Gudensbergs Bürgermeisterin über ihren Start
GUDENSBERG. Der Beruf des Bürgermeisters ist immer noch ein „Männerberuf“. In Gudensberg hat sich bei der letzten Wahl eine Frau durchgesetzt. Aufgrund der vielen Krisen und Ereignisse haben wir der neuen Chefin im Rathaus etwas mehr Zeit als 100 Tage gegeben für ein erstes Gespräch, das Rainer Sander mit ihr im Rathaus Gudensberg geführt hat.
nh24: Wie kommt man klar in einer Stadt, die man im Wahlkampf erst richtig kennengelernt hat, und wenn nach der Wahl plötzlich alles anders ist?
Sina Best: (lacht) Ich frag‘ mich so durch! Ich habe ein Grundverständnis von Politik und Verwaltung. Meine Erfahrung ist, dass Kommunen häufig ähnliche Themen haben. Die Voraussetzungen sind jeweils anders. Diese sind in Gudensberg ausgezeichnet, zumindest würden sich viele andere Kommunen freuen, wenn Sie solche Probleme wie Gudensberg hätten. Zu meinen Stärken gehört eine gute Auffassungsgabe und ich kann aufmerksam zuhören. Deshalb wachse ich schnell hinein.
Gudensberg im Vergleich
nh24: Ist es manchmal schwer zu erklären, wie gut es Gudensberg im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden geht?
Sina Best: Ich habe ja die Erfahrung gemacht, dass es schlechter sein kann. Vergleiche aus eigener Erfahrung sind immer authentisch. In meiner Heimatgemeinde ich zahle ich mit 4,85 EUR für Abwasser fast das Vierfache als in Gudensberg. Das sind ja belegbare Zahlen. Es relativiert gelegentlich Probleme, wenn man solche Vergleiche ziehen kann.
nh24: Bei mir in Frielendorf kosten Wasser und Abwasser zusammen sogar 7,85 EUR.
Sina Best: Wenn man die Situation relativiert, sagen viele Menschen, dass ihnen Gudensberg gefällt, und sie sich wünschen, dass es einerseits so bleibt und andererseits noch besser wird.
Verständnis für Sorgen
nh24: In Gudensberg gibt es immer wieder Proteste gegen Neubaugebiete, ob Gewerbe- oder Wohngebiete. Als Außenstehender fragt man sich, warum Menschen in einer Stadt so etwas nicht wollen. Wie würden Sie das erklären?
Sina Best: Ich kann verstehen, dass Ängste entstehen, primär durch Logistikhallen. Wer nach den Erfahrungen etwas von Gewerbegebiet hört, hat sofort die blauen Hallen im Kopf. Der Stachel sitzt bei vielen offenbar tief. Die Kunst liegt bei den jetzigen Planungen darin zu erklären, dass es jetzt gerade darum geht, dem vorhandenen örtlichen Gewerbe, also Klein- und Mittelbetrieben, Entwicklungschancen zu ermöglichen. Ich kann auch die Landwirtschaft verstehen. Es wäre schlimm, wenn einzelne Gruppen ihre Interessen nicht mehr vertreten könnten. Wo kämen wir dann in einer Demokratie hin? Die guten Böden sind Gudensberg Glück und Pech zugleich. Aufgrund der guten Böden hat sich Gudensberg in der Geschichte so gut entwickelt und steht wirtschaftlich so gut da.
nh24: Das kann man zurückverfolgen bis in die Eisenzeit…
Sina Best: Ja und wo die Verhältnisse so sind, siedelt sich natürlich immer wieder Gewerbe an und müssen Wohnungen gebaut werden. Im Moment zählt für viele Gudensberger Betriebe aber wenigstens die mittelfristige Perspektive. Ich kann das aber auch gar nicht entscheiden, denn das ist die Aufgabe der Stadtverordnetenversammlung als Parlament.
Schwierige Abwägungen
nh24: Deutschland will einerseits weniger Fläche versiegeln, andererseits aber sogar Produktion aus China wieder zurückholen. Für Kommunen eine große Herausforderung?
Sina Best: Ja, und gleichzeitig möchten wir die Getreideproduktion hochfahren, weil der Weizen aus der Ukraine nicht mehr kommt. Es ist ein Spagat, den wir schaffen müssen, um allen den entsprechenden Grund und Boden bereitzustellen.
nh24: Sind die Reaktionen aus der Bürgerbeteiligung für das neue Gewerbegebiet positiver als in der Vergangenheit?
Sina Best: Den Vergleich zur Vergangenheit kann ich nicht ziehen. Wir wollten jetzt frühzeitig informieren. Es gibt einen Interessenten, der sich aus dem Ort heraus erweitern möchte und ich nehme Verständnis wahr, dass die Menschen neues Gewerbe wollen. Die Standortfrage wird noch diskutiert, wobei wir das als alternativlos geprüft haben. Es muss zum Stadtbild passen, was meiner Meinung nach gelingt. Ich weiß aber, dass man das auch anders sehen kann.
Wohnungen entstehen im Innenbereich
nh24: Vielleicht noch einmal zur Wohnbebauung: irgendwann werden die Kinder derjenigen, die jetzt gegen neue Wohngebiete sind, auch Wohneigentum schaffen und deswegen nicht aus Gudensberg wegziehen wollen?
Sina Best: Wir prüfen selbstverständlich auch Möglichkeiten im Innenbereich, wo wir uns Flächen aneignen oder Gebäude sanieren können. Auch durch Abriss werden Bauplätze entstehen können. Es geht darum, den Donut-Effekt zu verhindern, dass die Innenstadt ausstirbt, während sich drumherum alles entwickelt. In den Ortskernen ist die Erschließung schließlich schon fertig.
nh24: Gibt es dafür bereits ein Kataster?
Sina Best: Das gibt es auch, aber wir versuchen über die Förderprogramme gleichzeitig Gebäude zu erwerben, um Spekulationsobjekte zu verhindern und stattdessen Wohnraum zu ermöglichen, die Kernbereiche neu zu ordnen und attraktiver zu gestalten.
nh24: Es ist herauszuhören, dass Frau Best in Gudensberg ganz gut angekommen ist. Das war sicher nicht von Anfang an vorherzusehen. Wir sind seit Jahren in einer Dauer-Krisen-Schleife. Haben Corona und Ukraine zu Beispiel Auswirkungen auf die städtische Haushaltsplanung?
Sina Best: Die Stadt Gudensberg ist finanziell immer noch gut aufgestellt und hat sich ausreichend Rücklagen, um aktuelle Herausforderungen kompensieren zu können. Was wir nicht wissen ist, wie stark sich die Krisen auf die Einkommensteuer auswirken werden. Gudensberg hat eine einkommensstarke Struktur, was diesbezüglich ein Vorteil sein dürfte. Da sind wir auch wieder beim Gewerbegebiet, es ist wichtig, die Gewerbesteuerzahler auch in Gudensberg zu halten. Für viele ist eine Erweiterung längst überfällig und ich möchte nicht nur noch beobachten können, wie sie in andere Gemeinden umsiedeln, Mitarbeiter mitnehmen und Brachflächen zurücklassen.
nh24: Gudensberg war immer eine Kulturstadt, mit einem – für die Region – beeindruckenden Programm. Es läuft schwer wieder an und auch der Besuch von Veranstaltungen ist zurückhaltend?
Sina Best: Es zieht schon wieder an, viele Veranstaltungen sind auch ausverkauft. Wir können dieses Jahr noch nicht alles anbieten und für nächstes Jahr müssen wir uns überlegen, vielleicht auch neue Wege zu gehen, auch für jüngere Menschen etwas anbieten. Dieses Jahr wird zum ersten Mal wieder ein Stadtfest stattfinden. Auch daraus werden wir Lehren ziehen können.
Folgen der Ukraine-Krise
nh24: Eine Gudensberger Besonderheit ist die Partnerschaft mit Schtschyrez in der Ukraine. Es ist sensationell, was Gudensberg und der Partnerschaftsverein hier leisten. Auch damit sind sie plötzlich konfrontiert worden. Wie ist das Gefühl, wenn der Kollege per Videokonferenz im Kampfanzug zugeschaltet ist?
nh24: Ich hatte das Glück, noch im Herbst eine Delegation aus der Ukraine hier erlebt zu haben. Ich bin froh, den Bürgermeister Oleg Vasylyschyn anders kennengelernt zu haben. Aber gerade wo man weiß, wie die Menschen wirklich sind und sich plötzlich verändern müssen, macht das traurig. Wenn der Kollege dann erzählt, dass sie sogar russische Spitzel ausfindig machen müssen, die in die Stadt kommen und militärische Operationen organisieren müssen, dann möchte ich nicht tauschen. Das ist so fremd, dass man sich das gar nicht vorstellen kann.
nh24: Das Spendenaufkommen ist immens. Was macht das Geschehen mit der Stadtgesellschaft?
Sina Best: Ich sehe viele Ukraine-Fahnen in den Fenstern und gefühlt trägt jeder zweite in Gudensberg einen Button. Ich bin dem Partnerschaftsverein unendlich dankbar. Das hätten wir im Rathaus nicht geschafft. Es ist Wahnsinn, dass weit über 1 Millionen Euro an Spenden zusammengekommen sind und die Mitglieder jede Woche an die ukrainische Grenze fahren. Die Privatspenden gehen allerdings allmählich zurück. Viele haben jetzt auch Angst, mit dem Geld selbst hinzukommen.
nh24: Kann die Stadt auch den Gudensbergern helfen?
Sina Best: Wir wollen als Stadt insgesamt klimaneutral werden wir werden auch Energie einsparen. Damit können wir Beispiele geben, wie es auch im privaten Bereich möglich ist. Das erscheint mir gerade viel wichtiger.
nh24: Werden Klimaziele jetzt neu definiert?
Sina Best: Wir können dazu beitragen, erneuerbare Energien auf den Weg zu bringen. Wir schaffen zum Beispiel Flächen, damit bestehende Solarparks erweitert werden können.
Positives Resümee trotz allem
nh24: Wie fällt ihr Resümee für die ersten 100 Tage aus?
Sina Best: Trotz aller Widrigkeiten ist es mir einigermaßen gelungen, mein 100-Tage-Ziel einzuhalten. Dazu gehört beispielsweise der Hochwasserschutz, insbesondere im Bereich des Goldbachs. Wir konnten klären, weshalb Maden ein Problem hat und die Ursache ist erstaunlicherweise eine ganz anderes als angenommen. Es sind nicht die zuletzt versiegelten Flächen, sondern sogar Sechziger-Jahre-Baugebiete. Wir wissen jetzt, wie wir dem Problem entgegentreten können. Wir werden mit dem Bau des Rückhaltebeckens noch in diesem Jahr beginnen. Ich glaube, dass wir auch hier auf dem Weg sind. Im Bereich Sicherheit und Ordnung konnten wir Stunden aufstocken und damit für mehr Personaleinsatz sorgen. Die Stellenausschreibung für den Ordnungspolizisten ist erfolgt. Mit Kompass starten wir einen neuen Aktionsplan. Für den Herbst ist ein Tag der Sicherheit geplant.
nh24: Gibt es eine Lösung für Überbelegung von Häusern im Bereich der EU-2-Bürger?
Sina Best: Da verquickt sich vieles. Wenn wir uns Gebäude zu eigen machen, haben wir auch die Möglichkeit vieles zu unterbinden. Wenn man kontrolliert, dann reagieren die Hauseigentümer auch. Sie spüren, dass sie unter Beobachtung stehen.
nh24: Was haben Sie noch nicht geschafft?
Sina Best: Ich würde gerne viel mehr mit den Menschen in Kontakt kommen und auch mit den Ortsbeiräten habe ich noch nicht so kommunizieren können, wie gewünscht. Etwas unterschätzt habe ich den Zeitaufwand für alle politischen Ämter, die mit dem Bürgermeisteramt verbunden sind. Ich fühle mich aber inzwischen gut angekommen!
nh24: Vielen Dank für das Gespräch (Rainer Sander)