SCHWALMSTADT. Schwalmstadt hat einen neuen Bürgermeister! Wer es ist, hat etwa 75 % der Schwalmstädter überrascht, denn bei Lichte betrachtet, haben ihn tatsächlich so viele nicht gewählt. Was schon vorher klar war: Politik bleibt im traditionsgebundenen Schwalmstadt jedenfalls Männersache, auch wenn sich Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (LINKE) und Ruth Engelbrecht (B 90/GRÜNE) noch so gerne und meistens konstruktiv einbringen.
In Schwalmstadt, der größten Stadt im Schwalm-Eder-Kreis, brechen jetzt aber goldene Zeiten an. Ich höre in der Schwalm-Metropole immer wieder, dass ein Bürgermeister doch „nur“ mit den Fraktionen sprechen muss und dann läufts! Hätte Herr Pinhard das stets getan, dann wäre doch alles glattgegangen! Die Sache hat drei wesentliche Haken:
- Der eine Haken ist, mit dem Gespräch verbinden alle sieben Fraktionen, dass sie selbstverständlich gerne tun, was der Bürgermeister ihnen vorschlägt, vorausgesetzt, dass er ihnen vordergründig das vorschlägt, was sie zu tun bereit sind. In der Realität wollen alle sieben tatsächlich immer Unterschiedliches.
- Der zweite Haken schließt sich unmittelbar an: in Schwalmstadt braucht es, da sich SPD und CDU am seltensten untereinander einig sind, immer mindestens drei Fraktionen, die dann das Gleiche wollen. Das ist in Berlin schon schwierig, wo sich die Politiker fast täglich sehen. Ein Bürgermeister in Schwalmstadt wäre ständig damit beschäftigt, das JA einer ersten Fraktion, mit dem EVENTUELL einer zweiten und dem EHER-NEIN einer dritten Fraktion abzugleichen und so lange hin und her zu laufen, bis alle drei einer Meinung sind. Die Eitelkeiten sind dabei gerecht verteilt! Das bleibt eine lustige Vorstellung, die in der Praxis noch nie funktioniert hat und an der sich auch die Leidensfähigkeit eines Herrn Kreuter beweisen wird.
- Diese ist im dritten Haken begründet, denn die hessische Gemeindeordnung ist die einzige Kommunalverfassung der 16 deutschen Bundesländer, nach der der Bürgermeister weder eine Richtlinienkompetenz besitzt, noch Anträge in der Stadtverordnetenversammlung selbst einbringen kann und auch im Magistrat – bei allen Entscheidungen – überstimmt werden kann. Von der Intention her ist der Bürgermeister in Hessen ein Winkeaugust.
Eine Frage der Ehre…
Dass ein Bürgermeister kaum zum Arbeiten kommt, wenn er ständig damit beschäftigt ist, Kniefälle zu machen und Zugeständnisse zu formulieren, dürfte angesichts der Tatsache, dass auf jeder Tagesordnung wenigstens zehn Punkte stehen, die monatlich zur Entscheidung gebracht werden wollen, damit es – wie versprochen endlich vorangeht –, schnell klar werden. Auffällig dabei ist, dass die meisten Fraktionen selbst mit ihren eigenen Magistratsmitgliedern kaum sprechen und von den Parteivertretern dort mitgetragene Magistratsbeschlüsse dann in den Fraktionen wieder um die Ohren fliegen. So viele Fraktionssitzungen, wie sie zur Einigung nötig wären, kann es gar nicht geben. Kommunalpolitik ist Ehrenamt und kein Berufsparlament.
Wenn sich Herr Kreuter – als Nicht-SPD-Mitglied, aber bisher parteiloses SPD-Fraktionsmitglied – tatsächlich unabhängig verhält, dann ist es auch nicht garantiert, dass er stets „seine“ SPD hinter sich haben wird. Die hat das parteilose und nun ausscheidende Fraktionsmitglied zwar unterstützt, erwartet dafür allerdings auch größtmögliche Loyalität. Die Fraktion wird festlegen, was damit gemeint ist. Der Finanzfachmann Kreuter dürfte schnell merken, wie viele Finanzfachleute außer ihm noch in der SPD-Fraktion sitzen.
Was erschwerend hinzukommt ist der Umstand, dass in allen besonders traditionsgeprägten und -bewussten Regionen eine Niederlage als Ehrverletzung gilt und die Ehre zunächst wieder hergestellt werden muss. Einige der drei oder vier (?) (Oppositions-) Fraktionen, die mit ihrem Kandidaten gerade krachend gescheitert sind, haben in internen Gesprächen bereits die Messer gewetzt und angekündigt, dass sie bereit sind, alles zu blockieren, was der neue Bürgermeister vorschlägt. Um diese Arithmetik zu verstehen, braucht man nicht einmal einen Taschenrechner. Andersherum wäre es nicht besser gekommen. Das Spießrutenlaufen hat also bereits begonnen. Das wäre den anderen beiden nicht erspart geblieben. Die Andeutungen, dass Herr Kreuter sich von der SPD lösen und ins andere Lager wechseln könne, um Mehrheiten zu finden, kursiert bereits. Genau das kann und wird wohl nicht passieren.
Das Interesse an der Politik verloren?
Im Grunde gibt es niemanden, der glücklicher sein kann mit dem Ergebnis als wir Journalist:innen. Wir können ganz sicher sein, dass sich auch in Zukunft im Schwalmstädter Parlament jede Menge schwer überwindbare Differenzen auftürmen werden, über die wir schreiben können, dürfen und müssen. In einem harmonischen Parlament würde uns die Arbeit ausgehen.
Sehr offensichtlich ist die Mehrheit der Schwalmstädterinnen und Schwalmstädter mit uns einer Meinung, denn angesichts einer Wahlbeteiligung von 44,88 Prozent, hat deutlich mehr als der Hälfte aller Wahlberechtigten keiner der drei Kandidaten gefallen, weshalb sie gar nicht erst zur Wahl gegangen sind. Ein Teil davon wird einer Partei angehangen, die in Schwalmstadt bei anderen Wahlen auf knapp 15 % kommt, kommunal aber nie antritt. Oder den Schwalmstädtern ist Politik egal geworden? Das erscheint anhand der Zugriffszahlen auf die Berichte aus der Stadtverordnetenversammlung tatsächlich völlig abwegig. Meine Artikel haben gelegentlich doppelt so viele Leser und Leserinnen, wie es am Sonntag Wähler gegeben hat. Allein das ist ein Grund zum Nachdenken. Oder waren es gar die Schwalmstädterinnen, die anfangen, sich zu verweigern?
In diesem Sinne „Glückauf“ für die nächsten drei Jahre nach der Amtseinführung von Herrn Kreuter im Herbst. Dann ist wieder Kommunalwahl und die Würfel werden neu gemischt. Ach, besser nicht 🙂
Ihr
Rainer Sander
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11 Kommentare
@KAMERAD,
bezüglich ihres Kommentares über die HNA da haben sie leider noch die Familienanzeigen Vergessen / Heirat, Kindstaufe und Todesanzeigen.
Der Rest ist leider traurigste Wahrheit die HNA ist zu einem absoluten Schmierblatt verkommen.
Ich empfinde die Fraktionen als äußerst bereichernd, eben weil bisherige verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Wie heißt es doch so schön Konkurrenz belebt das Geschäft! Wäre doch langweilig wenn SPD und CDU sich dauernd die Mehrheit zuschieben und es hin und wieder nicht mal richtig schön kracht! Offensichtlich fühlen sich die Wähler doch von den verschiedenen Positionen angesprochen ? Besser so als wenn gefrustete Wähler sich zu Parteien wie der AFD hinwenden (zum Glück gibt es die noch nicht bei uns)!
Die Gremien sind mit dem Schrott besetzt die nirgendwo was zu sagen haben.Das ist das größte Desaster in Schwalmstadt.
hallo lutz klapp
bin deiner meinung
der neue tobias kreuter tut mir jetzt schon leid
es sitzen halt nur egos in den gremien
und daran sind wir wähler schuld
leider lassen sich frauen u. männer mit gutem sachverstand und teamfähigkeit zum wohle unserer stadt zu wenig zur wahl stellen !
dann braucht Schwalmstadt wohl SIE! Da sie ja offensichtlich alle Gremienmitglieder gut kennen und bewerten können, wäre es doch ein Leichtes für Sie, dort aufzuräumen – zieren Sie sich nicht, sind nur ein paar Stündchen im Monat und bei ihrem Sachverstand und iherer Teamfähigkeit bekommen Sie es bestimmt schnell hin. Meine Stimme bekommen Sie…… und Sitzungsgelder fließen wohl reichlich
Das frustrierende ist doch, dass es bei der letzten Kommunalwahl anscheinend normal war diverse kompetentwirkende Personen auf die Liste zu setzen. Wurden diese gewählt, treten sie das Amt nicht an oder treten recht schnell zurück. Da kann man als Wähler auch nichts mehr machen. Selbst wenn man sich intensiv mit Kandidaten befasst steht es auf äußerst wackeligen Beinen ob nicht doch jemand der schon immer im Parlament sitzt nicht doch durchs Schieben und „Zurücktreten“ einen Platz bekommt. Kein Wunder das bei uns kaum noch einer wählen geht.
Herr Sander : Gemäß HGO kann der Bürgermeister eigene Anträge stellen soviele er will! Genauso wie jede Fraktion und jeder Stadt. Bzw. Gemeindevertreter es einzeln kann. Das ist Demokratie!
Ich möchte mich auch bei Herrn Pinhard bedanken und ihm alles Gute wünschen.
Teile ich ausnahmslos was Herr Sander schreibt!
Das was Kamerad hier vorträgt hat der noch Bürgermeister Stefan Pinhard die ganzen Jahre gemacht. Nämlich nach Kompromissen gesucht. Die Kompromisse wollte man aber auf den anderen Seiten nicht und das von Anfang an. Man hat ihm gleich die dicksten Knüppel zwischen die Beine geworfen. Das schlimmste dabei, die HNA war bei immer ganz vorne dabei, wenn man Stefan Pinhard schaden wollte. Die politischen Verwicklungen kenne wir ja alle, da muss man noch nicht einmal Namen nennen.
Es gab selten einen Bürgermeister der so hart, der so geräuschlos, der sich so für die Stadt und seine Bürger eingesetzt hat wie Stefan Pinhard, dafür möchte ich mich bei ihm bedanken. Auch wegen dessen Einsatz, finde ich die Undankbarkeit vieler Schwalmstäder Bürger als bedenklich.
Seiner Familie wünsche ich alles erdenklich gute. Wer weis für was diese Bürgermeisterwahl gut war?
Die HNA ist ein Relikt aus vergangener Zeit. In Sachen Qualität schon seit Jahren auf dem absteigenden Ast, ist es mir noch immer ein Rätsel wieso diese Zeitung noch so einen Einfluss hat bzw. sich nicht schon lange ein Konkurrent bei den Printmedien entwickelt hat. Hetzen oder liebloses dahinrotzen von Artikel ist mittlerweile deren Spezialgebiet. Am affigsten habe ich dann noch den Lesertreff und die dazugehörige Berichterstattung empfunden. Die Wochenangebote von Metzgern und Restaurants sind das einzige relevante in diesem Schmierblatt.
Sehr gute Kolumne Herr Sander! Ja für Journalisten wird es nicht langweilig. Allerdings bezweifel ich, dass die Vertreter von CDU/FW/Grünen/FDP oder BfS Interesse daran haben Herrn Kreuter zu blockieren. Das Tischtuch mit Herrn Pinhard war bekanntlich zerschnitten mit allen Fraktionen (ja selbst „seine“ BfS war nicht mehr ganz auf seiner Seite), allerdings gab es da auch eine Vorgeschichte. Keiner von diesen Parteien macht sich falsche Illussionen, dass Herr Kreuter zukünftig zu jeder Idee Ja und Amen sagen wird 🙂 Allerdings Politik heißt auch Kompromisse schließen. Sollte Kreuter überall sabotiert werden wird das auch auf diese Parteien zurückfallen. Genauso wird es auf Kreuter und auf die SPD zurückfallen falls hochnäsig versucht werden sollte ausschließlich eigene Interessen durchzusetzen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Herr Kreuter ein Bürgermeister wird der sich auch in die Situation der anderen Parteien versetzen kann und eben auf diese auch ein Schritt zugehen wird. Es wird ein Geben und Nehmen sein aber der Dialog darf nicht nocheinmal so verstummen wie es leider die letzte Zeit war. Im gleichen Zuge würde es mich freuen, wenn NH24 auch außerhalb des Wahlkampfes vielleicht in Form eines Interviews (oder sogar talkshow!) Hintergründe beleuchtet. Wie Herr Sander schon erwähnt hat, gehen die Aufrufe schon bei Berichten über die Stadtverordnetenversammlung durch die Decke dann dürfte es hier ebenfalls der Fall sein und jeder hat etwas davon =) Ich drück Herrn Kreuter die Daumen und Wünsch ihm viel viel viel Geduld. Unserem jetzigen Bürgermeister Herrn Pinhard danke ich ebenfalls für sechs streitbare Jahre Politik die aber auch zwei neue Parteien in das Parlament gebracht haben. Es hätte vieles besser laufen können aber eben auch sehr vieles schlechter. Tauschen hätte ich mit Ihnen nie wollen und ich hab Respekt vor Ihren Nehmerqualitäten 🙂
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