Burg Herzberg: Love & Peace Festival mit dem „Ewigkeitsgen“
BREITENBACH. Der Herzberg ruft! Aus ganz Deutschland – sicher auch aus Europa – werden junge und betagte Freaks, Alt- und Neu-Hippies, Achtundsechziger und schließlich einfach eine ganze Menge Leute, die wahnsinnig gerne Musik hören und ein friedliches Festival genießen wollen, diesem Ruf folgen. Vom 27. bis 30. Juli heißt es Love & Peace.
Das Line Up steht fest, die Tickets sind im Verkauf. „Since 1968“ prangt auf dem Veranstaltungslogo. Das ist Programm: Ein Jahr vor Woodstock fand das erste Herzberg-Festival statt. Zwei aus dieser Zeit sind 2023 dabei!
Im Spagat zwischen 1968 und 2023
Denjenigen, die sowieso jedes Jahr hinfahren, kann ich hier nichts Neues erzählen. Neu ist allenfalls das Line-Up. Wie immer in den letzten Jahren eine Mischung aus Musikern, von denen man sagen möchte, „Ach, die machen auch noch Musik?“ Und solchen, von denen der eine oder die eine andere womöglich sagt, „Huch, von denen habe ich noch gar nichts gehört!“ Der Spagat zwischen 1968 und 2023 erfordert eine jedes Jahr zunehmende Gelenkigkeit und Körperspannung. Ein Glück, dass die Macher des Festivals so fit und flexibel sind, dass sie die Kurve jedes Jahr kriegen und die letzten 68er genauso überzeugen wie „Neo-Hippies“, die vielleicht zum ersten Mal vier Tage am Stück von zu Hause wegdürfen.
Der Weg von „Love & Peace“ hat über Flower-Power in den 70ern, Punk in den 80ern, Techno in den 90ern und Alternative in den 2000ern ist durchaus nicht schnurgerade verlaufen. Und auch diese Generationen haben sich nicht immer gegenseitig verstanden. Christiania kann nicht überall sein, aber zum Herzberg Ende Juli kommen alle von überall. So auch vom 27. bis 30. Juli 2023. Garantiert!
Mehr Rotkäppchen als Wolf zum Warm Up am Donnerstag
Die Anfahrt wird wie immer sehr entschleunigend wirken. Die lange Schlange bei der Anfahrt durch den Rotkäppchen-Wald in der „Süd-Schwalm“ ist Kult und auch ein bisschen Kultur. Man lernt auf der Straße wahnsinnig viele Menschen kennen. Vielleicht sind auch ein paar Wölfe darunter …
Den Auftakt am helllichten Donnerstag machen Cynthia Nickschas & Friends. Die einstige Straßenmusikerin ist auf jeden Fall daran gewöhnt, ein Publikum möglichst schnell zum Zuhören zu bewegen. Kein geringerer als Konstantin Wecker hat teil am musikalischen Erfolg. Auch Dota, die nach der norwegischen „Rockeband“ Pristine zum Mikrofon greift, kommt von der Straße. Aus dieser Zeit stammt der Spitzname „Kleingeldprinzessin“.
Zur Headline-Time steht um 20:15 Uhr Fatoumata Diawara auf der Mainstage. Die starke Stimme aus Mali ist auf den Festivalbühnen der Welt zu Hause und richtet in ihrer Muttersprache Bambara den Blick der Welt auf ihr Zuhause, in dem wenig Frieden herrscht. Long Distance Calling machen ab 22:30 Uhr ordentlich Post-Rock-Krach und es wird irgendwas zu bedeuten haben, dass am ersten Tag Sänger Petter Carlsen die einzige männliche Stimme auf der Hauptbühne sein wird … Das Schlaflied für den ersten Tag singt schließlich Cato van Dijck von „My Baby“. Wer bei treibenden Alternative Beats der Holländer schlafen kann, muss vorher allerdings schon ordentlich was weggefeiert haben.
Tanzen bis zu den „Yessongs“ danach weiter am Freitag
Was Besseres kann einem Festival Besucher gar nicht passieren, als dass der Wecker so um die Mittagszeit von „Makatumbe“ gestellt wird (13:30 Uhr). Auf der Internetseite der niedersächsischen Gruppe steht: „Makatumbe packen internationale Volks-, Tanz- und Popmusik in den Mixer und drücken den Dance Button.“ Na dann am besten gleich mit dem Schlafsack hüpfen! Der Weg führt über Bywater Call (Southern Soul, Blues um 15:45 Uhr) zunächst nach Tel Aviv. Von dort kommen Lola Marsh (18:00 Uhr). Die „Kiekser“ auf Wishing Girl bekommt man einfach nicht mehr aus dem Ohr. Dafür sorgen nach der Tagesschau um 20:15 Uhr die Sounds der Bluesrock- und Southern-Rockband Robert Jon & the Wreck, wenn sie über Freak City fegen. Nein, es ist nicht der Robert Jon aus dem 50ern, sondern eine kalifornische Band aus den 2010ern. Sie legen einfach los und tun das, was ihnen Spaß macht. Das wird zu spüren und zu hören sein! Danach Wirts psychedelisch Naxatraxas kommen aus der Heimat von Vangelis und werden ab 22:30 Uhr über den Herzberg schweben, bevor Hang Massive mit ihren Handpans dann um 0:45 Uhr zur gemeinsamen „Musikmeditation“ einladen. Ein Tag voll spannender Gegensätze.
Von Yes bis Gaelic am Samstag
Zwar nicht aus der Heimat von Vangelis kommt John Anderson, aber die beiden haben kurze Zeit als Jon & Vangelis gemeinsam musiziert. Den Mann mit Stimmlage Countertenor und kratziger Stimme kennt man vor allem von der 1968 gegründeten Formation „Yes“. Sie ist genug Legende, um ein eigenes Festival kreieren zu können. So etwas macht auch Paul Green mit seiner Rockerakademie jedes Jahr im Asbury Park. Dort hören seinen Akademie-Schülern 10.000 zu. Am Herzberg könnten es noch ein paar mehr werden. Sie alle zusammen spielen vor allem alte „Yessongs“. Auf dem Weg dorthin begegnen am Samstag zunächst Blues, Rock und Folk dank Wille And The Bandits (13:30 Uhr), Global-Gaelic-Rock mit Kila (15:45 Uhr) und Mayberg (18:00 Uhr). Der junge Mann kommt ursprünglich aus Kassel und bewegt sich im Stil der nordhessischen Musikszene um Milky Chance. Der „TikTok-Musiker“ passt gefühlt am wenigsten in den Tag, wird aber gewiss dafür sorgen, dass der Spannungsbogen ein wenig größer wird.
Nach Anderson stehen noch Baba Sissoko Mediterranean Blues (22:30 Uhr) aus Mali und Orange (0:45 Uhr) auf der Mainstage.
Manfred’s on the road again und trifft Beth Hart
Die Timeline des Sonntags, also des letzten Tages, verspricht nachhaltig zu wirken. Il Civetto haben 2022 noch auf der Freakstage gespielt und spielend den Aufstieg zur Mainstage geschafft. Um 12:00 Uhr spielen sie zum Frühstück. Über Götz Widmann (14:15 Uhr) muss man nicht viel sagen, der frühere Journalist, spätere Betriebswirt ist gleich um die Ecke in Bad Brückenau zur Welt gekommen und beglückt mit frechen und ironischen Texten. Wer Fanfare Ciocarlia (16:30 Uhr) nicht kennt, muss sich nicht schämen. Wer sie verpasst, aber ganz sicher! Die ursprünglich traditionelle ostrumänische Roma-Band bringt mit zwölf Bläsern und Schlagwerk kann so viel Spaß auf die Bühne, dass es völlig ausgeschlossen sein wird, dass irgendjemand irgendwo umsetzt. Garantiert!
Wenn Manfred Mann‘s Earth Band um 18:55 Uhr die Bühne betritt, dann stehen dort 61 Jahre Rockgeschichte. Länger als der Keyboarder Manfred Mann (seit 1961) steht niemand aus dem Line Up 2023 auf der Bühne. Zwischen Beat-Songs wie „Do Wah Diddy Diddy“, Psycho-Klassikern wie „Father Of Day, Father Of Night“, Reggae von Bob Marley („Redemption Song“) bis „Davy’s on the Road Again“ oder „Blinded By The Light“ ist der Weg lang gewesen. Die jüngeren Sachen kamen nicht mehr in die Charts, aber wer die Earthband einmal live gesehen hat, weiß, dass alles aus einem Guss klingt und mitreißt. Wer könnte das dann toppen? Beth Hart, die Frau mit der unwiderstehlich dunklen, schokoladigen Stimme! Sie macht um 21:00 Uhr den Deckel drauf!
Die vielen Locations, Klamotten-, Kunsthandwerks- und Trödel-Stände sowie exotische Speisen gehören zum Flair des Festivals. Wie immer wird der Herzberg in seine eigene Welt führen, in der für vier Tage tatsächlich Frieden herrscht. Was immer drumherum passieren mag. Mehr gibt’s HIER. (Rainer Sander)