Große Mehrheit aus allen vier Fraktionen
BAUNATAL. In der Sportstadt Baunatal kann man 2 Stunden lang leidenschaftlich diskutieren, ob eine Stadt mit knapp 30.000 Einwohnern genauso viele Hallenbäder braucht wie die Nachbarstadt Kassel mit gut 200.000 Einwohnern. Die Antwort auf die Sinnfrage findet sich vielleicht in der Realität. In der realen Welt haben die weitaus meisten Kommunen gar kein Hallenbad. Das könnte Gründe haben …
SPD, CDU und FDP hatten sich – trotz unterschiedlicher Historie und Herangehensweise auf eine gemeinsame Haltung zur Hallenbadfrage verständigt. Klimaschutz, Sanierungslasten und Haushaltsaspekte sorgten bei angespannter Finanzsituation der Stadt für den nötigen Druck, eines der beiden städtischen Hallenbäder, nämlich das Sportbad zu schließen. Das Freizeitbad bleibt unangetastet. Mächtig Gegenwind gab es in der gestrigen Stadtverordnetenversammlung von 3 der 6 GRÜNEN Stadtverordneten (Edmund Borschel, Henry Richter und Lothar Rost).
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Reichlich Schlagzeilen beim „3 gegen 35“
„Catch-Phrases“ für mögliche Überschriften fielen gestern Abend in der Baunataler Stadtverordnetenversammlung reichlich:
- „Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Der ernsthafte Wille hat gefehlt“ (Lothar Rost/GRÜNE)
- „Der ernsthafte Wille war immer da“ (Andreas Mock/CDU)
- „Es ist immer hinreichend genug schief gegangen …“ (Andreas Mock/CDU)
- „So wie Varus seine Legionen nicht zurückbekommt, bekommen wir auch die Millionen nicht zurück“ (Rainer Oswald/FDP)
- Ein Sportbad muss 50 Jahre funktionieren“ (Lothar Rost/GRÜNE)
- Man muss Investoren suchen, die Hotellerie einbinden, eine Bädergesellschaft gründen und Bürgerversammlungen durchführen“ (Henry Richter/GRÜNE)
- „Schwimmsporttreibende Vereine haben gesagt, macht das Bad zu“ (Sebastian Stüssel/CDU)
- „Die Schließung ist tiefe Wunde für die Bürger der Stadt“ (Edmund Borschel/GRÜNE)
- „In Helsa und anderen Orten betreiben Vereine Schwimmbäder. Der Leidensdruck in Baunatal ist vielleicht noch nicht groß genug. (Andreas Mock/CDU)
- „Man kann Logik erwarten“ (Udo Rodenberg/SPD)
Energiesparmaßnahmen hatten zu vorübergehender Schließung geführt und funktioniert
Die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen hat zur Schließung des Baunataler Sportbades am 31. Oktober 2022 geführt. Seitdem steht allen Nutzern nur noch das Freizeitbad zur Verfügung. Die aktuelle finanzielle Situation der Stadt schließt eine Sanierung beziehungsweise den Neubau des Sportbades aus. So steht es in der Begründung für eine dauerhafte Schließung der Badeanstalt. Gespräche mit Vertretern der schwimmsporttreibenden Vereine führten zur Erkenntnis, dass eine Übernahme durch die Vereine nicht infrage kommt und Einigkeit darüber besteht, den Vereinssport dauerhaft im Freizeitbad auszuüben.
Mit den Vereinsvertretern wurde und wird auch weiterhin intensiv an der Zukunft und Planung der gemeinsamen Nutzung des Freizeitbades gearbeitet, um die Belegung unter Berücksichtigung aller Nutzergruppen neu auszurichten, schildert die Entschlussvorlage. Durch die aktuelle Schließung des Sportbades tragen die Energiesparmaßnahmen im Verhältnis zum gesamten Energieverbrauch der Stadtverwaltung mit einem Anteil von 82,4 % im Bereich Wärme und 51,8 % im Bereich Strom einen entscheidenden Teil zum Erreichen der Energiesparziele bei.
Natur-Erlebnisbad wie in Gudensberg statt Hallenbad?
- Andreas Mock (CDU) berichtete über lange und intensive Beratungen im Haupt- und Finanzausschuss, der mit Mehrheit beschlossen haben. Es gibt Ergänzungsanträge.
- Udo Rodenberg (SPD) hatte zuvor bereits drei Punkte eines ergänzenden Antrages genannt: Erstattung von Kosten für bis zu sieben Wettkämpfe im Kasseler Auebad. Keine zusätzlichen Kosten für Vereine und als Prüfauftrag an den Magistrat soll die Idee einer einheitlichen Verbundkarte für mehrere Bäder in der Region untersucht werden. Eine Nachnutzung als Natur-Erlebnisbad steht unter Finanzierungsvorbehalt.
Verlängerung als Freibad in 2023?
- Florian Pfeiffer (B90/GRÜNE) erläuterte einen Ergänzungsantrag seiner Fraktion mit dem Ziel, das Sportbad vor der endgültigen Schließung noch einmal als Freibad zu öffnen. Das Naturerlebnisbad sei gute Sache, die Schließung folgerichtig.
- Udo Rodenberg (SPD) ergänzte, aus ökonomischen und ökologischen Gründen sei die Schließung des Sportbades unausweichlich. Die aktuelle Finanzlage hätten sich alle anders gewünscht. Ein wettkampftaugliches Bad hätte vor Jahren bereits 12 Millionen gekostet und heute würde es 20 Millionen Euro kosten. Die Prüfung, ob eine Freibadsaison noch möglich ist, trägt die SPD mit.
- Rainer Oswald (FDP) erkennt für die FDP eine Angelegenheit, die endlich ein Ende findet. Hoffnungsfroher wäre es gewesen, das Sportbad zu retten. Nicht nur wegen der Veränderung in den Preisstrukturen, sondern auch wegen der finanziellen Situation. Die Gremien hätten quasi hinter jede Fliese geschaut, was möglich ist und es sich nicht leicht gemacht. Früher gab es mal 90 Prozent Zuschuss für einen Schwimmbadbau. Dem Antrag der GRÜNEN auf Verlängerung will die FDP zustimmen.
Abwägung von Interessen und Ohnmacht der Vereine
- Lothar Rost (B90/GRÜNE) stellt fest, das Bad sei erst 30 Jahre alt, von Anfang an eine Fehlplanung und die Entscheidung über Sanierung oder Neubau immer wieder verschoben worden. 2012 habe es eine Studie gegeben. Eine energetische Sanierung hätte 13,5 Millionen Euro gekostet, ein Neubau 17 Millionen Euro. In Werdohl wurde aber ein Bad für 6 Millionen Euro gebaut, was für gut befunden wurde. Woher jetzt die Annahme von 20 Millionen kommt, kann er nicht verstehen. Er wünscht sich ein interkommunales Bad oder ein Bad, dass die Vereine tragen. Das Freizeitbad sei nicht wettkampftauglich, was das Ende des Schwimmsportes in Baunatal bedeute. Laut DLRG stünden viele Kinder bereits jetzt auf Wartelisten für Schwimmkurse.
- Andreas Mock (CDU) begrüßte zwei Online-Zuschauer namentlich und erinnerte: „Wir haben vieles von unseren Vorgängern geerbt.“ Es sei niemand mehr da, der die beiden Bäder beschlossen habe. In der Tat hätte von Anfang einiges nicht funktioniert. Der ernsthafte Wille war immer da, um wenigstens den AquaPark fit zu machen. Der Schulsport funktioniere weiter, die Vereine hätten Einschränkungen, wie auch die Bürger, die alles bezahlen, sogar solche, die das Bad gar nicht nutzen. Damit die Bürger sich im Sommer abkühlen können, kann die CDU eine Verlängerung zustimmen: „Wir können den Bürgern nicht sagen, fahrt nicht so oft in den Urlaub und dann die Bäder schließen.“ Vereine und DLRG leisteten Erstaunliches, könnten aber nicht auch noch Geld mitbringen und hätten es nicht geschafft, Helfer oder eine Badeaufsicht gegen Entgelt zu mobilisieren. Das habe letztlich den Ausschlag gegeben.
Parkstadion und Kulturhallen auch schließen?
- Rainer Oswald (FDP) hat im Akteneinsichtsausschuss alle Zahlen geprüft. Dass die Betriebe, die das Bad gebaut haben, nicht mehr existierten, sei schicksalhaft.
- Henry Richter (B90/GRÜNE) blickte in die Vergangenheit. Kinder hätten schwimmen gelernt, Rettungsschwimmer wurden ausgebildet, Triathleten hätten geschwommen, Spitzensportler wurden hier „geboren“. Objektiv sei das Bad mehr als sanierungsbedürftig. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik gingen verloren. Vor 3 Jahren sei die Situation schon einmal prekär gewesen. Damals waren alle Fraktionen für Erhalt. Die CDU wollte sogar 33 Millionen für Gesamtkonzept ausgeben. Kein Wunder, dass Bürger verdrossen sind und – wie in Sonneberg – AfD wählen. Er vermisst lösungsorientierte Prozesse. Die Vereine stünden mit dem Rücken an der Wand und können das Bad nicht retten. In einer modernen Verwaltung würden Prozesse dargestellt bis zu einer Lösung. Er vermutet andere Beweggründe. Er kennt keine Kostenerhebung. Personalkosten hätten eingespart werden können und nur dann, wenn auch Abrisskosten feststehen, könne man entscheiden. Gesellschaftliche Aufgaben kosten Geld. Was passiert mit den Mitgliederzahlen, fragt er und weiter: Sollen wir das Parkstadion abreißen und die Kulturhallen auch schließen?
Ehrlichkeit und Verlässlichkeit statt Verschwörungstheorie
- Sebastian Stüssel (CDU) erwiderte auf Herrn Richter: Wenn man von Ehrlichkeit und Verlässlichkeit redet, spricht man nicht von Verschwörungstheorien und kennt die Daten und Fakten. Die Zahlen, stellt er fest, sind alle genannt worden, aber Henry Richter habe immer noch nicht die Niederlage bei der Bürgermeisterwahl verwunden, in der er das versprochen habe. Da müsse man nicht persönliche Eitelkeit in den Vordergrund stellen. Es gibt zu den Vorgängen Berge von Aktenordnern mit Berechnungen und Angeboten. Mehr Polemik geht gar nicht. Nur in Baunatal würde es nicht funktionieren, als Gesamtkonzept, Energie, CO2 und Chemikalien einzusparen? Wenn ein neues Konzept mit Naturerlebnisbad geplant werden soll, müsse doch erst mal das alte Bad verschwinden. Über 3.000 Euro am Tag koste das Sportbad – in Summe 1,1 Millionen im Jahr – ohne Reparaturen. Er sei unverdächtig, GRÜNE Politik zu vertreten, ihm gehe es um das Geld der Bürger.
Kostet das Bad 1,1 Millionen oder 150.000 Euro?
- Edmund Borschel (B90/GRÜNE) hat bis heute keiner gesagt, wie die 1,1 Millionen berechnet werden. Er sieht nur 150.000 Euro ohne Personalkosten.
- Andreas Mock (CDU) reagiert genervt auf dieses Zahlenspiel. Herr Borschel solle doch seine Schmerzgrenze nennen, bis zu der er für ein Sportbad ja sagen würde. Politikverdrossenheit entstehe, wann man Fakten nicht anerkennen könne. Viele Dinge seien seit 15 Jahren im Gang. Auch die Hotellerie sei schon mal gefragt worden. Die Grünen hätten zum Teil in der Vergangenheit gegen Maßnahmen gestimmt, deren fehlende Berücksichtigung sie heute kritisieren.
- Rainer Oswald (FDP) erinnert an die Jahresabschlüsse, aus denen die Bäderkosten hervorgingen. Dort stehen 1,2 Millionen für das Sportbad und 3,27 Millionen Euro für den AquaPark insgesamt. Es wurde in einem Ausschuss tatsächlich einmal eine falsche Zahl genannt, die aber sofort als unrichtig identifiziert wurde. Genau mit dieser Zahl rechneten die Grünen jetzt weiter.
- Udo Rodenberg (SPD) gefällt die Art und Weise der Diskussion nicht. Alle hätten widerlegt, dass sich jemand die Sache leicht gemacht habe. Erst nach Beschlüssen in Baunatal könne man mit der Stadt Kassel reden. Auch mit den Ressourcen einer Verwaltung muss man schonend umgehen.
Am Ende auch GRÜNE mehrheitlich für Veränderung
Wer die Stadtverordnetenversammlungen in Baunatal regelmäßig verfolgt, erkennt ein Muster: Die GRÜNEN beschäftigen die Stadtverordnetenversammlung (in diesem Fall fast zwei Stunden lang) und stimmen dann nicht einmal mehrheitlich „dagegen“. In der Summe aller Beschlüsse waren nämlich auch die GRÜNEN überwiegend für Veränderungen in der städtischen Bäderlandschaft.
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38 Stadtverordnete (22 SPD, 7 CDU, 6 GRÜNE, 3 FDP) waren bei der Abstimmung dabei. Es stimmten lediglich 3 (GRÜNE) dagegen, den Betrieb des Sportbades endgültig einzustellen. 35 waren dafür. Die Änderung der Gebührenordnung ging einstimmig durchs Parlament, genauso wie die Prüfung der Einführung einer Verbundkarte und die Prüfung eines Konzeptes zur Nachnutzung als Natur-Erlebnisbad. Dem gemeinsamen SPD/CDU/FDP-Antrag, die Kosten für sieben Wettbewerbe im Auebad zu übernehmen, stimmten 34 Stadtverordnete zu, 4 GRÜNE Stadtverordnete enthielten sich. Der Prüfung, ob das Sportbad 2023 noch als Freibad geöffnet werden kann, stimmten bis auf 1 Enthaltung aus Reihen der CDU alle Stadtverordneten zu.
Neue Feuerwehrgebühren und Schöffen
Außerdem passten die Stadtverordneten einstimmig die Gebührensatzung für die Feuerwehr den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen des Brand- und Katastrophenschutzgesetzes an und wählten neue Schöffinnen und Schöffen. (Rainer Sander)