Neue Dauerausstellung im Kulturhaus Synagoge
GUDENSBERG. Es hat schon lange eine Dauerausstellung im Kulturhaus Synagoge zur Geschichte jüdischen Lebens in Gudensberg gegeben. Nach vielen Jahren sind viele neue Erkenntnisse hinzugekommen und nun war eine neue Dauerausstellung nötig. Gestern wurde sie unter dem Titel „Zwischen Verdrängen und Erinnern“ eröffnet.
Ein Teil der Geschichte Gudensbergs war eine lange Zeit tabu und wurde verdrängt, erklärte Bürgermeisterin Sina Best bei der Eröffnung. Spät erst sei das Thema des Umgangs mit der jüdischen Gemeinde Gudensberg als Teil der Geschichte betrachtet und an die Opfer gedacht, ihre Lebensart und ihre Kultur verstanden worden. Von da an folgten nicht mehr nur Gedenkstunden, sondern eine aktive Beschäftigung mit diesem Teil der Geschichte und Spurensuche fand statt.
Carolin Sohl hat Ausstellung gestaltet
Frau Best dankte ihrem Vorgänger Frank Börner und der Historikerin Carolin Sohl, die Ausstellung konzeptionell erarbeitet und in Wort und Bild mit Tafeln und Rollups umgesetzt hat. Beteiligt waren Hans Peter Klein und Dieter Vaupel als wichtige Gesprächspartner und der Fachbereich Kultur. Herr Vaupel ist auch im Arbeitskreis Stolpersteine aktiv und immer bei den Gedenkstunden zur Reichspogromnacht am 9. November dabei. Ziel der Ausstellung sei, die Opfer aus der Anonymität herauszuholen und ihnen das Gesicht wiederzugeben, das die Nazis ausgelöscht haben.
Der evangelische Pfarrer von Gudensberg, Gunnar Hartmann, hat sich bereits vorher in die alte Synagoge „geschlichen“, um sich die Ausstellungstafeln anzusehen. Sie beschreibt zwei Zeitläufe, nämlich die Zeit der Vertreibung und die Rettung der Synagoge für das, was sie heute ist. In dieser Phase habe eine Kommission um jedes einzelne Wort gerungen. Auch der Satz auf der Gedenktafel sei dabei entstanden: „Die Geschichte der Juden in Gudensberg ist Teil unserer Geschichte.“
„Gudensberg ist von Juden befreit, jetzt strahlt das schöne Chattengaustädtchen wieder“, so stand es damals in der Zeitung zwar lange vor den Pogromen. Die fanden in Gudensberg deshalb nicht statt, weil bereits alle Juden vertrieben waren.
Eine Familie in Obervorschütz
Anders in Obervorschütz, damals noch ein eigenständiger Ort. Dort war noch eine Familie übrig geblieben, die Gastwirt-Familie Adler. Schon in zweiter Generation war sie mit ihrer Wirtschaft Teil des Dorfes. Niemand zeigte auf die Kinder mit Fingern. 1930 fand NSDAP erste Anhänger. Zum Juden ging man nicht mehr. Nach 1938 waren sie ausgegrenzt. Es wurde immer unerträglicher. Nachbarn und Gäste wurden Feinde. Eine SA-Gruppe erhielt im Dorf Zulauf Bürger und Bürgermeister Konrad Scherb rief dazu auf, „Kauft nicht bei Juden!“ Irgendwann stellte SA Wachen auf. Später durften die Kinder nicht mehr in die Dorfschule gehen. Dass sie dann nach Holland in ein Waisenhaus ziehen konnten, hat sie vor dem KZ bewahrt. Am 9. November. Klopft es an der Tür. Männer in SA-Uniform drangen ein. In Kassel, wusste Adler, hatte es vorgestern schlimme Verwüstungen gegeben. Diesmal gibt es Freibier, grölten die Eindringlinge. Gläser klirrten.
Über die Familie Adler hat Dieter Vaupel ein Buch geschrieben, wie auch über viele andere jüdische Familien in Gudensberg. Gemeinsam mit Alida Scheibli, die außerdem für die musikalische Umrahmung sorgte, las er aus seinem aktuellen Werk.
Carolin Sohl, Historikerin für jüdische und Regionalgeschichte beschrieb anschließend die Entstehung der Ausstellung. Sie selbst habe ihr Wissen erweitert. Es war ein steiniger Weg zu regionaler Gedenkkultur. 1646 wurden in Gudensberg erste jüdische Bewohner erwähnt. Es hat also eine 300 Jahre alte Tradition gegeben, auch ausgedrückt durch eine jüdische Volksschule. Die Gemeinde zählte zu den wichtigsten im Hessen.
Ausstellung hat fünf Sektionen
Auch nach dem Krieg war die Synagoge lange Zeit Lagerhaus. In den 90er-Jahren hat die Stadt das Gebäude erworben und umgebaut. Die aktuelle Ausstellung ist aufgeteilt in 5 Sektionen:
- Das Leben bis 1933
- Die Zeit des NS-Regimes
- Die Zeit nach 1945
- Die Geschichte der Synagoge und des Architekten Albrecht Rosengarten
- Biografien von Bürgern jüdischen Glaubens, nämlich der Familien Adler, Rosenthal und Mansbach
Frau Best zeigte sich danach betroffen: „Mir ist zwischendurch der Atem gestockt. Ein Grund mehr für eine solche Ausstellung!“ Frau Deborah Tal Rüttger schilderte das Gefühl, lange Zeit als jüdische Gemeinde auch in der neueren Zeit nicht gekommen zu sein.
Es sagt viel über den Umgang mit der heimischen Vergangenheit, wenn es Forschungsprojekte geben muss, um weniger als 100 Jahre zurückzublicken, weil nichts mehr da ist, an das man sich erinnern könnte und alles vernichtet ist, in dem sich die Geschichte spiegeln könnte. Perfekt hat der Nationalsozialismus alle Spuren jüdischen Lebens zusammen mit den jüdischen Mitbürgern vernichtet.
die Ausstellung an folgenden Sonntagen zwischen 15 und 17 Uhr kostenfrei besichtigt werden:
- 02.10.2022
- 06.11.2022
- 27.11.2022
- 04.12.2022
- 08.01.2023
Am Dienstag, 04.10.2022 findet um 18 Uhr eine Führung mit Carolin Sohl, M.A. durch die Ausstellung statt. Die Führung ist kostenfrei und auf 15 Teilnehmer beschränkt. Eine Anmeldung ist gewünscht im Internet unter kultur.gudensberg.de (Menüpunkt „Führungen, Wanderungen“) oder Tel.: 05603 933128. (rs)