Hephata unterstützt Geflüchtete aus der Ukraine
TREYSA (pm/Hephata). Tanja Sawatzky, ausgebildete Erzieherin, ist von der Hephata Diakonie eigentlich angestellt, um Jugendliche auf dem Weg in den Beruf zu unterstützen. Seit rund zwei Monaten ist sie nun allerdings für die Familien aus der Ukraine da. Und sie ist nicht die einzige Mitarbeiterin des Bereichs Jugend-, Familien- und Berufshilfe innerhalb Hephatas, die sich mit hohem Einsatz für die Geflüchteten engagiert.
Der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss des freundlichen, wohnlichen Hauses im Horschmühlenweg mit einem großen Esstisch in der Mitte – das ist seit Ende März der Lebensmittelpunkt der ukrainischen Familien. Die Anfangssituation damals war schwierig: Die Ankunft in einem fremden Land an mit wenig außer dem, was in eine Tasche passt, ohne die Sprache zu sprechen, ohne Geld aber mit einem oder mehreren Kindern. Dutzende Fragen stellten sich den Müttern: Wie komme ich an Nahrung? Wie kommt mein Kind in die Schule? Wie baue ich uns einen kleinen Haushalt und neue Strukturen auf? Wo sind die Anlaufstellen für Unterstützungsleistungen, wer die Ansprechpartner? Dann lagen die Antragsformulare vor ihnen, auf Deutsch, für sie natürlich nicht zu verstehen. Der einzige Weg für die Familien: geradeaus nach vorn, sich nach und nach ein neues Leben aufbauen – auch wenn ungewiss ist, wie lange sie hierbleiben werden.
Die ersten Schritte – Wohnung, Essen und mehr
Tanja Sawatzky und ihr Kollege Fritz Gatzke haben sich also zunächst mit den neun Familien durch Anträge auf Aufenthaltsgestattung und auf Unterstützung zum Lebensunterhalt gearbeitet. Heiko Schmidt, ein weiterer Kollege, hat sichergestellt, dass die Familien mit Lebensmitteln versorgt sind. Er orderte Nahrungsmittel im SB-Laden der Hephata Diakonie, besorgte Möbel und Haushaltsartikel, reparierte Gegenstände und sorgte insgesamt dafür, dass die Familien sich in ihrem Zuhause auf Zeit wohlfühlen.
Markus Kink, Leiter Region Mitte der Jugendhilfe, zahlte den Familien eine Art Taschengeld aus. Wichtig war, dass die Frauen, die Kontrollverlust, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Angst verspüren mussten, Selbstbestimmtheit und Würde zurückerlangten. „Einfach machen“ war das Motto des ganzen Teams, erspüren, was gebraucht wird und es unkompliziert bereitstellen. Angefragt hatte der Schwalm-Eder-Kreis lediglich die Unterkunft. Mehr als das finanzieren die Behörden auch bis heute nicht – die umfassende Unterstützung kann Hephata nur durch Spenden ermöglichen.
Alltagsbegleiterin, Übersetzerin, Seelsorgerin ist Tanja Sawatzky für die Frauen. Die Tatsache, dass sie eine erfahrene Pädagogin ist, die eine Sprache mit den Frauen teilt und dann auch noch weiß, wie man sich in Deutschland zurechtfindet, macht sie dreifach wertvoll für die Familien. In Vollzeit ist sie vor Ort – morgens, tagsüber, abends. „Mein Mann meinte, ich könnte gleich bei den Frauen einziehen“, sagt sie.
Anträge, Formulare, Termine & Co.
„Die Gespräche mit Tanja taten gut und zeigten neue Wege auf“, berichtet eine Frau. Als nach den ersten Tagen das Wesentliche für ein neues Zuhause stand, hat Tanja Sawatzky mit den Müttern Schulanmeldungen ausgefüllt und die Frauen zu Behördengängen begleitet, um zu übersetzen. Unzählige Anrufe und viele Wege waren zu machen. Denn für den Schulbesuch beispielsweise benötigt es eine Schuluntersuchung. Ärztliche Behandlungsscheine mussten organisiert und Ärzte kontaktiert werden. Auch bei den Arztbesuchen und Impfterminen übersetzte Sawatzky für die Mütter und ihre elf schulpflichtigen Kinder.
Jetzt, einige Wochen später, besuchen die Kinder bereits die Schule. Routine hat sich eingestellt. Tanja Sawatzky schaut jeden Morgen in der Gruppe vorbei. Die Frauen, die sich selbst erst auf der Flucht oder in Treysa kennenlernten, teilen sich die Zubereitung der Mahlzeiten und die Hausarbeit. Hin und wieder gibt es kleine Konflikte. Weit schwerer wiegt allerdings, dass zwei der Frauen um ihre Männer trauern.
In der Morgenrunde haben die Frauen immer konkrete Fragen und Themen, die Sawatzki aufnimmt. Heute geht es um die Suche nach Kindergartenplätzen für die drei Jüngsten und die Eröffnung von Girokonten. Heiko Schmidt bringt die organisierten Aktenordner. Tanja Sawatzky und Fritz Gatzke unterstützen mit den Unterlagen und beim Kontakt mit den Banken. Gerade kommt Post. Auch Briefe der Kreisverwaltung erhalten die Familien. Mal wieder muss Tanja Sawatzky übersetzen. Später im Tagesverlauf begleitet sie die Frauen zu ihren Terminen, bevor sie zum Tagesabschluss erneut vorbeischaut. Die Sprache ist eine Hürde, die ohne sie nicht zu nehmen wäre. Keiner in der Gruppe spricht Deutsch, nur eine Frau Englisch. Deshalb hat Hephata eigens einen Deutschkurs organisiert, der viermal pro Woche stattfindet.
Auch Anlaufstellen wie beispielsweise die Begegnungshilfe für Geflüchtete Mittwoch nachmittags in Treysa oder den Treffpunkt der Arbeiterwohlfahrt hat die Erzieherin den Familien gezeigt. Das zur Verfügung gestellte W-LAN macht es ihnen möglich, sich innerhalb der ukrainischen Community in Deutschland auszutauschen. Gegenseitig gibt man sich Tipps. Niemand ist allein. Während man sich in der Erstaufnahmeeinrichtung noch im Wartestatus befand, geben die familiäre Wohnsituation und die Gemeinschaft Kraft und lassen nach vorne blicken.
Neue Strukturen aufbauen und nach vorne blicken
Ohnehin sind die Frauen ruhelos und emsig, lenken sich mit Arbeit und Aktivität ab. Über den Krieg, über Politik sprechen sie nicht. Sie konzentrieren sich auf das, was sie beeinflussen können. Sie funktionieren für die Kinder, wollen das Gefühl bekommen, ihr Leben wieder in der Hand zu haben. Jetzt denken die Mütter schon weiter. Fragt man sie nach ihren Wünschen, antworten mehrere Mütter mit „Beschäftigung für die Kinder“ und „Kontakt zu Kindern von hier“. Neben dem Bedürfnis nach Freizeitangeboten für die Kinder wie Fußball, eine Spielgruppe oder Schwimmbad äußern mehrere Frauen den Wunsch, selbst arbeiten zu dürfen, etwas zu tun, für den Lebensunterhalt zu sorgen und in Kontakt mit Menschen in Schwalmstadt zu kommen.
Fühlten sie sich bei ihrer Ankunft noch wie betäubt und in einem Provisorium, gehen sie ihren Alltag jetzt aktiv an. Mehrmals sprechen sie ihre Dankbarkeit gegenüber den Mitarbeitenden Hephatas aus. Als eine Frau sagt „Ohne Tanja? Wie sollte das gehen?“, fließen Tränen. Berührt hat die Frauen auch die Hilfe, die ihnen von anderen Menschen in Schwalmstadt widerfuhr. Thomas Langer fertigte den Kindern auf eigene Kosten Brillen an. Die Zahnarztpraxis Elert vergab schnell Vorsorgetermine. Nils Rampe von der Stadt Schwalmstadt nahm ihnen in Gesprächen die Angst vor Abschiebung. Ein russischsprachiges Paar kommt ehrenamtlich einmal pro Woche für Hilfestellungen vorbei.
Der Blick der Frauen geht wieder nach vorn. Eine Routine und einen Alltag zu haben, gibt Halt und nun wollen sie bald dank Deutschkurs ihr Leben hier noch eigenständiger meistern. „Nur durch die intensive Begleitung konnten wir diesen bereits beachtlichen Integrationserfolg sicherstellen“, ist sich Markus Kink sicher. (pm/Hephata)
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