KASSEL. Bereits zum 15. Mal hat der Förderverein Pro Nordhessen e. V. seine Mitglieder sowie weitere Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zum großen Herbstevent eingeladen.
Rund 120 Gäste kamen zum Thema „Versorgungssicherheit im Spannungsfeld Politik und Technik“ am 23. November ins Foyer des regionalen Energieversorgers EAM und erlebten einen hoch spannenden Austausch. Olaf Kieser, Vorsitzender der Geschäftsführung der EAM GmbH & Co. KG, begrüßte als Hausherr und Vorstandsmitglied des Fördervereins und fand gleich einleitend die passenden Worte. Er sprach von dem relevanten Dreiklang Versorgungssicherheit, Preis und Sauberkeit der Energie. Auch Dr. Jürgen Spalckhaver, Vorstandsvorsitzender von Pro Nordhessen e. V., betonte in seinem Grußwort die große gesellschaftliche Relevanz des Themas und zeigte auf, wie wir bereits mit einer Selbstverständlichkeit Begrifflichkeiten wie Gaspreisbremse oder Gaspreisdeckel verwenden. Die Transformation des Energiesystems rückte Kai Georg Bachmann, Geschäftsführer der Regionalmanagement Nordhessen GmbH, als Leitthema für die Region in den Fokus und betonte die enge Verbundenheit des Regionalmanagements mit dem Förderverein, der vor 20 Jahren zu den Gründungsgesellschaftern zählte.
Gastredner Jochen Homann, Staatssekretär a.D. und Präsident der Bundesnetzagentur a.D., betitelte seinen Einführungsvortrag „Energieversorgung – bedingt sicher?“ und setzte das Fragezeichen ganz bewusst. Es ist die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten, die uns ökonomisch angreifbar und hilflos macht. „Im Vertrauen auf einen verlässlichen Energiepartner Russland sind in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen worden, die sich heute rächen. Deutschland hat sich aus falscher Sparsamkeit gegen eine strategische nationale Gasreserve entschieden“ leitete Jochen Homann seine Ausführungen ein. „Die Wirtschaft, aber auch wir alle als Verbraucher, hatten ein hohes Interesse an dem billigen Pipeline-Gas aus Russland.“ Aber auch rund 40 Prozent der Kohle und ein gutes Drittel des Rohöls stammten aus Russland. Das Wirtschaftsmodell eines exportorientierten Industrielandes, das auf den Import bezahlbarer Rohstoffe angewiesen ist, funktioniert nicht mehr. Die Gefahr wächst, dass Teile der Industrie an günstigere Standorte auswandern. Die Frage, woher zukünftig bezahlbare Energie kommt, kann deshalb zu einer Schicksalsfrage für den Industriestandort Deutschland werden. Hier helfe ein schnellerer Ausbau der Stromnetze, eine Sparbereitschaft zu mindestens 20 Prozent sowie Flüssiggas aus den USA und Katar. Die Politik will zudem das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien vervielfachen, setzt auf den großen Hoffnungsträger Wasserstoff und will die Planungs- und Genehmigungsverfahren drastisch auf die Hälfte verkürzen. Eine Versorgungssicherheit verlangt jedoch noch für Jahre die Absicherung durch ausreichende Gasmengen und moderne Gasturbinen, die sich dann auch für den künftigen Einsatz von Wasserstoff eignen müssen. Jochen Homann mahnte zum Pragmatismus, welcher wichtiger sei als zeitraubendes Finetuning. Das Grundproblem deutscher Krisen-Energie-Politik: Sie steht gleichzeitig auf Gaspedal und Bremse. Sein Fazit lautet, dass unsere Energieversorgung nur „bedingt sicher!“ sei – mit einem besorgten Ausrufezeichen.
Gespannt verfolgten die Zuhörer auch die Gesprächsbeiträge der Podiumsgäste, welche Claus Peter Müller von der Grün als Moderator gekonnt aus der Reserve lockte.
Dr. Markus Menges von der WINGAS GmbH erläuterte, dass Versorgungssicherheit bedeutet, die gewünschte Energie steht jederzeit, an jedem Ort zur Verfügung und ist bezahlbar. Deutschland habe einen hohen Energiebedarf, ein Drittel davon für die Industrie. Da wird man auf Kompromisse angewiesen sein. Katharina Koch vom Wurstehimmel in Calden gehörte zu den Optimisten und plädierte dazu, stärker an die regionalen Strukturen zu glauben. Allerdings werden wir künftig Verzicht üben müssen. Versorgungsengpässe betreffen auch die Arzneimittelbranche. Reinhard Belling von der Vitos gGmbH erklärte, dass vor zwanzig Jahren noch zwei Drittel der Arzneien in Europa produziert wurden, nun ist es nur noch ein Drittel. So liegen z. B. die Preise für in China gefertigte Coronatests bei rund einem Viertel. Auftretende Warenengpässe könne man nur durch Einkaufsgemeinschaften lösen. Als politischer Vertreter saß Florian Schneider, Mitglied des Hessischen Landtags, in der Runde und stellte die Grundsatzfrage, inwieweit wir uns in fremde Hände begeben wollen. Die Gesellschaft muss die Wahrheit vertragen, Sicherheit kostet Geld. Jedoch müsse man die Kosten umschichten und Schwache entlasten. Die Frage des Moderators, ob es uns gelingen würde, bis 2045 klimaneutral zu sein, bejahten die meisten. In der Krise steckt auch eine Chance: Neue Technologien und Geschäftsmodelle werden entstehen. Kai Georg Bachmanns Glaube an die Innovationskraft und Leistungsfähigkeit der Region wurde durch die Kasseler Universitätspräsidentin, Frau Prof. Dr. Ute Clement, und Markus Exner, Geschäftsführer von Pro Nordhessen gestärkt. Und bevor es ans Buffet und zum Netzwerken ging, fasste er zusammen: Die beste Energie ist die, die wir einsparen. (pm)
Das Bild: Oberste Reihe v.l.n.r.: Kai Georg Bachmann (Regionalmanagement Nordhessen GmbH), Claus Peter Müller von der Grün (Moderation), Olaf Kieser (EAM GmbH & Co. KG) Zweite Reihe v.l.n.r.: Impulsredner Jochen Homann (Staatssekretär a.D., Präsident der Bundesnetzagentur a.D.), Dr. Jürgen Spalckhaver (Pro Nordhessen e.V.), Reinhard Belling (Vitos gGmbH) untere Reihe v.l.n.r.: Katharina Koch (Wurstehimmel Calden), Dr. Markus Menges (Wingas GmbH), Florian Schneider (Mitglied des Hessischen Landtags) vorne: Markus Exner (Pro Nordhessen)
1 Kommentar
Wer glaubt das der nächste Winter ohne staatliche Hilfen bezahlbar wird der glaubt wohl auch das wir die Klimakleber jemals los werden bei unsren lahmen Gesetzen!!
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