Schornsteinfeger-Tradition endet nach 111 Jahren

Simon Werner übernimmt Kehrbezirk von Frank Model
SCHWALMSTADT. Der Schornsteinfegermeister Simon Werner (41) aus Wolfhagen übernimmt in wenigen Tagen den Kehrbezirk von Frank Model aus Schwalmstadt, der Ende Juni in den Ruhestand geht. Damit endet die 111-jährige Schornsteinfeger-Tradition der Familie Model, die seit Generationen in Kellern Heizungen kontrolliert und auf Dächern Schornsteine fegt.

Die Geschichte der Models begann im Jahr 1913 in Magdeburg, als Urgroßvater August Model (geboren 1883) seine Arbeit als Bezirksschornsteinfeger aufnahm und bis 1945 tätig war.

Während des Zweiten Weltkriegs verfolgten die Nationalsozialisten in den besetzten polnischen Gebieten eine aggressive Germanisierungspolitik, die die Vertreibung der polnischen und jüdischen Bevölkerung und die Ansiedlung von Deutschen, darunter auch deutschen Handwerkern, umfasste. Infolgedessen wurde Frank Models Großvater August (geboren 1908) mit seiner Familie nach Posen umgesiedelt. Nach dem Krieg flüchteten die Models zunächst nach Gersfeld in der Rhön.

1952 übernahm August Model den Kehrbezirk in der Schwalm und führte ihn bis 1973. Sein Sohn Klaus Model wollte nicht abwarten und bewarb sich für einen Kehrbezirk in Neustadt. Von 1967 bis 1973 wohnte die Familie aufgrund der Residenzpflicht in Neustadt.

1973 übergab August Model den Kehrbezirk in der Schwalm an seinen Sohn Klaus, der die Familientradition bis 1995 fortsetzte und diese dann an seinen Sohn Frank weitergab. In den letzten 29 Jahren war Frank Model (geboren 1959) als Schornsteinfegermeister im Bezirk HR 18 tätig. Der Feuerwehrmann und Schornsteinfegermeister gibt den Bezirk nun an Schornsteinfegermeister Simon Werner weiter. Frei werdende Kehrbezirke werden öffentlich ausgeschrieben, und die Bestellung erfolgt für einen Zeitraum von sieben Jahren durch das zuständige Regierungspräsidium.

Der Bezirk umfasst aktuell Neukirchen-Rückershausen, Schrecksbach-Salmshausen, Willingshausen-Loshausen, Frielendorf-Obergrenzebach sowie die Schwalmstädter Stadtteile Dittershausen, Niedergrenzebach, Rörshain, Trutzhain und die Liegenschaften in Ziegenhain. Insgesamt befinden sich im Kehrbezirk derzeit 2.687 Liegenschaften.

Informationen zu Simon Werner und seinen Dienstleistungen finden Sie unter www.schornsteinfegerwerner.de (Werbung, nicht honorierter Link)

Hintergrund

Im Januar 2013 wurde das Schornsteinfegerwesens in Deutschland, nach einer fünfjährigen Übergangsphase, in vielen, überwiegend nicht hoheitlichen Belangen, geändert:

Mit der Abschaffung der Residenzpflicht konnten Schornsteinfeger frei ihre Kunden wählen und ihren Betrieb an einem beliebigen Ort in Deutschland niederlassen. Hauseigentümer hingegen haben seitdem die freie Wahl, welchen Schornsteinfeger sie für die nicht hoheitlichen Aufgaben (z. B. Feuerstättenschau) beauftragen wollten.

Weitere Änderungen waren beispielsweise:

• Die Einführung eines freien Preisbildungssystems: Die Preise für hoheitliche Tätigkeiten der Schornsteinfeger wurden nicht mehr vom Staat vorgegeben, sondern konnten frei vereinbart werden.
• Die Ausweitung der Aufgaben: Schornsteinfeger dürfen zusätzlich zu ihren hoheitlichen Aufgaben auch neue Tätigkeitsfelder erschließen, wie zum Beispiel Energieberatung oder Messungen von Abgasen. Diese Leistungen zählen seit der Novelle des Gesetzes zu den privatwirtschaftlichen Dienstleistungen eines Schornsteinfegerbetriebes. Die Aufgaben kann jeder entsprechend qualifizierte Schornsteinfegerbetrieb anbieten. Die Leistungen unterliegen keiner Gebührenordnung, sondern der Preisgestaltung im freien Wettbewerb.
• Es wurde ein Schornsteinfegerregisters gegründet: Alle Schornsteinfeger, die in Deutschland tätig werden wollten, mussten sich in einem Schornsteinfegerregister eintragen lassen.

Befürworter der Neuregelung argumentierten, dass sie zu mehr Wettbewerb und Innovation im Schornsteinfegerwesen führen würde. Kritiker hingegen befürchteten, dass die Neuregulierung zu einer Verschlechterung der Qualität der Schornsteinfegerleistungen und zu einem Preisanstieg führen würde.

Trotz der Bedenken hat sich die Neuregelung des Schornsteinfegerwesens in Deutschland bewährt. Die Zahl der Schornsteinfegerbetriebe ist deutlich gestiegen und die Preise für die hoheitlichen Tätigkeiten sind gesunken. (wal)

Anzeige