Treysa feiert festlich, frech, bunt und mit viel Rhythmus
SCHWALMSTADT. Es ist stets festlich in Treysa, wenn die Narren ihre Kappen aufsetzen und das Zepter schwingen. Noch drei Tage regiert das Narrenvolk, bevor es ans Fasten geht. Nicht die Verkleidung zählt in Treysa, vielmehr der scharfe Witz, die treffsichere Pointe und der Spaß an der Sache. Zum Spaß gehört auch, dabei gut auszusehen und einmal im Jahr das Tanzbein zu schwingen.
Lisa II vom Junker Hansen Turm und Sebastian I von der Angelpforte, das Prinzenpaar 2024, dürfte als Steuerberater- und Abteilungsleiterin für Steuern mit dem Steuern von Finanzströmen auch in der Haushaltskasse kein Problem haben; und die Einführung der Gute-Laune-Steuer während der Regentschaft hat auch gestern Abend für einen Überschuss im Humor-Etat gesorgt.
Von der gestohlenen Zeit und der Politik
Der Junker Hansen Turm verweist auf die Wurzeln in Neustadt und die Angelpforte auf die Straße zum Kirchplatz. Beichten musste Sebastian Langer in der Kirche nicht, wie er offenbart. Viele Jahre aktiv im Karneval ist sicher Ablass genug! Auf den Thron geleitet wurde das Regentenpaar von der marschtanzfreudigen Prinzengarde, die jedes Jahr wieder mit beeindruckend synchroner Choreografie begeistert. Da steckt viel Trainingsfleiß dahinter, den auch die Kinder- und Jugendgarde mit viel Freude bereits erkennen lässt. Mit Schwung und Elan gelang gestern Abend ein fulminanter Auftakt in die zweite Sitzung.
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Wie schnell die Zeit vergeht – nicht nur im Karneval – zeigten die Egadis mit einer Reise ins 18. Jahrhundert. Alice im Wunderland mit der Geschichte von der gestohlenen Zeit war Thema des Schautanzes mit schlafwandlerisch sicherer Choreografie sowie Farben- und Lichtrausch. Ein paar Minuten Fantasiewelt für Augen und Seele.
Dem Johannismann entgeht nichts
Auf nicht nur humorvolle, sondern auch sympathische Weise entführte der Johannismann, alias Dr. Bernd Adam, in die Unterwelt von Treysa, die raue Politik und die Widersprüche des Seins. Hat er einst die Wasserknappheit in Stadt mit einer Wasserleitung beseitigt, ist er jetzt gefragt, Probleme mit der Glasfaserleitung zu beseitigen. Ob Querschnitt oder Neigung, das Rathaus hat die längste Leitung …
Dort geht es zu, wie im Dschungelcamp. Was im Rathaus nicht klappt, funktioniert im Karneval. Der Bürgermeister ist nach Ziegenhain geflohen, hat die Regierungsgeschäfte abgegeben – „Verantwortung abgeben fällt ihm leicht“, witzelte der Johannismann. Aber es hilft nix, am Mittwoch bekommt er den Schlüssel zurück! Mit dem Ohr quasi an der Rathauswand, weiß die Brunnenfigur alles über das „Teuropabad“, 130.000 Euro für eine Kletterwand, die niemand wollte, von Harfen und Geigen bei der Wiedereröffnung und dass Reinhold Messner die Wand als erster besteigen wird. Und wenn‘s alles nichts wird: „Schwalmwiesen fluten!“
Der Übergang in die Fastenzeit gelingt sicher im Dätschweck, denn dort nimmt man nicht zu! Manche Gäste haben schon 2 Tage vor der Tür gewartet, die Preise sind hoch, die Portionen klein, „Danke Gott für 200 Mille …“ Irgendwann ist das Dätschweck weg wie das Markteck. In Treysa, hat er bemerkt, stehen die Läden leer. Es reimt sich, wo ein Deutscher sagt, ich will nicht mehr, kommt jetzt ein Araber. Aber: Ein Barbershop ist kein Friseur! Was ist, wenn Chinesen und Araber mehr deutsche Firmen kaufen, zum Beispiel Hakle? Der Johannismann kennt die Antwort: „Auf Deutschland warten raue Zeiten mit Wüstensand auf beiden Seiten …“ Tagesaktuell verkündet er, in Treysa wurde demonstriert. Zu stark werde die Rechte. Dabei weiß doch jeder, der rechte Weg führt gerade durch die Mitte. Wenn alle zusammenstehen, hat Extremismus dazwischen keinen Platz!
Der Amtsbote vom Bundestag packt Neues aus
Mehr Politik gab‘s vom Amtsboten aus dem Bundestag. Dabei bewies Udo Lohr (übrigens auch ein Steuerfachmann) seine Spontanität, als ihm freundlicherweise Erster Stadtrat Lothar Ditter den Postwagen auf die Bühne hob: „Er macht sich gut als Wagenknecht“ in der Post lag die druckfrische Ausgabe vom Heizungsgesetz, dass dem Amtsboden den Schlaf raubt. Bei jedem Geräusch im Haus fragt er sich, ist der Habeck schon im Haus und reißt die Heizung raus? Dabei könnte man‘s locker sehen: „Bisher habe ich das Öl bezahlt, zukünftig werde ich die Wärme pumpen … Man darf in Deutschland das Geschlecht aussuchen, aber nicht die Heizung“.
Die FDP bekommt es mit den Lohrschen Wortspielen zu tun: treibende Kraft in der Ampel? Eher hintertreibende Kraft. Genauso ergeht es der SPD: „Genossen ist die Vergangenheitsform von Genießen.“ Auch der Finanzminister hat Post gekriegt: Einnahmeausfälle führen bei ihm zu Ausnahme-Einfällen. Die Wege im Bundestag sind durch die AfD-Brandmauer länger geworden. Der Höcke ist nicht zu ertragen. Schimpfen ist der Stuhlgang der Seele und deshalb darf das im Karneval auch sein.
Jecken ciao, Jecken ciao …
Hey, hier kommen die Jecken, dröhnte es aus den Lautsprechern zur Alex-Melodie der Toten Hosen. So ist das, wenn (alte) Rock’n‘Roller zum Karneval gehen. Mit Ex-Squealer Bassist Dr. Bernd Adam, Karl-Heinz Aringer, Matthias Geb (Die Stracke), Merlin und Levi Stab (Up For Debate/Frielendorf) und Julian Hofer als Rocky ging es hardrockig in den Clinch mit den Themen der Zeit. Da da da Glasfasa – ich brauch das nicht, Du brauchst das nicht … Die „Jecken vom Rückstaubecken“ forderten auch die Schwälmer Tradition heraus: Schwarzenborn hat das Holz, Ziegenhain den Stolz, Neukirchen hat das Geld, doch Treysa ist für uns das Tor zur Welt. Jecken ciao, Jecken ciao, Jecken ciao ciao ciao klangs zum Abschluss zur Melodie eines alten Partisanenliedes.
Steffi Trescher und Olaf Rüttgers grüßten – begleitet von 60 Frielendorfer Närrinnen und Narren vom befreundeten FCV: Freundschaft und Brauchtum zählen als Werte. Alte Rituale gehören zur Magie des Karnevals.
Mögen Sie Lauch? Es klingt sexy, wenn man‘s rückwärts spricht. Oder heißt es Porree? Mit solch weisen Überlegungen boten die Mixed Pickles buntes Fernsehprogramm. Wie im richtigen TV zwischen Trash TV und Unterhaltungskunst – von allem etwas – und die Kolibris entführten in die Stadt der Liebe zu einem Puppenspiel nach Paris.
Im nächsten Jahr ein karnevalistisches Jubiläum
Die Gazellen bewiesen auch ohne den Prinzen, der diesmal lediglich vom Thron herabschauen durfte, dass sie megafleißig trainieren und Körperspannung besitzen. Artistisch wirbelten sie über die Bühne als Bob der Baumeister, Supermann oder Barbie.
Der Karneval in Treysa wurde in dieser Session übrigens 65 Jahre alt, was – wie auch das Lebensalter vieler Aktiven beweist – überhaupt kein Alter ist! Schon gar nicht ein karnevalistisches Jubiläum. Das findet erst mit 66 in der kommenden Session statt. Einen Ausblick auf die Tücken im Alter lieferten allerdings Selina Adam und Niklas Krüger-Kling. Wie wäre es mit einem originellen Grabspruch: „Guck nicht so blöd, ich würde auch lieber am Strand liegen …“ Auauauauaa …
Thorsten Trebing und Alexander George moderierten eloquent durchs Programm, das wie immer mit einem Luftballonregen zu Ende ging. Waren es 99 oder 66? (Rainer Sander)
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