JERUSALEM. Es war alles andere als eine ruhige und friedliche Zeit in Judäa. Das gilt auch für die ersten 30 Jahre unserer Zeitrechnung – nach Christus. Judäa war ein von fremder Macht besetztes Land. Als kleine Römische Provinz war diese wiederum der größeren Provinz Syrien untergeordnet. König Herodes, über den die Bibel wenig Nettes berichtet, durfte auch ein wenig mitregieren. Vor allem die Pharisäer arbeiteten gegen die Besetzung. Die Zeloten kämpften als militärischer Arm noch bis 70 n. Chr. gegen die Römer.
Jüdisches Recht galt neben dem römischen Recht weiterhin. Auch eine Art Religionsfreiheit gewährte Rom den Provinzen.
Sollte ein Messias Rom besiegen können?
Die Zeloten hatten sicher auch Sympathisanten unter den 12 Aposteln. Judas Iskariot, der Mann, der Jesus verraten hat, könnte einer von ihnen gewesen sein. Belegt ist es nicht, aber seine Enttäuschung darüber, dass Jesus eben nicht die Macht ergreifen und die römische Besatzung beenden wollte, ließ ihn und die radikalen Freiheitskämpfer wohl daran zweifeln, dass er der Messias ist. Der hätte auch nicht sterblich sein können? Oder war es einfach die Wut darüber sinnlos einer religiösen Bewegung gefolgt zu sein, die sich nicht instrumentalisieren ließ?
Was ist Wahrheit? Mit dieser Frage erwidert der Römische Statthalter Pontius Pilatus im Johannes-Evangelium (Joh. 18,38 EU), unmittelbar vor der Verurteilung Jesu Bemerkung, in die Welt gekommen zu sein, um „Zeugnis für die Wahrheit“ abzulegen. Zurück bei den Juden stellte Pilatus schließlich fest: „Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.“ Aber nur die Römer konnten zur Kreuzigung verurteilen. Der jüdischen Obrigkeit war dies nicht gestattet.
Optimistisch oder pessimistisch?
Gerade jetzt feiern 3 Weltreligionen, die mit Abraham einen gemeinsamen Stammvater haben Ostern, Pessach und Ramadan. Alle drei Religionen kennen Jesus. Selbst im Koran kommt er so oft vor wie kaum ein anderer. Und alle drei haben eine andere Sicht auf ihn und kennen eine andere Wahrheit. „Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt“, hat Arthur Schopenhauer gesagt. Der gleiche Philosoph hat sich auch zu den Unterschieden von Religionen geäußert:
Der könne nicht darin gesehen werden, „ob sie monotheistisch, polytheistisch, pantheistisch oder atheistisch sind; sondern nur darin, ob sie optimistisch oder pessimistisch sind.“ Das Dasein dieser Welt müsse Religion durch sich selbst gerechtfertigt darstellen, es loben und preisen oder aber es betrachten als etwas, das nur als Folge unserer Schuld begriffen werden kann und daher eigentlich nicht sein sollte. Dazu gehöre die Erkenntnis, dass Schmerz und Tod nicht in der ewigen, ursprünglichen, unabänderlichen Ordnung der Dinge liegen können.
Wir sehen die Wirklichkeit …
Ich weiß nicht, wie optimistisch das Christentum angesichts vergangener Hexenverbrennungen, der Hölle und des Teufels, der Sintflut und der ewigen Schuld tatsächlich ist. Aber da war doch etwas, das Ostern einen Ursprung hat? Stimmt! Die Vergebung (aller Sünden). Papst Franziskus hat es mehrfach gesagt: „Gott vergibt alles, wirklich alles!“. Wer wären wir als Gottes Geschöpfe, wenn wir dazu nicht auch in der Lage wären? Schon allein deshalb, weil es ganz offensichtlich immer mehrere Wahrheiten gibt. Raum und Zeit sind dabei die größten Täuscher. Wir können die Wahrheit nicht sehen, sondern immer „nur“ die Wirklichkeit. Wahrheiten gibt es so viele wie Menschen, Weltanschauungen und Religionen.
Die Welt ist nur wenig friedlicher geworden als zu Zeiten des Römischen Reiches und der Besetzung Judäas. Heute stehen Religionen im Konflikt um Macht und Wahrheit. Das mit der Vergebung gefällt mir an der Geschichte am besten, und dass Gott – also der christliche Gott – nicht nachtragend ist.
In diesem Sinne wünsche ich fröhliche Ostern!
Ihr
Rainer Sander