Apaulkalypse beim Hessentag
FRITZLAR. Ein Hessentag ist live, das meiste OpenAir und für alle, die ihn machen, das erste (und vermutlich) auch das letzte Mal. Das Paul Panzer-Bühnenbild ist düster mit abgerissenen Stromleitungen, zerfallenden Fabrikgebäuden und wuchernden Kunstpflanzen. Die sehen besser aus als der Rest des Ensembles.
Vielleicht liegt es an der feuersicheren Behandlung? Der Künstler selbst passt mit knittrigem Nadelstreifen – so zwischen chic und abgenutzt – haargenau ins endzeitliche Bühnenbild. Perfekt dazu tropft der Regen heute Abend von der Zeltdecke des Palace auf die Siebdruckplatten der Bühne. Die werden glitschig. „Hier sollte ich nicht hingehen“, grübelt Paul Panzer, „außer ich habe Durst.“ Er streckt die Zunge heraus. „Mir könnte auch ein Schraubenzieher auf den Kopf fallen. Oft ist es nur eine Frage der Dichte, ob etwas passiert … “ 2.500 Besucher, darunter Familie Spogat („Wir haben ihn bei Youtube angesehen und entscheiden, da müssen wir hin“) sind begeistert. Einen ganzen Abend lang.
Wir kommen nicht mal mit der normalen Intelligenz klar
Es passt zum Bühnenbild. Es ist Apaulkalypse! „Nein, es muss nicht so kommen … Wir haben es bisher immer geschafft! Vielleicht bekommen unsere Kinder die Kurve? „Machste jetzt gar kein Comedy mehr?“ Hat Mama gefragt, als sie das düstere Plakat gesehen hat. Mama und Papa sind überhaupt ständig auf der Bühne präsent. Die Kinder auch.
„Böse Männer werden nicht geboren“, skizziert er die Beziehung der Eltern bis zur Diamantenen Hochzeit. Der Grund allen Übels: „Wir projizieren unsere Ängste auf Personen, die mit uns nichts zu tun haben.“ Und gesellschaftlich? „Jetzt kommt Künstliche Intelligenz. Aber wir kommen nicht mal mit der normalen Intelligenz klar.“
Online und offline einkaufen
Das Smartphone sollte und befreien. Von der Schnur … Und zu den Smartphone-Junkies: „Wer nichts weiß, muss alles glauben … ! Apropos: Mutter wollte ein Schneidbrett mit Licht. Jetzt ist sie Regionalmeisterin im Candy Crush. Corona hat die Welt verändert. Man ist im Wartezimmer beim Therapeuten nicht mehr allein.
Paul war auch schon Jahre nicht mehr einkaufen. Es ging um Hygieneartikel für die Gattin. Auch sie ist auf der Endzeit-Bühne dabei. Es gibt unterschiedliche Größen. Da bekommt Schätzen eine völlig neue Bedeutung. „Mit Küchenrolle in der Hand habe ich dann Servietten gekauft. Soll sie sich doch selbst was bauen!“
Von Sprit bis Putin
Spirituosen gibt es im Supermarkt nur noch hinter Glas. Die trauen uns nicht mehr – wir trauen uns nichts mehr. Klingeln? Das bleibt nicht diskret: Musik aus! „Ding Dong!“ Durchsage: „Gleich kommt ein Mitarbeiter in die Spirituosen-Abteilung.“ Ok, 200-mal Backaroma reichen auch für einen Caipirinha.
Die Tochter hat einen Freund. Russe! „Habe die Heizung ausgedreht. Weihnachten hat er auf der Terrasse gefroren. Soll er doch seinen Präsidenten anrufen.“
Alibaba und Survival
Zurück in die Internet-Apaulkalypse: Alibaba sind mehr als 40 Räuber – nämlich alles Verbrecher. In „Wutzan“ die Kunstblumen für die Bühnendeko bestellt. Mit Sicherheitszertifikat auf Mandarin. Und das Zeug brennt … ! Papa ist wieder da. Er hat’s verkauft. Als Grillanzünder. Also: „Man kann entweder Teil des Problems werden oder Teil der Lösung …“ Dem ist nicht viel hinzuzufügen.
Aber das Programm ist auch erst ab 40 beliebt, beweist ein Altersschnelltest im Publikum. Es sind nur wenige Jugendliche (unter 40) im Sparkassen-Palace. Panzer ist betrübt: Sohn Bolle will jetzt nicht mehr in den Arm genommen werden. Und mit der Tochter auf Survival? Besser Überlebenskampf im Outdoor-Einkaufszentrum.
Nette Nachbarn
Vom Bundeswehrzelt her dringt Rockmusik herüber. Paul Panzer: „Vielleicht sollten wir mal rausgehen … Der gesellschaftliche Gesamtblick kommt nicht zu kurz. Auch die Arbeitswelt in der Apaulkalypse ist Bühnen-Thema: Die Augsburger Puppenkiste hat keinen Lokführer mehr. Gibt es im Kinderfernsehen nicht mehr. Mit den Teletubbies haben wir die Büchse der Pandora geöffnet für das, was Kinder schauen dürfen. „Es wird spannend, wenn es bundesweit nur noch 7 Installateure gibt!“.
Im Finale ist Horrorzeit mit „Sexy-End“. Bleibt die Bitte vom Anfang der Show: „Ich wünsche mir, dass die Kinder das schaffen. Wir haben die Welt ja noch nicht ganz kaputt gekriegt … (Rainer Sander)