Zwischen Reformation und Dämonen
NIEDENSTEIN. Dass man Halloween völlig befreit von Mythen und heidnischer Mystik betrachten kann, durften die Besucher eines Gottesdienstes in Niedenstein gestern Abend selbst erleben. Wer am 31. Oktober mal in einer irischen Kirche war, hätte das ganz normal empfunden. Dort spielt Martin Luther allerdings überhaupt keine Rolle. Dafür die keltischen Geschichten aus der Anderswelt.
Aber dass die Bibel eine Menge Geschichten erzählt, die durchaus Halloween-Geschichten sein könnten, erfuhren die Gottesdienstbesucher an Halloween, zugleich Reformationstag, dem Geburtstag der evangelischen Kirchen weltweit.
Time Warp und Kürbisgesichter
Der Gottesdienstbesuch in der evangelischen Kirche in Niedenstein war entsprechend überdurchschnittlich. Nicht die Niedensteiner Kirchenorgel, deren „Original“ ohnehin zurzeit wegen der Renovierung in Fritzlar Einsatz findet, stimmte auf den Abendgottesdienst ein. Stattdessen erklang der Time Warp aus der Rocky Horror Picture Show: „Machen wir wieder den Zeitsprung! Es ist nur ein Hüpfer nach links und dann ein Schritt nach rechts …“
Zeitsprünge gab es eine Menge in der „kurzen Stunde“ in Niedenstein. Viele Besucher waren kostümiert und geschminkt gekommen. Sie genossen den Gottesdienst, bei dem Pfarrer Johannes Böttner die Gottesdienstbesucher gleich zu Beginn mitnahm, auf eine Zeitreise, welche die Ambivalenz (be-) greifbar machte. Vor 2500 Jahren in Irland hatten die Menschen Angst, dass böse Menschen als böse Geister zurückkommen, wenn an Samhain (heute Halloween) böse Menschen als böse Geister zurückkehren. Seit 2500 Jahren schnitzen Kinder Kürbisgesichter. Und was können Kinder eigentlich falsch machen?
Die Dämonen in der Bibel
In Matthäus 8,28-34 und Lukas 8,26-39 befreit Jesus einen Mann, der aus Grabkammern herabsteigt und von Dämonen beherrscht wird, die sodann in eine Schweineherde fuhren, die sich darauf einen Abhang hinunter in einen See gestürzt hat. Was für eine passende Halloween-Geschichte!
Angst ist immer die Mutter des Befürchteten und wir ärgern uns stets nur über uns selbst. Alles, was uns mit Angst und Ärger begleitet, hat mit uns selbst zu tun, denn wir können nur das in anderen sehen, was wir von uns selbst kennen. Martin Luther, so Pfarrer Böttner, wusste nichts von Halloween, aber von Menschen mit großen Ängsten. Auch im späten Mittelalter wussten die Menschen viele Ereignisse nicht einzuordnen.
Die heutigen Geister
Die (bösen) Geister unserer Zeit sind der Klimawandel, Kriege und Hunger. Tatsächlich retten keine Ablassbriefe vor der Hölle aus Selbstvorwürfen und gesellschaftlicher Ächtung. Das hat Martin Luther beseitigt und den Menschen das Vertrauen in Jesus und die eigene Kraft zurückgegeben, denn der Weg aus der Angst führt immer durch die Angst hindurch und nicht über Schuldzuweisungen und Ablassbriefe.
Süßes oder Saures hieß es auch im Gottesdienst zum Schluss und Liedern über Hoffnung und Freude. Mut und Vertrauen statt gruseln und fürchten! (Rainer Sander)