Weniger ist mehr – Rückkehr der Salbei in Baunatal
BAUNATAL | NIEDENSTEIN. So wie wir in den zurückliegenden Jahrzehnten in vielen Bereichen und auf vielen Flächen gärtnerisch, stadtplanerisch, landwirtschaftlich, forstwirtschaftlich und pflegerisch mit Natur beziehungsweise Lebensräumen von Pflanzen und Tieren umgegangen sind, hat zu einem großen Artensterben geführt. Vieles lässt sich korrigieren, damit Arten zurückkehren.
Es ist zwar vielerorts den leeren Kassen, klammen Finanzen geschuldet, aber es ändert sich etwas zum Positiven, stellt Gärtnermeister und Pflanzensoziologe Karl-Heinz Härtl (Niedenstein) immer wieder fest. Herr Härtl ist tätig als Sachverständiger des Bundes und der Länder für Artenschutz und artenschutzrechtliche Fragen.
Grünflächen-Pflegekonzept der Stadt Baunatal bringt Arten zurück
So hat beispielsweise die Stadt Baunatal ihr Grünflächen-Pflegekonzept umgestellt. Es ist nicht nur deutlich kostengünstiger, sondern für die Natur versöhnend, eine Vielzahl an Wiesen länger stehen beziehungsweise wachsen zu lassen, bevor sie gemäht werden. Die verlängerte Standzeit trägt dazu bei, dass sich zwei ökologisch absolut wertvolle Wildstauden in diese Flächen ausgesät haben.
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Das geschieht, weil Insekten und Singvögel auf solchen Flächen Samen aufnehmen und dann übertragen. Wenn Gräser dominierte Wiesen und Grasflächen weniger gemäht werden, ist ihre Oberfläche außerdem weniger dicht. In den entstehenden Zwischenräumen können Samen von Blütenpflanzen keimen. So entsteht auf diesen Flächen eine zunehmende und zurückkehrende Artenvielfalt und es wird eine höhere Biodiversität erfüllt.
Zwölf Jahre Beobachtung und Aufzeichnung
Karl-Heinz Härtl fährt täglich auf dem Weg vom Wohnort in Kassel zu seinem Gärtnerei- und Naturschutzbetrieb in Niedenstein durch Baunatal. Seit 12 Jahren hat er die Entwicklung von zwei Wildstauden dokumentiert, die sich vor allem in Baunatal erfolgreich ausbreiten. Das sind die Wiesensalbei (Salvia pratense) und die Hainsalbei (Salvia nemorosa).
Aufgrund des Monitorings kann der Sachverständige eindeutig feststellen, dass dieser Zustand einzigartig ist für den gesamten Landkreis Kassel. In keiner anderen Stadt können diese beiden Arten so zahlreich in ihren angestammten Lebensraum zurückkehren wie in der Volkswagenstadt.
Wiesensalbei und Hainsalbei sind jährlich eine frühe Nahrungsgrundlage
So können sich Baunataler und Gäste inzwischen gleichermaßen der Schönheit von Blüten während der Blütezeit von Mai bis Juni erfreuen. Vor allem aber finden auch Dutzende von Hautflüglern (Bienen, Wespen, Hornissen und Hummeln) sowie viele tagaktive Schmetterlinge in beiden Arten Nektar und Pollen. Wiesensalbei und Hainsalbei werden damit zur frühen und wichtigen Nahrungsgrundlage für diese Insekten.
Als Folge des reichen Nahrungsangebotes siedeln sich viele dieser Lebewesen wieder erfolgreich an und nutzen die Habitate als neuen/alten Lebensraum. Davon profitieren zugleich alle Insektenfresser, wie beispielsweise Vögel. Auch nachtaktive Fluginsekten finden wieder Nahrung und vermehren sich. Dazu zählen Schwärmer und Falter. Karl-Heinz Härtl und seine Mitarbeiterin Anna Sayyar aus Baunatal haben 15 nachtaktive Schmetterlinge bei der Nahrungsaufnahme in Baunatal beobachtet, weil sie in stadtnahe Flächen zurückgekehrt sind. Auch zwei Fledermausarten (Kleines Mausohr und Hufeisennase) kommen vom Baunsberg und den Langenbergen in die Stadt zurück, wo ihre Anwesenheit wichtig und regulierend ist.
Karl-Heinz Härtl freut sich, dass Bürgermeisterin Manuela Strube gemeinsam mit dem Ersten Stadtrat Daniel Jung und ihrer Vorgängerin, der heutigen Ersten Kreisbeigeordneten Silke Engler, sowie der Fachbereich Bau und Umwelt (Hartmut Wicke) zusammen mit dem Bauhof (Regina Braunewell) die Weichen dafür richtig gestellt haben.
Alle Kommunen können geeignete Standorte finden!
Nicht nur Baunatal, sondern alle Städte und Gemeinden können die Rückkehr seltener Arten in die Kommune natürlich durch geeignete Standorte weiterhin unterstützen. Mit ökologisch wertvollen Insektenfutterpflanzen können inselartig Initialpflanzungen angelegt werden. Es ist sinnvoll, 6 Kennarten, die sehr naturnah sind, auszuwildern.
Immer mehr Wildbienen, Schweb- und Florfliegen sowie ein breites Gros an Lauf- und Schnellkäfern werden so in ursprüngliche Habitate wie die Dorfkerne zurückführt.
Die sechs Kennarten sind:
- Blutweiderich, der blüht, wenn sonst kaum etwas blüht
- Mädesüß, eine der wichtigsten Heilpflanzen der Kelten
- Wolliger Ziest als Futterpflanze Baustofflieferant für Staaten bildende Bienen
- Wilder Baldrian
- Goldbaldrian
- Milchweißer Beifuß
Auch in Niedenstein ist enormer Anstieg der Insektenpopulation feststellbar
Viele Jahre hat die Gärtnerei experimentiert. Auch in der Stadt Niedenstein kann ein enormer Anstieg der Insektenpopulation festgestellt und weiter herbeigeführt werden. 90 Arten sind bereits dokumentiert. Ein Viertel der in Hessen wild vorkommenden flugfähigen Insektenarten kann durch Pflanzinitiale dieser naturbelassenen Stauden dauerhaft in der Region verbleiben.
Ökologisch ist dies ein Riesenerfolg! Auch optisch wertet die Pflanzenvielfalt eine Stadt oder Gemeinde deutlich auf. Selbst im Raureif im Winter sehen die Fruchtstände der Stauden noch immer schön aus.
Hohle Halme sind Überwinterungsorte
In den hohlen Halmen vieler dieser Pflanzen finden im Winter Marienkäfer, Laufkäfer, Schwebfliegen, Ohrenkneifer, Asseln und andere Insekten einen geschützten Überwinterungsort. Bauamtsleiter und Bürgermeister möchte Karl-Heinz Härtl anspornen: „Es gehört Mut dazu, Flächen aus der Bewirtschaftung zu nehmen.“ Als Pflanzensoziologe kann er solche Maßnahmen begleiten und zum Erfolg führen: „Es ist immer schön, wenn eine Stadt wie Baunatal solche Ideen aufgreift. Dieser Mut zur wildnishaften Städtegestaltung führt zu einer Versöhnung mit der Natur durch Rückkehr vieler Arten.
Im Grunde lassen sich viele Maßnahmen sogar durch Einsparungen bei der Bewirtschaftung (weniger Arbeitszeit für Bauhof-Mitarbeiter) finanzieren. Es ist dabei häufig viel sinnstiftender, anstelle einzelner Baumgruppen eine größere Zahl staudiger Pflanzen zu implementieren. Bäume sind Lebensraum für wenige Arten. Krautige Pflanzen bieten dies für weit mehr Arten. Diese Wiederansiedlung führt auch zu Ökopunkten, beispielsweise für die Schaffung von Ausgleichsflächen bei Baumaßnahmen. (rs)