Thorsten Vaupel übergibt an Jens Nöll in Frielendorf
FRIELENDORF. Am 21. Mai beginnt und endet je eine Amtszeit im Marktflecken Frielendorf. Thorsten Vaupel geht, Jens Nöll kommt, gewählt nach 29 Jahren kommunalpolitischer Erfahrung, am 26. September 2021 mit 75 Prozent, parallel zur Bundestagswahl. Thorsten Vaupel hatte sechs Jahre zuvor 82 Prozent geschafft, nach nur fünf Jahren in der Politik. Da war gleichzeitig Kommunalwahl.
Langer Abschied für eine kurze Amtszeit
Gestern fand im Hotel Hassia der offizielle Stabwechsel statt. In der ehemaligen Bergbau- und heutigen Tourismusgemeinde Marktflecken Frielendorf, ist die Stimmung noch nicht ganz entschieden. Ist es mehr schade, dass Thorsten Vaupel geht oder mehr schön, dass Jens Nöll kommt? Kann man Thorsten Vaupel verstehen oder nicht? Rudolf Matheis, Vorsitzender der Gemeindevertretung, zeigte sich noch immer enttäuscht, dass Vaupel nicht noch einmal antrat und unternahm den Versuch einer Einordnung in die weltpolitische Lage, mit den derzeit meist geäußerten Worten, „niemand hätte gedacht…“, und sieht Deutschland in der Sorge, in den Krieg gezogen zu werden. Gleichzeitig wollte er die Sache offensichtlich schnell erledigen. Kurz und knapp: „Lieber Jens Nöll, ich führe Dich hiermit in das Amt ein“ und „lieber Thorsten Vaupel, ich verabschiede Dich hiermit aus dem Amt!“ Ganz so kurz ging es dann nicht, drei Stunden dauerte die Zeremonie.
365 mal 24/7 und nichts Schlechtes zu sagen
Tatsächlich ist Bürgermeister ein zwar lokal begrenzter Job (also fernab der Weltpolitik), aber (arbeits-) zeitlich eben unbegrenzt. 24/7 und das 365 Mal im Jahr. Ausnahmslos alle Redner (Rednerinnen suchten oder fanden nicht das Wort), einschließlich Vaupel selbst und Nachfolger Nöll, schilderten den nun scheidenden Bürgermeister als Amtsträger mit Leib und Seele, voller Leidenschaft, Durchsetzungskraft und Zuverlässigkeit. Einer, der für den Job gelebt hat. Landrat Winfried Becker brachte es auf den Punkt: Erstens gibt es nichts Schlechtes zu sagen über (und zu) Thorsten Vaupel, außer den frühen Abschied und Zweitens reichen 100 Prozent Bürgermeister nicht für eine sechsjährige Vollgasfahrt. Er habe Vaupel stets als kooperativen, ideenreichen und motivierenden Moderator der Kommunalpolitik erlebt.
Gehen auf dem Höhepunkt des Erfolges ohne Pensionsanspruch…
Ob Rudolf Matheis, Holger Kraft (SPD) „mit lauter ausgeglichenen Haushalten entstand ein Wir-Gefühl“, Karsten Meiser (CDU) „ohne Angst vor unpopulären Maßnahmen bei gleichzeitigen Investitionen“ oder Matthias Dittschar (FWGF) „ohne spürbare Einschränkungen Gemeinde und Verwaltung aufrechterhalten“, lobten alle Fraktionen die Leistung von Thorsten Vaupel. Ihm ist die Sanierung der Gemeindefinanzen auch über die Schutzschirm-Hilfen hinaus gelungen, ohne die Kommune kaputtzusparen und zugleich sogar in die Zukunft zu investieren. Niemand in Frielendorf hat die Zeit der Konsolidierung als Zeit der Einschränkung empfunden. Vaupel selbst brachte es in seiner Abschiedsrede noch einmal auf den Punkt: 46 Millionen Euro Schulden waren es bei Amtsantritt, 17 Millionen Euro sind davon noch übrig. 17 Millionen gehen auf den Deckel des Landes Hessen, für 12 Millionen Euro hat die Gemeinde demnach selbst gesorgt und gleichzeitig die Kassenkredite, also den „Dispo“ beseitigt. „Jetzt“, so Vaupel, „kann alles aus der Portokasse bezahlt werden.“
Der scheidende Bürgermeister geht als einer, der ausschließlich Erfolg gehabt und nach sechs Jahren keinen Pensionsanspruch hat.
Amtsübernahme in Zeiten der Zeitenwende
Der Nachfolger, gelernter Versicherungsfachmann, dem alle viel Glück wünschen, übernimmt ein bestelltes Feld in einer Zeit, die viele als Zeitenwende bezeichnen. Unterschätzt, so Vaupel, habe er die Auswirkungen auf das Familienleben und dass konsequentes Handeln nicht immer auf Verständnis trifft. Die meisten, wollen deshalb auch nicht Bürgermeister sein. Einer wollte es und das ist Jens Nöll, der sich auf seine erste Amtszeit freut, durchaus ein bis zwei weitere anvisiert, aus einer Familie kommt, in der er in dritter Generation Politik macht und zwischen den 365 Tagen im Jahr als Versicherungsvertreter und zukünftig 365 Tagen im Jahr als Bürgermeister wenig Unterschiede sieht.
Sollte auch er unterschätzen, was auf ihn zukommt, dann darf er sich an Amtskollegen Andreas Schultheiß in Schrecksbach wenden, der für die Regionalgruppe Schwalm-Eder des Hessischen Städte- und Gemeindebundes sprach: „wenn Du mit der Gesamtlage nicht mehr klarkommst, darfst Du mich anrufen. Ich kann Dir dann auch nicht helfen, aber ich höre Dir zu!“ Er sieht in beiden Familien jetzt Veränderungen: „Der eine ist jetzt weniger zu Hause, der andere mehr!“
Geduldsfäden als gegenseitiges Präsent
Dass sich Nöll und Vaupel gegenseitig symbolisch Geduldsfäden schenkten, Nöll mit den Worten „es wird im neuen Job nicht besser, nur anders“, ist einerseits ein Indiz dafür, dass sich beide ganz gut kennen, seit einem Jahr zusammengearbeitet haben und es spricht andererseits für die Erkenntnis, dass die Zeiten so sind, wie sie sind, ganz gleich, auf welcher Position man sitzt. Für Thorsten Vaupel ist die wichtigste Veränderung aber: „Isabelle Vaupel ist jetzt nicht mehr die Frau des Bürgermeisters, sondern ich bin jetzt wieder der Mann der Hebamme!“
Abschieds- und Eintrittswünsche kamen auch von Volker „Bär“ Siemon für den Personalrat, Christian Nill für die Freiwillige Feuerwehr und den Amtskollegen Jürgen Liebermann (Schwarzenborn) und Dr. Nico Ritz (Homberg), mit denen Frielendorf interkommunal eng zusammenarbeitet. Sie schenkten Jens Nöll ein Tau, um zu üben, wie man gemeinsam an einem Strang zieht, und zwar in die gleiche Richtung.
Ohespatzen und Musikzug der Feuerwehr Großropperhausen
Thorsten Vaupel ist nicht nur selbst auch Feuerwehrmann, sondern auch Freund des Karnevals und so sangen die Ohespatzen das Steigerlied, passend zur Bergbaugemeinde, zum Abschied. Jens Nöll ist Mitglied der Feuerwehrkapelle, die zum Amtsantritt ohne ihren Posaunisten auftrat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeinde fassten in einer Präsentation die Stationen der letzten sechs Jahre zusammen und freuen sich auf eine Zeit mit dem neuen Bürgermeister. Kirchlichen Segen gab es von den Pfarrern Marco Firnges und Sven Kuchenbäcker mit XG – gesegnet und mehr… (Rainer Sander)