Bedeutungsvolle Straßennamen in Gudensberg-Süd
GUDENSBERG-SÜD. Im Auenland war das Südviertel, das, mit dem besonders milden und warmen Klima, dessen Böden sehr fruchtbar und ertragreich waren. Das ist in Gudensberg nicht anders, weshalb jede Flächenversiegelung rund um die Stadt von Protesten begleitet wird. Jetzt aber wird in Südviertel gebaut und nach einer Ausschreibung mit Wettbewerb wurden Straßennamen vergeben.
Die einzige Bedingung für Vorschläge war, dass es Frauen zu Namenspatinnen werden, die innerhalb Europas eine Bedeutung haben. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl der Namen war, dass zwei Straßen nach Frauen aus Polen und der Ukraine benannt werden sollten, in denen Gudensberg Städtepartnerschaften pflegt. Mit der „Lucia-Frey-Straße“ der „Marie-Curie-Straße“ wurde dies erfüllt.
Polnische Delegation zu Gast
Weil im Rahmen der Feierlichkeiten zu „50 Jahre Gebietsreform“ auch eine Delegation aus Jelcz-Laskowize, der Gudensberger Partnerstadt in Polen, zu Gast war, konnte deren Bürgermeister Bogdan Szczęśniak etwas zu Marie Curie sagen. Er wusste, dass die Namensgebung für ihre Entdeckung des Poloniums ihrem Heimatland Polen gewidmet war, das es erst nach dem 1. Weltkrieg wieder gegeben hat. Zu ihren Lebzeiten war Polen von der Landkarte verschwunden und aufgeteilt. Der Stadtverordnete Julian Brandt hatte den Namen eingereicht und erkennt Vorschlag und Auswahl als Dank für die entstandene Freundschaft.
Für die Bürgermeisterin Sina Best und Julian Brandt hatte die Delegation aus der Heimat von Marie Curie zwei Bilder der Namenspatin mitgebracht, die sie im Anschluss an die Enthüllung der Namen überreichten. Aus dem ukrainischen Schtschyrez konnte aus verständlichen Gründen niemand anwesend sein, um Lucia Frey zu ehren.
Hella Heynmöller und Sophie von Brabant: Bezüge zu Gudensberg
Von Moni Faupel, ehemalige Kulturbeauftragte der Stadt Gudensberg und Naturparkführerin mit großem Engagement für ihre Heimatstadt, stammte der Vorschlag für Sophie von Brabant. Sie selbst wusste zu erklären, dass die Namenspartien die Tochter der heiligen Elisabeth gewesen ist, deren Sohn 1247 in der Maderheide bei Gudensberg zum ersten Landgrafen von Hessen ausgerufen wurde.
Hella Heynmöller war Lehrerin in Gudensberg und tatsächlich waren Schülerinnen und Schüler ihrer letzten Klasse – der 10a – zur Enthüllung des Straßenschildes gekommen. Hartmut Reise, der Neffe von Frau Heynmöller wusste eine Menge über seine Tante zu erzählen. Die Gründerin der Europäischen Jugendwochen auf Burg Ludwigstein bei Witzenhausen im Jahr 1953 hat damals bereits den europäischen Gedanken unmittelbar am Eisernen Vorhang begründet. Die damalige Klassensprecherin Frau Steinbach erinnerte sich auch nach 50 Jahren noch an ihre Lehrerin. Sie war sprachgewandt, weltoffen und wenn sie etwas wollte, dann setzte sie es auch durch – und zwar mit einem Lächeln. Ganz so, wie es der Vorname Hella bedeutet: die Strahlende!
Identifikation mit dem europäischen Gedanken
U2 besingen in ihrem Lied „Where The Streets Have No Names“ den Wunsch nach Straßen ohne Namen, um nicht sofort mit etwas identifiziert zu werden. Die neuen Straßennamen im Europaviertel identifizieren zwar nicht die zukünftigen Bewohner, aber sehr wohl die Stadt als europäische Kommune und stellen den Bezug zu bedeutenden weiblichen Persönlichkeiten her. Sie stehen zugleich auch für Weiterentwicklung, denn die Namenspatroninnen sind in ihrem Leben niemals stehen geblieben. Weitere Straßennamen sind „Sophie-Scholl-Straße“, „Anne-Frank-Straße“ und „Astrid-Lindgren-Straße“. Letztere wird erst später gebaut und wurde daher noch nicht eingeweiht.
Bürgermeisterin Sina Best sieht den europäischen Gedanken als einen solidarischen Gedanken voller Sensibilität und wünscht den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern von Gudensberg Süd allzeit Gottes Segen.“
In Chicago ist die Southside übrigens ein Schmelztiegel der Kulturen und Vielfalt. Genau das könnte ein Europaviertel auch sein. (rs)
Hintergrund: Die Straßennamen
Marie Curie (*1867, †1934)
Marie Skłodowska-Curiewar eine polnische Physikerin und Chemikerin. Sie forschte auf dem Gebiet der Atomphysik und prägte den Begriff „radioaktiv“. 1903 erhielt sie den Nobelpreis für Physik, 1911 folgte der Nobelpreis für Chemie. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre Curie entdeckte sie zwei chemische Elemente: Polonium und Radium. Die Gesamtschule in der Gudensberger Partnerstadt Jelcz-Laskowice ist nach Marie Curie benannt.
Lucia Frey (*1889, †1942)
Lucia Frey-Gottesman war eine jüdische Ärztin aus der Ukraine. Sie studierte in Lemberg zunächst Philosophie, ehe sie zur Mathematik wechselte und ihren Abschluss als Lehrerin machte. Anschließend studierte sie Medizin, Fachrichtung Neurologie in Lemberg und Warschau. Von 1929 bis 1941 war sie als Neurologin am Israelitischen Spital in Lemberg tätig. Nach der Besetzung der Stadt durch die deutsche Wehrmacht in 1941 praktizierte Frey im Lemberger Getto. 1942 wurde sie entweder dort oder nach einer Deportation in das Vernichtungslager Belzec ermordet. Nach ihr ist das Frey-Syndrom benannt, eine neurologische Erkrankung, die sich unter anderem in starkem Schwitzen an Hautbezirken des Gesicht-Hals-Bereiches während des Verzehrs von Speisen bemerkbar macht.
Hella Heynmöller (*1913, †1988)
Hella Heynmöller stammt aus dem Gudensberger Stadtteil Gleichen. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lehrerin in Gudensberg. Bekannt geworden ist sie durch die Gründung der Europäischen Jugendwochen auf Burg Ludwigstein bei Witzenhausen im Jahr 1953. Ziel der Jugendwochen war, dass sich junge Menschen aus Europa über Singen, Musizieren und Tanzen kennen- und schätzen lernen. Denn: Europa bedeutet Frieden. Die Idee war sehr erfolgreich und noch heute finden Europäische Jugendwochen auf Burg Ludwigstein statt. Hella Heynmöller wurde 1984 zur Ehrenvorsitzenden des Arbeitskreises Europäische Jugendwochen Burg Ludwigstein e. V. ernannt. 1966 erhielt sie die Robert-Schumann-Medaille in Bronze für ihr europäisches Engagement und 1986 verlieh man ihr das Bundesverdienstkreuz.
Astrid Lindgren (*1907, †2002)
Die weltbekannte schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren verfasste Werke wie „Pippi Langstrumpf“, „Wir Kinder aus Bullerbü“ und „Michel aus Lönneberga“. Mit einer Gesamtauflage von ca. 165 Millionen Büchern zählt sie zu den bekanntesten Kinder- und Jugendautoren der Welt.
Anne Frank (*1929, †1945)
Wie viele andere jüdische Familien auch wurden Anne Frank und ihre Familie während des Nationalsozialismus wegen ihres Glaubens verfolgt. Nachdem Anne zu ihrem 13. Geburtstag ein Tagebuch bekommen hatte, begann sie, Gefühle und Erlebnisse aufzuschreiben. Zu dieser Zeit waren Anne und ihre Familie bereits in die Niederlande geflohen und lebten in einem versteckten Hinterhaus in Amsterdam. Kurz vor Kriegsende wurde die Familien verhaftet und schließlich in das KZ Bergen-Belsen deportiert, wo Anne starb. Heute gilt das Tagebuch der Anne Frank als bedeutendes historisches Dokument zur Geschichte des Holocaust.
Sophie von Brabant (*1224, †1275)
Sophie von Brabant war die Tochter der heiligen Elisabeth und die Mutter des ersten Landgrafen von Hessen. Sie lehnte sich gegen die männliche Herrschaft auf und ließ ihren kleinen Sohn zum ersten Landgrafen von Hessen ausrufen. Damit rettete sie sein Erbe, gründete Hessen und führte die Regierungsgeschäfte, bis ihr Sohn alt genug war, um dies selbst zu tun.
Sophie Scholl (*1921, †1943)
Die deutsche Studentin Sophie Scholl ist eine berühmte Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Gemeinsam mit ihrem Bruder Hans zählte sie zum inneren Kreis der Weißen Rose, einer studentischen Widerstandsgruppe. Nach ihrer Festnahme bei einer Flugblattaktion an der Universität München am 18.02.1943 wurden sie und ihr Bruder wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt und am 22.02.1943 mit der Guillotine enthauptet. (pm)