CHATTENLAND. Bist du Mann oder bist du Frau? Nein, nein, nicht falsch verstehen! Ich weiß nicht, wann du diese Zeilen liest? Entweder zu Beginn oder zum Ende des Vatertages? Bist du noch oder schon wieder nüchtern? Schnürst du die Wanderschuhe, lädst Bierkisten in den Bollerwagen oder tun die Füße und der Kopf weh, weil du weder das Laufen noch Saufen vertragen hast? Das soll vorkommen! Gerade weil wir älter werden. Ich zumindest bin sehr alt und ich finde, der Begriff Himmelfahrt passt in diesem Zusammenhang mitunter perfekt.
Tatsächlich ist euer Gottessohn an diesem Tag zu seinem Vater gegangen, vor rund 2000 Jahren. Die naheliegendste Erklärung, warum der Himmelfahrtstag auch Vatertag heißt, wäre jetzt natürlich den Weg zum Vater aller Väter als namensgebenden Anlass zu vermuten. Dafür gibt es leider nicht einen einzigen Beleg. Irgendjemand müsste seine Gedanken dazu irgendwann mal aufgeschrieben haben.
Es ist nicht immer das Offensichtliche, was stimmt, zumal auch Nichtchristen Vatertag feiern. Außerdem feiern Christen in vielen anderen Ländern wie in Amerika beispielsweise den Vatertag erst im Juni. Himmelfahrt ist aber immer 40 Tage nach Ostern, weil diese 40 Tage Aufenthalt bei den Jüngern zumindest aufgeschrieben wurden, nämlich in der Bibel.
Vielleicht kann ich euch weiterhelfen? Ich hätte zwei Varianten anzubieten. Die eine wurzelt in der germanischen Tradition, wonach ein Mann einmal im Jahr seinen Besitz abschreiten muss, weil sonst der Anspruch darauf verfällt. Und wenn man schon mal unterwegs war, dann konnte man gegen die Langeweile und um seinen Reichtum zu zeigen, auch Freunde mitnehmen und gegen den Durst zugleich etwas Bier. Diese nette Tradition hat vielen Menschen auch im Mittelalter noch gefallen. Tatsächlich war Biertrinken zu dieser Zeit übrigens überhaupt nichts Besonderes. Es gab kein sauberes Wasser und dünnes Bier war das beste Getränk, um Krankheiten entgegenzuwirken. Also mal ernst, wir haben nicht aus Spaß Bier getrunken! Da ist euch etwas aus dem Ruder gelaufen?
Die zweite Variante geht auf unseren Gott Donar – oder je nach Region auch Thor – zurück. Das ist der, der mit seinem mächtigen Hammer Blitz und Donner erzeugen konnte. Der Mai ist Monat der ersten Frühjahrsgewitter, aber zumindest in einem einzigen Lied wird die Geschichte erzählt, dass Riesen den Hammer entwendet hatten und dieser ihn mit einer List – als Frau verkleidet – heimholte, weshalb wir stets den Feiertag Hammersheimt („Heimholung des Hammers“) zumindest in einem altnordischen Götterlied aus der Lieder-Edda des Codex regius, gefeiert haben. Und Vatertag ist immer ein Donnerstag, also „Donars Tag“. Bei der Gelegenheit: ich stelle mir unseren höchsten Gott gerade als Transe mit den Riesen flirtend vor … Hach! Vielleicht ein Grund, warum germanentreue, aber homophobe Neu-Rechte diese Geschichte noch nie erwähnt haben?
Bei uns Chatten, Cheruskern oder später Franken war es übrigens üblich, Streitfragen mehrtägig und unter Hinzuziehung größerer Mengen an Alkohol ausgiebig zu erörtern. Die Folgen waren wüste Streitereien sowie jede Menge Raufereien. Am Tag der Entscheidung im Thing allerdings war Alkohol tabu! Wenn es um einen Beschluss ging, dann waren wir nüchtern! Aber so was von! Wenn ihr den Vatertagsausflug noch vor euch habt, dann lasst ab jetzt die Finger von schwierigen Fragen. Es geht nur eins! Wenn der Trip schon hinter euch liegt, ist jetzt die beste Gelegenheit, um zu klären, was zu klären ist. Ganz gleich ob in der Familie, unter Freunden, an der Arbeit oder in der Politik. Und wenn jemandem Zweifel kommen, ob das Bier am nächsten Morgen nicht das beste gegen den Kopfschmerz wäre? Nein! Ist es nicht! Das weißt du auch! Das hast du oft genug ausprobiert!
Jetzt kommen übrigens jede Menge Feiertage, die wir Chatten unter anderem Namen auch gefeiert hätten! Man sieht sich!
Euer
Chatte
Hintergrund – die Chatten:
Die Chatten lebten vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zum 6. Jahrhundert n. Chr. im Bereich des Nord- und Mittelhessen, bis sie im Stammesverbund der Franken aufgingen. Bonifatius, so wird überliefert, fällte in Fritzlar das chattische Heiligtum, die Donareiche und leitete damit die Christianisierung ein. Durch die Lautverschiebung wurden im Laufe der Jahrhunderte aus den Chatten schließlich Hessen. (rs)