Daniel Jung im Gespräch über Gegenwart und Zukunft
BAUNATAL. Baunatal ist ein bisschen älter als andere Großgemeinden in Hessen, aber gleichzeitig viel jünger geblieben, weil stets erneuert, entwickelt und manchmal neu erfunden. Die Dörfer sind genauso alt, wie die rund um die Stadt herum. Tatsächlich haben bereits in der Bronze- und der Eisenzeit Menschen an Burgberg und Baunsberg Kulturen gepflegt.
Tatsächlich also lange bevor die Industriekultur das Tal der Bauna geprägt und umgekrempelt hat. Soweit die Baunataler Globalgeschichte. Gehen wir zurück bis 2018. Da starb im Mai Manfred Schaub. Einst Landtagsabgeordneter, sportpolitischer Sprecher der Bundes-SPD, immer zu höherem berufen, zu früh in Baunatal als Bürgermeister mit dem Macher-Gen gestorben.
Es folgte seine politische Vertraute Silke Engler, die ihn 10 Jahre begleitet und dabei geschultert hat, was „Manni“ nicht auch noch bewegen konnte. Nach drei von rückläufigen Steuereinnahmen und den Auswirkungen der Corona Pandemie geprägten Jahren folgte sie dem Ruf als Vizerätin ins Landratsamt. 2021 kam Manuela Strube. Sie hat mit Daniel Jung an ihrer Seite Mut bewiesen und schwierige Entscheidungen getroffen, vor dem Hintergrund weiter abschmelzender Einnahmen. Nach erneut nicht einmal drei Jahren hat sie die Chance in Wiesbaden etwas zu bewegen, und wer sollte das jetzt sonst tun?
Zwei Bürgermeisteramtszeiten mit zusammen weniger Dauer als für eine Periode vorgesehen wäre, in einer Zeit, in der sich die Welt scheinbar schneller um Baunatal gedreht hat, als sie es sowieso gerade vorhatte. Die eigentliche Krise ist, dass der Krisenmodus in der Volkswagenstadt zum Normalmodus geworden ist. nh24-Redakteur hat mit Daniel Jung gesprochen:
nh24: Herr Jung, Sie sind seit fast 5 Jahren der Erste Mann und die zweite Person in Baunatals Hierarchie. Jetzt rücken Sie zum zweiten Mal in die Position des alleinigen Lenkers der Stadt. Ein Déjà-vu mit Ansage?
Daniel Jung: Auch wenn ich ihre Entscheidung gut nachvollziehen kann, war der Wechsel von Manuela Strube nach Wiesbaden weder in dieser Form noch zu diesem Zeitpunkt vorhersehbar. Meine vorrangige Aufgabe besteht nun darin, Kontinuität und Orientierung zu vermitteln. Das gilt für die Verwaltung ebenso wie für die Stadtgesellschaft und den politischen Prozess.
nh24: Der Krisenmodus ist für Baunatal schon seit der Finanzkrise, spätestens seit der Dieselkrise Normalmodus und es wird immer deutlicher, dass manches bleiben wird. Die Stadtverordnetenversammlung hat externe Hilfe beschlossen. Warum und welche Erwartungen sind daran geknüpft?
Daniel Jung: Wir erreichen die notwendigen Einsparziele nicht mit der Rasenmäher Methode. Das würde in vielen Bereichen großen Schaden anrichten. Stattdessen sollten die Maßnahmen und ihre Auswirkungen sorgsam abgewogen werden. Naturgemäß haben dazu Alle unterschiedliche Vorstellungen. Wir haben bei den Diskussionen um den AquaPark erlebt, dass ein Prozess auch Schäden hinterlassen kann. Durch den neutralen, fachkundigen Blick von außen gewinnt der Prozess an Objektivität. Wir brauchen Expertisen, die für alle gleichermaßen gelten. Ich habe selbst lange in der wissenschaftlichen Beratung gearbeitet und weiß, dass es in Organisationen oft blinde Flecken gibt, über die nicht (mehr) nachgedacht wird. Erfahrungen aus anderen Kommunen können diese Lücken schließen.
nh24: Der einzuleitende Prozess wird Schmerzen bereiten?
Daniel Jung: Ich bin sicher, es würde auf lange Sicht mehr Schmerzen verursachen, würden wir den Konsolidierungsprozess nicht mit aller Konsequenz angehen. Werden wir jetzt aktiv, solange wir noch Spielräume haben, bleiben wir damit außerdem handlungsfähig. Das hat Baunatal bisher immer geschafft. Wir wollen den Gestaltungsspielraum verantwortungsvoll nutzen und Entscheidungen nicht aus der Hand geben. In der Medizin bedeutet Konsolidierung „Heilung“. In jedem Veränderungsprozess schlummern also auch Chancen, die wir vielleicht heute noch nicht absehen können.
nh24: Welche Veränderungen oder gar Maßnahmen stehen denn schon unverrückbar fest?
Daniel Jung: Fixpunkte wären zu eng. Die politische Agenda ist, dass wir kontinuierlich am Haushalt arbeiten und gemeinsam Lösungen erzielen müssen. Seitens der Stadtverwaltung haben wir uns aktuell für den Haushalt 2024 selbst ein Sparprogramm in Form einer „haushaltswirtschaftlichen Sperre“ auferlegt, mit einer Größenordnung von rund 2 Millionen Euro.
nh24: Welche Entscheidungen stehen aktuell an und werden Baunatal bewegen, bevor ein neuer Bürgermeister gewählt wird?
Daniel Jung: Neben dem Haushaltsprozess wird uns der Wohnungsbau in Baunatal weiter beschäftigen. Dabei können wir schon aus sozialen Gründen keine Pause einlegen. Themen wie Mieten, Wohnraum, Energie und Sanierungsprogramme werden wir jetzt nicht vernachlässigen. Wir müssen beispielsweise genug Kindergartenplätze vorweisen und dafür modernisieren und auch neu bauen.
nh24: Ist ein Wechsel in der Spitze zu diesem Zeitpunkt vielleicht auch eine Chance, um neue, vielleicht völlig andere Wege – frei von alten Zöpfen oder Konventionen – zu gehen?
Daniel Jung: Ich habe schon gesagt, dass jede Veränderung eine Chance ist. Jeder Bürgermeister bringt seine eigenen Ideen und Schwerpunkte ein, die sich natürlich immer an der aktuellen Lage orientieren. Auf der anderen Seite müssen Übergänge mit allen Beteiligten so gestaltet werden, dass begonnene Reformprozesse nicht wieder ausgebremst oder sogar konterkariert werden.
nh24: Das Ergebnis Ihrer ersten Bürgermeisterinnenvertretung kennen wir. Die Konstellation war im Nachhinein nicht schlecht, ist aber sicher nicht reproduzierbar. Kommt jetzt eine andere Konstellation?
Daniel Jung: Ich habe bei Silke Engler als „Juniorpartner“ begonnen und von ihrer zehnjährigen Erfahrung als Erste Stadträtin profitiert. Für Manuela Strube konnte ich ein bisschen Wegbereiter sein. Das wird sich jetzt noch weiter verschieben. Tatsächlich stehe ich als ehemals zugezogener, inzwischen heimisch gewordener Baunataler nun eher unerwartet für Kontinuität. Der Erfolg liegt aber immer am Zusammenspiel der handelnden Personen. Es gibt eine Führungsmannschaft. Die Doppelspitze hat sich in Baunatal aus meiner Sicht bewährt.
nh24: Es liegt in der politischen Natur, dass Ämter nicht auf Ewigkeit angelegt sind. Wer es kann, muss auch zu schwereren Aufgaben bereit sein. Frau Strube folgt gerade diesem Ruf. Als Erster Stadtrat haben Sie bereits ordentlich „geliefert“. Vernehmen Sie schon einen ähnlichen Ruf?
Daniel Jung: Der Ruf ist zu hören…
nh24: Und das Echo klingt, wie?
Daniel Jung: Das Echo hört immer der Rufer, nicht der Gerufene. Die Antwort kann es weder jetzt noch an dieser Stelle geben. Das ist ein demokratischer Prozess an dem viele teilhaben, allen voran die in Baunatal verantwortlichen Parteien und am Ende entscheidend die 29 Tausend Baunatalerinnen und Baunataler.
nh24: Sie haben bisher kein Spitzenamt in der SPD. Das war gerade neben der Qualifikation die zweite wichtige Voraussetzung für höhere Aufgaben. Sie könnten davon unbeeinflusst wieder mal ein Bürgermeister sein mit längerer Verweildauer?
Daniel Jung: Ich hatte schon viele Ämter in der Partei. In Baunatal habe ich mich aber ganz bewusst auf das Amt des Ersten Stadtrats konzentriert. Diese für mich neue Situation hat sich insbesondere in den zurückliegenden sehr herausfordernden Krisenjahren bewährt. Ich arbeite mit großer Freude auf der kommunalen Ebene und ich glaube, das spürt mein Umfeld auch. In einer Zeit, in der unser demokratisches Miteinander in ungeahnter Weise verteidigt werden muss, kommt der kommunalpolitischen Arbeit vor Ort, wo sich das Leben der Menschen abspielt, eine besondere Bedeutung zu.
nh24: Was leitet Sie denn gerade?
Daniel Jung: Da schließt sich der Kreis zum Anfang unseres Gesprächs. Kontinuität und eine vertrauensstiftende Führungsarbeit sind gerade jetzt sehr wichtig, damit die eingeleiteten Reformprozesse weitergeführt werden können. Es darf keine Vakanz-Zeit geben. Also nehme ich den Ball auf, den mir die Ironie des Schicksals zugespielt hat und mache, was ich mir vor fünf Jahren nicht vorgestellt hätte: Als Zugezogener für Stabilität sorgen und den roten Faden für eine gute Entwicklung der Stadt Baunatal weiter knüpfen. Das mache ich gerne und das leitet mich sehr sicher.
nh24: Herr Jung, vielen Dank für das Gespräch!
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