainer Machtbereich so weit reichte, war es bodenständig anders. Ein Mythos zum Anfassen eben. Er wiederholt sich an Tagen wie diesen im Juli – Some of These days …
Der Herzberg bleibt ewig jung
Die Woodstock-Sentimentalisten, Greatful Dead- und Joan Baez-Versteher, Aktivisten der Koronar-Yoga- und Klangschalen-Arthrose-Selbsthilfegruppen werden zunehmend unterwandet von „jungen Hippies“, welche die Petards (Festival-Gründer am Herzberg) gar nicht kennen und auch mal Punk, Gothic, Techno und Metal hören. Viele von Ihnen würden eher der Love-Parade nachtrauern, als sich einem Schweigemarsch für Woodstock anzuschließen. Also: Das Herzberg-Festival wird unübersehbar von Jahr zu Jahr jünger. Übrigens nicht nur vor der Bühne, sondern auch auf der Bühne! Die beiden verbliebenen Petards Roger Waldmann und Arno Dittrich waren trotzdem auch 2024 wieder unter den (Ehren-) Gästen.
Die Musik wird also zeitloser. Die ersten beiden Tage war das im Line-up unübersehbar. Rasgarrasgar waren beispielsweise am Freitag lebender Beweis für die Unbekümmertheit und Ehrfurchtslosigkeit junger Bands. Gut so! Ich gehöre auch zum „Seniorenclub“ und freue mich, dass nichts jemals bleibt, so wie es war! Highlight am Freitagabend war gewiss Calexico. Für die Veranstalter ging damit ein Traum in Erfüllung, den sie schon lange geträumt haben (so die Original-Ansage der Band). Eine erfrischende Fusion – dem Namen nach – aus mexikanischer und californischer Folklore mit mächtiger Rock-Färbung. Wobei das nicht ganz stimmt, denn die Band ist in Arizona zuhause, der Gitarrist und Trompeter Martin Wenk kommt aus Rotenburg/Fulda (waschechter Nordhesse) und veröffentlicht wird bei einem bayrischen Label. Der Sound ist pausenlos schwankend zwischen Western und Folk-Rock und dabei so spannend wie St. Alamo …
Manches ist neu – anderes bleibt wie immer
Am Rande wirbt die Deutsche Vermögensberatung auf einem Stand von Attac – um gerechte Besteuerung der Reichen – , für nachhaltige Geldanlagen. Respekt! Auf dem Herzberg geht vieles. Wenn demnächst die ersten Vermögensberater vor Versicherungszentralen, Dax-Konzernen und Großbanken kleben, wissen wir, wo es herkommt …
Was sich nicht verändert, sind indes die Stände und Buden. Aber ich kaufe auch jedes Jahr beim gleichen Shop Westen, Jacken, Shirts und Kleidchen für die Tochter. Der Duft des Herzbergs hat sich trotz 2024 übrigens auch nicht verändert.
Wer zum Ausdruck bringen will, dass er mehr von Musik versteht und auch dem Herzberg Mainstream abgeschworen hat, ist vier Tage vor der Freakstage oder bleibt im Camping-Home auf Freak-City oder in der Neuen Heimat.
Jazzrock, Metal und unwetterartiger Regen am Samstag
Am Samstag reisten ganz alte Helden an. Kraan, erzählt Bassist und Kopf Helmut Hattler, gehören zu den ältesten Bands, die immer noch in der Gründungsbesetzung spielen. Dazu gehören immer noch Peter und Jan Fride Wolbrandt. Der Sound hat sich wenig verändert. Hattler ist und bleibt einer der versiertesten deutschen Solo-Bassisten, der es mit Stanley Clarke oder Jack Bruce aufnehmen kann.
Wolfmother sind – neben der Interpretation eigener Songs – auch eine der besten Metal-(Cover)-Bands. Unter anderem „Rock and Roll“ von Led Zeppelin und „Whole Lotta Rosie“ von AC DC waren gute Belege dafür. Auf dem Herzberg? Ja, auf dem Herzberg … Vor allem diktierte der Regen den Samstag. Der berühmte Herzberg-Matsch sorgte für vielfältige Vergnügungen und Freuden besonderer Art. Erst matschig und dann klebrig. Erst rutscht man, später stolpert man. Der Herzberg trocknet bei Sonne (am Sonntag) erstaunlich schnell. Spaß bereiten die Riesen-Seifenblasen von „Fee“.
Ein riesiges Stück Pink Floyd zum Ausklang
Auch für den Herzberg außergewöhnlich, aber für die „Senioren“ im Line-Up versöhnlich war der Auftritt von „Nick Mason’s Saucerfull Of Secrets“. Die Rückkehr der Pink Floyd Ära vor Dark Side. Ich weiß nicht, ob es die Light Side Ära gewesen ist? Der Pink Floyd Drummer kam in Begleitung von Musikern, die durchaus einerseits Pink Floyd Bezüge haben. Guy Pratt hat – außer bei Gary Moore – auch schon auf den letzten beiden Tourneen Roger Waters am Bass ersetzt. Lee Harris war bei den Blockheads sowie Talk Talk und hatte die Idee zu dieser Band, wie Mason erzählt. Auch Gary James Kemp (Kopf von Spandau Ballet) erzählt gerne: Er habe mit Mason Musik kennengelernt, die sein Leben verändert habe. Schließlich an den Tasten Dom Beken, der unter anderem mit dem verstorbenen Pink Floyd Keyboarder Rick Wright zusammengearbeitet hat. Er ist also nah dran und trägt bei vielen Stücken die Hauptlast der instrumentellen Verantwortung für den Sound.
Keinen anderen Tag! You’ll Never Walk Alone Herzberg!
Der gelingt dem Quintett perfekt. Es ist nicht eines der vielen Band Remakes mit einem Originalmitglied und sonst unbekannten Studiomusikern, die für die Tourneen bezahlt werden. Saucerful Of Secrets beginnen mit drei Syd-Barret-Kompositionen: „Astronomy Domine“ fegt gleich mächtig los, „Arnold Layne“ legt noch eine Schippe darauf, aber „See Emily Play“ beruhigt etwas mit dem Beat-Sound aus den Herzberg-Anfängen. Emily borgt sich Träume für das Hier und Jetzt. „Es gibt keinen anderen Tag!“ „Obscured By Clouds“ ist der Himmel über der Burg Herzberg am Sonntagabend nicht mehr, aber von sphärischen Klängen umgeben. So richtig undergroundig gelingt „Set The Controls For The Heart Of The Sun“, mit der Pink Floyd typischen Lightshow. Rot leuchten nicht nur die Bass-Drums. Auch „Fearless“ fehlt nicht: „You’ll Never Walk Alone … Herzberg!“
Gute Nacht mit Macht …
Den vier Musikern an der Seite von Nick Mason merkt man fast zwei Stunden lang den Respekt vor der großen und großartigen Musik an. Sie spulen ihr Programm nicht runter, sondern spielen einerseits nah an den Original-Arrangements, ohne andererseits ihre eigenen Fähigkeiten verleugnen. Deutlich wird das bei One Of These Days als Zugabe, das zu Improvisationen und Interpretationen provoziert und zuvor schon bei Echoes zwischen gefühlvoll und druckvoll. Mit Saucerful Of Secrets werden die 10.000 Besucher am Herzberg nach Hause, in die Zelte oder die Wohnmobile geschickt … Was für eine schöne Gute-Nacht-Musik … (Rainer Sander)
1 Kommentar
Thank you very much. One correction. I was not in Talk Talk. Different Lee Harris. He plays drums and we already have a drummer 😉
Thanks!
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