AKTUALISIERT: Stadtverordnete streiten über Versorgungsvertrag mit VW
BAUNATAL. Baunatal hat ein Fernwärmenetz, das Kunden in einigen Bereichen der Stadt über lange Zeit günstige Fernwärme geliefert hat, weil das „Werk“ reichlich Wärme produziert hat, ohne sie komplett verwerten zu können. Die Zeiten ändern sich, das alte Kraftwerk bei VW wurde durch eine Gasturbine ersetzt. Wärmegewinnung ist immer noch günstig, aber nicht kostenlos.
Trotz Ukraine-Krieg und Energie-Krise waren die Kosten relativ stabil für die angeschlossenen Kunden in der Volkswagenstadt, aber der Wärmelieferungsvertrag zwischen der VW Kraftwerk GmbH und der Stadt Baunatal endet am 31.12.2023. Wärmeerzeugung ist teurer geworden.
Vertragsverlängerung für Fernwärmelieferung erarbeitet
Die Baunataler Verwaltung und nun auch die Stadtverordneten haben sich durch das Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG) und die Fernwärmepreisbremse auf Grundlage des Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetzes (EWPBG) sowie Begriffe wie Preisgleitklauseln, erdgasmont, und Rechenformeln wie AP = AP0 x (0,4 + 0,3 x egasmontJ.1/egasmont0 + 0,25 x WPJ.1/WP0 + 0,05 x EEAFJ.1/EEAF0 gearbeitet.
Auf Grundlage der geänderten Preisgleitklausel wird sich der Arbeitspreis von derzeit 77,63 €/MWh (netto) vom 01.07.2023 an auf rund 184 €/MWh (netto) erhöhen, aufgrund aktuell bis 31.12.2023 befristeten Entlastungen für alle Tarifkunden aber auf 95 €/MWh gedeckelt sein. Auf dieser Basis wurde eine einjährige Vertragsverlängerung erarbeitet. Der Vertrag stand in der Stadtverordnetenversammlung zur Abstimmung. Dabei wurde leidenschaftlich und engagiert über fehlende und vermutete Alternativen diskutiert.
Investitionskosten für Veränderung nicht zu stemmen
- Udo Rodenberg (SPD) formulierte, das Ziel sei eine Dekarbonisierung. Allerdings sei durch den Ukrainekrieg die Situation verändert. Der Vertrag mit der Kraftwerksgesellschaft von VW solle um ein Jahr verlängert werden, mit einer Kündigungsoption nach einem halben Jahr. Die relativ niedrigen Bezugspreis-Konditionen sind bis Ende Juni noch gültig. Danach wird sich der Preis mehr als verdoppeln. Dann greift die Preisbremse allerdings nur bis Anfang 2024.
- Dr. Rainer Oswald (FDP) findet, man müsse zu dem Thema eigentlich gar nicht reden. Man könne die Situation nicht ändern, weil Investitionskosten für eine Veränderung nicht zu stemmen wären. Es gäbe nur einen Anbieter, der mit der Infrastruktur arbeiten kann. Die Situation sei weitgehend dem städtischen Handeln entzogen. Es gehe jetzt um Ausstiegsszenarien, allerdings könne man die Kunden nicht im Regen stehen lassen. Man könne in der aktuellen Situation auch keine individuellen Heizungen in die Häuser einbauen. Andererseits stammen die Verträge aus einer Zeit, in der Wärme bei VW ein Abfallprodukt war. Das ist es längst nicht mehr. Die Wärme wird zum Teil für die Fernwärme produziert.
- Lothar Rost (B90/GRÜNE) hat eine andere Meinung. Er sieht eine Steigerung von 8,3 Cent auf 19 Cent. Der Fernwärmepreis in Kassel läge bei 9,3 Cent, der aktuelle Ölpreis bei 9 Cent. Es wurden 70.000 € für Planungen ausgegeben, um die Wärmeversorgung in Baunatal untersuchen zu lassen. Einen Anschluss an die Fernwärmeleistung in Kassel (Kraftwerk Dennhäuser Straße) fände er gut und möglich.
- Sebastian Stüssel (CDU) sieht sich durch Herrn Rost genötigt, auch ans Rednerpult zu treten. Alle Menschen bezahlen zurzeit mehr für Strom und Wärme. Das könne man sich zurecht reden, wie man möchte. Niemand möchte die Kunden mit höheren Preisen versehen. Die Fernwärme müsse aber eingekauft werden und aktuell kann nur eine einzige Firma einspeisen. Haushaltsrechtlich darf die Stadt Baunatal gar nichts subventionieren. Gedankenspiele mit anderen Lieferanten sind müßig, weil es nur einen Anschluss gibt. Die Frage sei, wohin das Thema Fernwärme geht. Die Firma Rödl & Partner habe einen Auftrag erhalten, dies zu untersuchen. Das sei noch nicht abgeschlossen. Bis auf die GRÜNEN hätten sich alle Fraktionen bereits bei den Haushaltsberatungen Gedanken zum Thema gemacht. Es wurde proaktiv gehandelt. Der Preis, der jetzt zu zahlen ist, sei im Markt nicht unüblich und während Eigenheimbesitzer das Investitionsrisiko bei einer Heizung tragen, sind Fernwärme-Kunden hier deutlich sicherer. „Wünsche helfen nicht.“
Daniel Jung: Was wäre die Alternative?
- Erster Stadtrat Daniel Jung (SPD) wehrt sich gegen Zahlen und Vergleiche. Es würden Äpfel und Birnen verglichen. Im Zahlenvergleich mit den Städtischen Werken Kassel müsse man den doppelten Grundpreis in Kassel mit einbeziehen. Dann läge der Unterschied nur noch bei 10 bis 20 Prozent und schließlich sei Baunatal viele Jahre günstiger als Kassel gewesen. Die Stadt habe 2019 berechnet, was ein eigenes Blockheizkraftwerk kosten würde. Die aktuelle Situation sei aber völlig anders. Er stellte die Frage, was es bedeuten würde, dieser Verlängerung jetzt nicht zuzustimmen. Dann würde der Versorgungsvertrag auslaufen und die Kunden hätten überhaupt keine Versorgungssicherheit und Preissicherheit mehr.
- Edmund Borschel (B90/GRÜNE) möchte die Kunden auch nicht im Regen stehen lassen. Die Hauptargumentation war aber, dass es keinen Plan B dafür gibt, wenn das Angebot nicht passt. Ihm fehlt eine Antwort auf die Frage, ob es in den nächsten 13 Monaten möglich ist, einen Plan B zu entwickeln. „Es wird im März nächsten Jahres ein böses Erwachen geben“, ist sich Borschel jetzt schon sicher. Ihm gefällt es nicht, als Kommunalpolitiker so wenig Einflussmöglichkeiten zu haben und deshalb kann es keine Zustimmung seitens der GRÜNEN geben.
- Sebastian Stüssel (CDU) findet, es sei abenteuerlich, über eine Fernwärme Leitung nachzudenken, die eine bestimmte Länge hat und am anderen Ende hänge nur ein einziger Versorger. Eine Leitung nach Kassel müsste erst gebaut werden. Bisher ist es für alle anderen Kunden teurer geworden, für die Fernwärmekunden nicht. Man könne sich verschiedene Lösungen vorstellen, selbst ein Holzkraftwerk zusammen mit den Waldinteressenten, aber auch das sei nicht in Form eines Schnellschusses möglich: „Wo ist denn der konkrete Vorschlag von den Grünen, wie man es machen wolle?“ Nicht zuzustimmen sei nicht verantwortungsvoll gegenüber den Fernwärmekunden.
Lothar Rost: „Es gibt bereits eine betriebsbereite Leitung nach Baunatal“
- Udo Rodenberg (SPD) betonte: Wenn dieser Beschluss heute nicht gefasst werde, sitzen die Fernwärmekunden nächstes Jahr im Kalten. Er ist heilfroh, dass es noch keine Entscheidung in Richtung eines gasbetriebenen Blockheizkraftwerks gegeben hat. Möglicherweise wäre das nach heutigem Stand der Lage eine Fehlinvestition gewesen.
- Lothar Rost (B90/GRÜNE) beharrt darauf, dass es eine betriebsbereite Leitung gäbe, die Städtischen Werke Kassel hätten ihm das am Telefon bestätigt.
Gegen die Stimmen der GRÜNEN nahmen die Stadtverordneten die Vertragsverlängerung an. (Rainer Sander)