Kommunale Jobcenter warnen vor geplanter Mittelkürzung
MARBURG / BERLIN. Die hessischen Optionskommunen lehnen die geplanten Mittelkürzungen im Sozialgesetzbuch (SGB) II grundsätzlich ab und fordern den Bund auf, diese Überlegungen zurückzunehmen. Sie fordern eine dauerhaft auskömmliche Ausstattung mit Finanzmitteln, um ihrem gesellschaftlichen Auftrag, den sozialen Frieden durch soziale Teilhabe zu sichern, gerecht werden zu können.
Der Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Marian Zachow, hat am Mittwoch gemeinsam mit seiner Amtskollegin Susanne Simmler aus dem Main-Kinzig-Kreis im Namen der hessischen Optionskommunen die erheblichen Bedenken im Bundesarbeitsministerium vorgetragen.
Gemeinsam hatten diese 16 Landkreise und kreisfreien Städte und deren zuständige Dezernentinnen und Dezernenten eine gemeinsame deutliche Positionierung gefunden. „Uns treibt die Sorge um, dass sowohl die Kürzungen in den Mitteln für Eingliederungsleistungen in den Arbeitsmarkt als auch die Verantwortungsverschiebung einseitig hin zu der Arbeitsagentur an der Lebensrealität der Menschen vor Ort vorbei geht und grundlegend Strukturen, die Menschen auf dem Weg in Arbeit helfen, zerstört werden anstatt noch mehr PS gemeinsam auf die Straße zu bringen. Diese Sorge haben wir gemeinsam nach Berlin getragen“, so Zachow und Simmler. „Wir haben im Gespräch mit Ministerialdirektorin Dr. Yvonne Kaiser unsere Kritik an den Kürzungen bekräftigt. Diese würde aus unserer Sicht die nach Corona zu spürende Aufbruchstimmung bei den Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern abwürgen – gerade jetzt, wo die Weichen für Qualifizierung gestellt sind, würde dann das Geld für die notwendige Weiterbildung fehlen“, sind sich Simmler und Zachow einig.
„Jahrelange hervorragende Arbeit des KreisJobCenters in Sachen Qualifizierung der Menschen und Arbeitsvermittlung ist existenziell bedroht“, warnt der Erste Kreisbeigeordnete und zuständige Dezernent Marian Zachow. Das KreisJobCenter Marburg-Biedenkopf habe sich in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht und stets im bundesweiten Vergleich Spitzenplätze bei den Integrationen in Arbeit erzielt, betont Zachow.
„Ein passgenaues und vielfältiges Maßnahmenangebot zur Qualifizierung der Menschen war die Grundlage für nachhaltige Integrationserfolge. Auch den Ukraine-Krieg mit dem Übergang im Juni 2022 von rund 2.500 Geflüchteten aus der Ukraine in den Leistungsbezug des SGB II hat das KJC gut gemeistert. Die Unterbringung dieser Geflüchteten überwiegend in privat angebotenem Wohnraum lief im Landkreis sehr erfolgreich. Zeltstädte und Unterbringung in Turnhallen konnten somit vermieden werden“, so Zachow weiter. Mit dem „Marburg-Biedenkopf Modell“, das sich bereits in 2015/2016 bewährt habe und seinerzeit auch international für positive Schlagzeilen gesorgt habe, sei man sehr gut aufgestellt. Trotz der stark gestiegenen Fallzahlen aufgrund des Ukraine-Krieges sei auch die Einführung des Bürgergeldes im Januar 2023 reibungslos gelaufen.
Jetzt im Juli startete die zweite Stufe des Bürgergeldes, welche insbesondere die Aktivierung und Qualifizierung der Leistungsbeziehenden in den Fokus rückt. „Die Politik des Förderns und Qualifizierens, die in Marburg-Biedenkopf in den letzten Jahren bereits gelebt wurde, ist nun auch im Gesetz stärker im Fokus. Umso bitterer ist jetzt, dass mit den massiven Kürzungen Qualifizierungs- und Aktivierungsangebote wohl künftig wegfallen werden müssen“, bedauert Zachow. Betont haben er und seine Amtskollegin Susanne Simmler auch, dass gerade die von der Pandemie stark gebeutelten Bildungsträger und die Akteure im Bereich der Berufsqualifizierung besonders unter den drohenden Kürzungen leiden würden: „Wenn die Kürzungen so kommen wie derzeit befürchtet, sind manche Sozial – und Bildungsträger und ihrer Existenz gefährdet. Dabei brauchen wir sie angesichts der aktuellen Herausforderungen am Arbeitsmarkt dringender denn je!“
Hinzu komme, dass der Bund vermeintlich Gelder durch die Verlagerung der Betreuung von jungen Menschen unter 25 Jahren zur Agentur für Arbeit einspart. „Dies ist natürlich nur auf den ersten Blick eine Einsparung, da die Mittel der Agentur für Arbeit aus der Arbeitslosenversicherung kommen und die dann mittelfristig die Beitragszahlenden auffangen müssen. Viel fataler ist jedoch, dass jahrelange, großartige Arbeit im Übergang von Schule zum Beruf und die engmaschige Beratung und Betreuung von jungen Menschen zunichtegemacht wird“, so Marian Zachow. Leidtragende würden die jungen Menschen sein, die auf Beratung und Betreuung angewiesen sind. Hierbei gehe es nicht nur um die berufliche Beratung und Orientierung, sondern auch um sozialpädagogische Unterstützung im Alltag. Zugleich haben Simmler und Zachow vorgebracht, dass die geplante Zuständigkeitsverlagerung bei den über 25-Jährigen von den Jobcentern zur Bundesagentur gerade den ganzheitlichen Ansatz gefährde. Sie appellieren an die Bundesregierung, Wege zu finden, die Arbeit zumindest für die Optionskommunen in der Zuständigkeit vor Ort zu belassen: „Gerade bei den jungen Menschen kommt es auf Netzwerkarbeit und Kenntnisse und Kontakte im Sozialraum an – und die hat niemand so intensiv wie die Landkreise und kreisfreien Städte.
Auch Andrea Martin, Leiterin des Fachbereichs Integration und Arbeit und damit auch Leiterin des Kreisjobcenters Marburg-Biedenkopf blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Sollte die Verlagerung des Bereiches der unter 25-Jährigen und die Mittelkürzungen wie angekündigt umgesetzt werden, wird das Jobcenter ganz massiv in seiner Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Mittelkürzungen sind im Angesicht der Ziele und des Auftrages des Bürgergeld-Gesetzes unverständlich. Gute Arbeit erfordert eine ausreichende finanzielle Ausstattung für Qualifizierung, Beratung und natürlich auch für Personal. Die Jobcenter sichern den sozialen Frieden mit, dieses Netz der sozialen Sicherung für die ärmsten und benachteiligten Menschen anzutasten, ist ein fatales gesellschaftliches Signal!“
Susanne Simmler, die auch Sprecherin des gemeinsamen Ausschusses der hessischen Optionskommunen ist, und Marian Zachow zeigten sich erfreut über das offene und konstruktive Gespräch. Es gehe darum, bewährte Konzepte und Strukturen weiter im Sinne der Kundinnen und Kunden lebendig zu halten. Deswegen haben beide Dezernenten dafür geworben, mit innovativen Kooperationen die bisher bewährten Netzwerke aufrechtzuerhalten. „Eine Experimentier- oder Öffnungsklausel für die kommunalen Jobcenter könnte zum Beispiel ein Weg sein“, sind sich Simmler und Zachow einig. (pm)
Das Bild: Der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow (re.) und seine Amtskollegin Susanne Simmler aus dem Main-Kinzig-Kreis (2. v. li.) haben der Ministerialdirektorin Dr. Yvonne Kaiser in Vertretung des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil aus dem Bundesarbeitsministerium (3. v. li.) und der dortigen Unterabteilungsleiterin Simone Sonja eine Resolution gegen die Mittelkürzung bei den Jobcentern übergeben