Beispielhaftes Projekt von Stadt und Gärtnerei Härtl
BAUNATAL | NIEDENSTEIN. Was ist an Schottergärten eigentlich so schlimm, dass sie immer wieder kritisiert werden? Pflanzensoziologe und Gärtnermeister Karl-Heinz Härtl weiß es zu erklären: Wenn Insekten und Kleinsäuger keine Lebensräume mehr finden, sterben sie aus und mit ihnen die Vögel. Eine Kettenreaktion setzt ein. Wo keine Pflanzen wachsen, herrscht kein Leben.
Schlimmer noch, denn der Boden bindet wegen der Folien unter dem Schotter kein Wasser. Das verschlimmert Hochwassersituationen bei Starkregen, wenn die Kanalisation das zusätzliche Oberflächenwasser nicht mehr aufnehmen kann.
Eine dunkle Basaltschotterfläche ist außerdem im März bereits 8 Grad Celsius wärmer als eine bepflanzte Fläche. Dann wird ein zu warmer Sommer im Stadtklima gleich noch ein bisschen heißer.
Tatsächlich nie erlaubt – jetzt nur noch geduldet
Eigentlich waren Schottergärten in Deutschland nie erlaubt, weil in allen Länderbauordnungen steht, dass nicht überbaute Flächen von bebauten Grundstücken wasserdurchlässig zu gestalten und zu begrünen beziehungsweise zu bepflanzen sind. Inzwischen sind die grauen (Basalt), bunten (Kies) oder roten (Sandstein) Steinwüsten in den meisten Bundesländern verboten. In vielen Regionen werden bestehende Schotterflächen noch geduldet. So auch in Hessen. Gemeinden können entscheiden, wie sie damit umgehen. Neue Schottergärten dürfen allerdings nicht mehr entstehen.
Die Gärtnerei Härtl aus Niedenstein in einem Projekt der Stadt Baunatal zwei wiederbelebte Schotterflächen geschenkt. In zwei Verkehrsberuhigungskübeln am Marktplatz in Großenritte wurden Schotterflächen in lebendige Habitate verwandelt. Bürgermeisterin Manuela Strube und Erster Stadtrat Daniel Jung legten selbst Hand an und brachten zwischen dem Schotter Substrat ein und pflanzten Sukkulenten beziehungsweise Stauden.
Mehr Biodiversität mit kaum mehr Arbeit als auf einer Schotterfläche
Die Mitarbeiter der Gärtnerei hatten einen Kübel bereits bepflanzt, unterstützten und erklärten. Jetzt brauchen die Flächen gelegentlich Wasser, bis sie in den nächsten 6 bis 7 Monaten genügend Wurzeln gebildet haben. Danach verursachen sie kaum mehr Arbeit als eine Schotterfläche.
Erster Stadtrat Daniel Jung, in Baunatal unter anderem zuständig für die Bauleitplanung, möchte den Bürgerinnen und Bürgern wenig Vorschriften machen oder sie zu etwas zwingen. Zukünftig wird es in Baunatal keine Baugenehmigungen mehr für Schottergarten geben. Aber auch der Bestand soll reduziert werden. Mit dem gemeinsamen Projekt werde anschaulich, mit welch einfachen Mitteln bestehende Schottergärten wiederbelebt werden können, ohne dass die entstehenden lebendigen Flächen mehr Pflegeaufwand verlangen.
Pizzagewürz für zu Hause und Vernetzung für den Landkreis
Bürgermeisterin Manuela Strube fand es gut, dass zu den Pflanzen, die sich in Schottergärten wohlfühlen und gedeihen, ohne aufwendig gehegt und gepflegt zu werden, beispielsweise auch das Pizzagewürz Oreganum gehört. Damit können im Grunde alle Hauseigentümer ihre Küchenkräuter selbst „anbauen“ und für guten Geschmack in der heimischen Küche sorgen.
Thomas Ackermann, hauptamtlicher Kreisbeigeordnete und Umweltdezernent des Landkreises Kassel, strebt eine größere Vernetzung der Maßnahmen im Landkreis Kassel an. Das Baunataler Beispiel könnte als Vorlage dienen. So möchte der Kreis umgehend eine eigene Fläche wiederbeleben. Das regte auch die Biodiversitätsbeauftragte des Kreises Kassel, Frau Dr. Julia Rosa-Schleich an.
Informationsveranstaltung und Schulungsmaterial geplant
In den nächsten Wochen wird die Stadt Baunatal Bürgerinnen und Bürger zu einer Veranstaltung im Cineplex-Kino einladen und darüber informieren, in welchen Schritten Schottergärten bepflanzt werden können und welche Pflanzenarten dafür geeignet sind. Mit Unterstützung durch Schulungsvideos können die Bürgerinnen und Bürger dann selbst Hand anlegen und lebendige Habitate entstehen lassen. (rs)
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